Neue Bundesregierung:Wenn es geht, machen wir es

Government Buildings At Twilight

Bundeskanzleramt: Wer sagt da noch angesichts all dessen, dies sei eine langweilige Regierung des Übergangs?

(Foto: Getty Images)

Die große Koalition nimmt ihre Arbeit auf, als hätte es die schwarz-gelbe nie gegeben. Beliebt ist dabei die These, Kanzlerin Merkel habe nun ihren "Zenit" erreicht. Das ist milder Unsinn. Bis 2017 wird viel geschehen. Die Frage ist nicht, wer Merkel nachfolgt, sondern wer ihre Säulenträger in dieser Legislaturperiode sein werden.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in Brüssel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier reist nach Polen, Finanzminister Wolfgang Schäuble hält eine Rede, und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verteidigt die EEG-Ausnahmen für die Industrie. War da was? Gab es mal Schwarz-Gelb, oder ist Berlin nicht gerade wieder in einer gewaltigen Vorwärtsbewegung zurück in das Jahr 2005 gestürmt, nur dass sich das Personal ein wenig verschoben hat in der großen Koalition?

Es ist schon etwas seltsam, wenn man den geschäftsmäßigen, eigentlich normalen Beginn der neuen, irgendwie alten Regierung betrachtet und dann daran denkt, was in den vergangenen zwölf oder 15 Monaten alles an aufgeregten Szenarien ausgemalt wurde - nicht nur von Kommentatoren, Sprechschauteilnehmern oder Elektrostammtischlern, sondern auch und gerade von vielen derer, die jetzt im Kabinett sitzen oder mit einer übergroßen Mehrheit den Bundestag dominieren. Nichts ist auch nur entfernt so heiß gegessen worden, wie viele es gekocht glaubten.

Ein Beispiel: Die sehr unterschiedlichen Hoffnungsvereine der notorisch Unzufriedenen, Piratenpartei und Alternative für Deutschland, sind nicht im Parlament vertreten. Mehr noch: Beide haben sich in den vergangenen Monaten recht erfolgreich selbst zerlegt. Dieses Schicksal ist nicht untypisch für Organisationen, in denen sich etliche Menschen finden, die sehr davon überzeugt sind, dass sie sehr richtig und die allermeisten anderen sehr falsch liegen. Der durchschnittliche deutsche Wähler findet solche Parteien eine kurze Zeit lang manchmal ganz interessant, erkennt dann aber, dass er sich selbst zu unsicher ist, um Leute zu wählen, die sich ihrer selbst so sicher sind.

Selbst Union und Linkspartei arbeiten kommunal gut zusammen

Es gibt also weder ein Sieben-Parteien-Parlament noch bestimmt Zersplitterung die politische Landschaft. Das mit den Lagern ist mittlerweile auch so eine Sache. Historisch gesehen, hieß es immer von der FDP, sie könne mit nahezu jedem. Abgesehen davon, dass die FDP im Moment politisch vernachlässigbar ist, stimmt die Aussage heute auch für Union, SPD und Grüne. Jene Lager, die früher den Standort einer Partei beschrieben, definieren heute die Vielfalt innerhalb jeder Partei. Die einzige Paarung, die noch ausgeschlossen zu sein scheint, ist Union und Linkspartei - aber selbst die arbeiten in Kommunen pragmatisch zusammen.

Der Mitgliederentscheid der SPD über die große Koalition hat letztlich auch ganz gut gezeigt, wie heute das Lagerdenken innerhalb einer Partei aussieht, zu deren offiziellem Selbstverständnis immer noch die politgeografische Verortung gehört. Die SPD versteht sich als linke Volkspartei. Bei jenem Viertel der abstimmenden SPD-Mitglieder, das gegen die große Koalition war, überwog wohl die "linke" Identität: Die SPD dürfe nicht machen, was eigentlich nicht geht. Drei Viertel wiederum schlossen sich der Gabriel-Führung an, die das Motto vertritt: Wenn es geht, machen wir es.

