Neue EU-Außenministerin:Baroness auf leisen Sohlen

Catherine Ashton gilt als langweilig und unerfahren - ihre Berufung als EU-Außenministerin wurde gar als "erstklassige Katastrophe" betitelt. Doch die Britin gibt sich selbstbewusst.

Wolfgang Koydl

Rückblickend betrachtet war sie eigentlich von Anfang an die ideale Kandidatin für den Job, jedenfalls wenn man EU-Maßstäbe anlegt. Denn Baroness Catherine Ashton erfüllte, abhakbar wie auf einer Wunschliste, sehr viele Voraussetzungen für das Amt.

Catherine Ashton, AFP

Als Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik repräsentiert Catherine Ashton demnächst eine halbe Milliarde Europäer.

(Foto: Foto: AFP)

Großer Mitgliedsstaat - Häkchen. Sozialdemokratisch - Häkchen. Frau - Häkchen. Weder politisch noch charismatisch bedeutsam - Häkchen.

Unter diesen Umständen verstand es sich fast von selbst, dass man auf die eine oder andere Eigenschaft verzichten musste. Auf Erfahrung beispielsweise, auf Qualifikation oder demokratische Legitimation.

"Beruhigend langweilig"

Die unscheinbare 53-jährige Labour-Baronin, die sich noch nie in ihrem politischen Leben dem Urteil von Wählern stellen musste, ist außenpolitisch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Dennoch wird die Frau, die vor zehn Jahren noch die Gesundheitsbehörde der englischen Grafschaft Hertfordshire leitete, demnächst eine halbe Milliarde Europäer in den Metropolen der Welt repräsentieren.

Wenige Tage vor dem EU-Gipfel hatte Peter Ludlow von der Brüsseler Denkfabrik "European Strategy Forum" noch gewarnt, dass Baroness Ashton als Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik "eine erstklassige Katastrophe" sein werde. Und auf die Frage nach einer positiven Beschreibung für seine Landsfrau fiel dem europafreundlichen liberaldemokratischen Europaabgeordneten Andrew Duff nur ein, dass sie "beruhigend langweilig" sei.

Diese Langeweile hat die vom linken Flügel der Partei kommende Politikerin erstaunlich schnell erstaunlich weit gebracht - und dies, obwohl sie häufig nur als Lückenbüßerin ausgewählt wurde.

Als Premierminister Gordon Brown sie vor 13 Monaten zur Überraschung des politischen Establishments in Westminster als Nachfolgerin des flamboyanten und machtbewussten Peter Mandelson als EU-Handelskommissarin nach Brüssel schickte, galt es als ausgemacht, dass sie diesen Sitz nur vorübergehend warmhalten würde, bis man in London einen schwerer wiegenden Kandidaten finden würde.

Die letzten Monate verbrachte sie so auch im Wesentlichen damit, um ihr Überleben in Brüssel zu kämpfen. Sie hatte gehört, dass Brown sie wieder nach Hause nach London beordern wollte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Catherine Ashton in Brüssel Respekt erarbeitet hat.

Nur dritte Wahl

Von Handelsfragen verstand sie damals genauso wenig wie heute von außenpolitischen Themen. Woher auch - zuvor hatte sie, ebenfalls für nur zwölf Monate das Oberhaus geleitet und minderrangige Staatssekretärsposten in den Ministerien für Justiz, Verfassungsfragen und Erziehung bekleidet. Politisch sozialisiert wurde sie in der pazifistischen Ostermarschbewegung, der sie als Schatzmeisterin diente, und in der Sozialarbeit. Dafür verschaffte ihr 1999 Premierminister Tony Blair den Adelstitel.

"Stille Diplomatie" als Markenzeichen

Auch als EU-Außenministerin war sie nun offensichtlich nur die dritte Wahl - und dies noch nicht einmal unter allen Interessenten, sondern lediglich unter den britischen Bewerbern. Denn erst nachdem Außenminister David Miliband und der derzeitige britische Business-Minister Mandelson abgewinkt hatten, wurde ihr Name ins Gespräch gebracht. So überrascht war sie selbst über ihre Bestallung, dass sie völlig unvorbereitet vor die Presse trat und dort "stille Diplomatie" als ihr Markenzeichen vorstellte.

Diese stille Diplomatie hat ihr freilich in den letzten Monaten Respekt in Brüssel für ihre Arbeit als Handelskommissarin eingetragen. Sie sei stets auf Konsens aus, lobte Britanniens früherer EU-Botschafter David Hannay die Baroness, sie sei eine "Teamspielerin, die nichts von Konfrontation hält und versucht, um ein Problem herum zu arbeiten".

Sie selbst stellte die Frage, ob sie "ein Ego auf zwei Beinen" sei - nur um sie umgehend zu verneinen. Wie weit sie mit dieser samtpfötigen Art kommen wird, wenn sie sich dem schwierigen Partner Russland gegenüber sieht, mit Irans Präsident Ahmadinedschad verhandeln oder sich neben US-Außenministerin Hillary Clinton behaupten muss, wird sich erst zeigen.

Catherine Ashton jedenfalls gibt sich zuversichtlich. "Beurteilen Sie mich nach dem, was ich tue", sagte sie, "und ich glaube, dass Ihnen das nicht nur gefällt, sondern dass Sie das auch stolz auf mich machen wird."

Die Außenministerin

Damit die Europäische Union außenpolitisch einheitlicher auftreten kann, wurde ihr Job aus zwei alten geformt: Als Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vereint Catherine Ashton die Befugnisse von Javier Solana und Benita Ferrero-Waldner auf sich, also des bisherigen Hohen Vertreters und der EU-Außenkommissarin.

Ihre Aufgabe ist es, sich um die Beziehungen der EU zum Rest der Welt zu kümmern, die disparaten Ziele der Mitgliedstaaten in sinnvolle Strategien zu gießen und als Emissärin Europas um die Welt zu fliegen. Sie ist Chefin von vermutlich etwa 6000 Mitarbeitern des neuen Europäischen Diplomatischen Dienstes und leitet alle Sitzungen der EU-Außenminister.

Besonders viel Macht kommt ihr zu, weil sie als Vizepräsidentin der EU-Kommission die Strippen in den beiden für das politische Tagesgeschäft zentralen Institutionen der Europäischen Union zieht, dem Ministerrat und der Kommission - und zugleich vom Europäischen Parlament bestätigt wird.

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