Von nun an ging's bergab

Es gibt niemanden in diesem Kabinett, die oder der eben dieses Motto - wenn es geht, machen wir es - mehr verinnerlicht hat als Angela Merkel. Sie ist, bei allem Respekt für die taktische Finesse des SPD-Chefs, immer noch die wirkliche Gewinnerin der Wahl. Sie hat erreicht, was sie angesichts der Umstände wollte: eine große Koalition mit einer wieder stabilisierten SPD und einer in Gedöns-Ministerien domestizierten CSU. Die bedeutenden Ministerien wiederum, die nicht in CDU-Hand sind, waren ein Teil des Preises für die Anfangsstabilisierung der Koalition. Mit Gabriel und Steinmeier kann Merkel gut leben, man kennt sich aus der ersten gemeinsamen Legislaturperiode. Vice versa gilt das auch.

Beliebt ist derzeit die Betrachtungsweise, dass Merkel nun ihren "Zenit" erreicht habe. Das ist eine Umschreibung dafür, dass für sie angeblich gilt, was Hildegard Knef einst sang: Von nun an ging's bergab. Das ist milder Unsinn, auch wenn natürlich stimmt, dass dies wahrscheinlich Merkels letzte Amtszeit als Kanzlerin ist. Bis 2017 aber wird viel geschehen, und dazu wird wahrscheinlich gehören, dass Merkel die deutsche Politik weiter prägt. Wer also um jeden Preis unoriginell sein will, der möge über Merkels Nachfolge spekulieren. Relevanter aber ist, wer Merkels Säulenträger in dieser Legislaturperiode sein werden.

Wird Gabriel 2017 Kalif anstelle der Kalifin?

Allemal wird Wolfgang Schäuble zu ihnen gehören und natürlich Peter Altmaier im Kanzleramt. Thomas de Maizière kann es wieder werden, wenn er die unrühmlichen letzten Monate seiner Amtszeit im Verteidigungsministerium vergessen macht und im Innenministerium wieder der wird, dem man einst sehr viel zutraute. Auch Ursula von der Leyen trägt im Verteidigungsministerium tendenziell einen Marschallinnenstab im Tornister. Allerdings muss sie zunächst wirklich begreifen, dass dieses Amt nicht in erster Linie gute Sozialpolitik für Soldatinnen und Soldaten bedeutet.

Das Verteidigungsministerium sollte eigentlich zu den entscheidenden Akteuren in der Außenpolitik gehören. Das ist schwierig in einer Situation, in der das Kanzleramt die Außenpolitik bestimmt und der Außenminister Steinmeier bemüht sein wird, jenes Terrain wieder zu erobern, das Guido Westerwelle geräumt hat. Das Außenministerium ist nicht mehr sehr bedeutend; das Verteidigungsministerium war zuletzt in erster Linie Auslandseinsatzabwicklungsministerium.

Das ist zu wenig für ein solches Haus, in dem die Leitung eigentlich eine konzeptionelle Vorstellung von Sicherheitspolitik haben sollte, die dann wiederum fast alle bedeutenden Themen von der Wehrstruktur über die Ausrüstung bis zur Inneren Führung bestimmt. Die Entwicklung der Dinge in dem Kräftedreieck Kanzleramt, Werderscher Markt und Bendlerblock wird einer der sehr interessanten Prozesse in dieser Regierung werden. Nebenbei wird sich daran die Zukunft von der Leyens entscheiden.

Die SPD hat sich zunächst an Gabriels Zopf, hätte er denn einen, aus der eigenen Misere gezogen. Zum eigentlichen Wahlverlierer hat sich im Sinne des großen Ganzen Peer Steinbrück ernannt; seine prominenten Mitverlierer sind dagegen Minister und Staatssekretäre geworden. Dabei ist, zumindest für SPD-Hobbybeobachter, interessant, dass sich nach dem Ausscheiden Steinbrücks aus dem SPD-Triumvirat Steinmeiers Wunsch erfüllt hat (Gabriel darf nicht Fraktionschef werden). Aber auch Gabriel ist strategisch glücklich, weil er seinen Plan (ich will 2017 Kalif werden anstelle der Kalifin) auf einem guten Weg sieht.

Wer sagt da noch angesichts all dessen, dies sei eine langweilige Regierung des Übergangs?

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