Neue Biografie:Kühle Kampfmaschine Clinton?

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Keiner der anderen Präsidentschaftskandidaten ruft in den USA so viele Ressentiments hervor wie Hillary Clinton. Eine Biografie des Watergate-Reporters Bernstein erklärt, warum.

Reymer Klüver

Die Bücher über Hillary Clinton füllen Regale. Jedes halbe Jahr kommt im Schnitt ein halbes Dutzend hinzu. So war es jedenfalls in den USA in den ersten sechs Monaten, nachdem sie ihre Absicht angekündigt hatte, ins Weiße Haus zurückkehren zu wollen.

"Die Frau, die keiner kennt": Hillary Clinton (Foto: Foto: AP)

Es gibt, grob gesagt, zwei Kriterien, nach denen man diese Bücher ordnen kann. Da sind die Biographien, die Clintons Leben neutral zu schildern suchen und dem Gegenstand der Betrachtung jedenfalls nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Und es gibt die Hassliteratur, die nachweisen will, dass Clinton das größte Verhängnis Amerikas seit Einführung des Frauenwahlrechts ist.

Zum anderen kann man die Clinton-Bücher so einteilen: Die einen begeben sich wirklich auf die Suche nach dem wahren Wesen der bekanntesten Politikerin Amerikas. Sie bemühen sich, zumindest ein paar Erkenntnisse zu Tage zu fördern, die neue Facetten zum Persönlichkeitsbild Clintons hinzufügen. Und es gibt die vielen, vielen anderen Bücher, die mehr oder minder nur repetieren, was bereits irgendwo geschrieben wurde. Bernsteins Buch gehört zweifellos jeweils in die erste Kategorie.

Carl Bernstein ist der eine der beiden Reporter der Washington Post, die vor mehr als drei Jahrzehnten den Watergate-Skandal enthüllt hatten. Karriere hat danach der andere gemacht, Bob Woodward. Er hat das Image des "Unbestechlichen" (so der Filmtitel über die Aufdeckung der Staatsaffäre) gepflegt.

Bernstein hingegen hat den Ruhm nicht gut verkraftet, hat eine Zeitlang in Saus und Braus gelebt, war sicherlich kein Star der Branche - und nicht immer der Schnellste: Acht Jahre hat er an Clintons Biographie herumgewerkelt (in der Zeit hat Woodward ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht, alles Bestseller). Doch das Zuwarten hat sich gelohnt. Das Buch hat Bernsteins Reputation wiederhergestellt. Seit seiner Veröffentlichung gilt er in den USA als einer der besten Hillary-Kenner.

Es ist ein mächtiges Werk. 959 Seiten, inklusive Anmerkungen, Literaturangaben und Register. Das klingt nach Doktorarbeit. Aber keine Angst. Es lässt sich flott lesen. Obwohl die Freude das ein oder andere Mal durch linkische Übersetzungen leicht geschmälert wird, etwa, wenn von der "Pluralität der Clintons" die Rede ist oder von "Fehlfunktionen, die das Leben der Familie im Weißen Haus begleiteten".

Das passiert, wenn der Übersetzer schnell, schnell machen muss, damit das Buch rechtzeitig auf den Markt kommt, und Lektoren das Manuskript im Zeitdruck einfach durchwinken. Dennoch ist es sehr verdienstvoll, dass Bernsteins Buch überhaupt auf Deutsch erhältlich ist.

Stärke und Verwundbarkeit

Sensationelle Enthüllungen hat es allerdings nicht zu bieten. Gut, man erfährt, dass Bill Clinton sich Ende der achtziger Jahre als Gouverneur von Arkansas wegen einer Affäre hat scheiden lassen wollen. Und dass Hillary schon damals erwogen hatte, seine Nachfolge als Gouverneurin anzustreben.

Beides sollte bekanntlich anders kommen. Sonst findet sich - von zahllosen Details abgesehen - nicht viel Neues in diesem dicken Buch. Das wird klar, wenn man die zusammenfassenden Worte Bernsteins liest: "Ihre Geschichte ist eine Geschichte persönlicher Stärke und Verwundbarkeit." Das wusste man nun wirklich schon.

Aber nach der Lektüre der ausführlichen Darstellung von Clintons Jugend- und Studienzeit und der Jahre in Arkansas und im Weißen Haus hat man doch eine bessere Vorstellung davon, wie diese Frau tickt. Warum sie so geworden ist, wie sie ist. Sie ist keineswegs nur die politische Kampfmaschine, zu der sie ihre erbitterten Gegner gerne machen.

"Aus dem Schutz ihres selbstverfertigten Panzers heraus und auf die größtmögliche Verkaufswirkung bedacht, hat Hillary nicht nur manche Tatsachen, sondern auch den Kern ihres Wesens falsch dargestellt", schreibt Bernstein.

Was die große Diskrepanz erklärt zwischen dem Urteil persönlicher Freunde, die sie kennen gelernt haben und von denen es eine ganze Reihe gibt, und derjenigen, die ihr nicht näher gekommen sind und sie als kühlen Politprofi schildern, der das ganze Leben dem Kalkül von Machtstreben und Machterhalt untergeordnet hat.

Bernstein schildert sie dagegen als eine "Frau voller Energie, Begeisterungsfähigkeit, Humor, Temperament, innerer Kraft, privater Spontaneität, (nahezu) tödlicher Vergeltungskraft, gezeichnet vom wirklichen Leben und seinen tiefen Verletzungen. All das ist Ausdruck ihrer Leidenschaft, die möglicherweise ihre beständigste und ihre liebenswerteste Eigenschaft ist".

Wer diese Charakteristik akzeptiert - und Bernsteins Biographie gibt dafür genug Anhaltspunkte -, der versteht zum Beispiel, dass die Gefühlsausbrüche Hillary Clintons in den letzten Tagen vor der Primary in New Hampshire nicht allein aus Berechnung geschehen sind, sondern auch Ausdruck echter Frustration waren. Was Clinton menschlicher hat erscheinen lassen - und ihr viele Wählerinnen-Sympathien gebracht hat.

Doch Bernsteins Betrachtungsweise ist keineswegs blauäugig. Gnadenlos beschreibt er, dass viele Fehler - taktische Ungeschicklichkeiten und strategische Versäumnisse - in der Präsidentschaft Bill Clintons auf ihren Einfluss zurückzuführen sind: von der langwierigen Suche nach einem Justizminister gleich bei Amtsantritt des neuen Präsidenten und dem grandiosen Scheitern der Gesundheitsreform bis zur Handhabung der Affären um das Reisebüro des Weißen Hauses und den angeblich krummen Immobiliengeschäften in Arkansas (Whitewater).

Zudem scheint die Einsichtsfähigkeit in eigene Fehler nicht allzu sehr ausgeprägt zu sein: "Den Blick nach innen zu wenden, war nie ihre Stärke; sie zeichnet sich durch den Glauben an den Herrn und sich selbst aus."

Auf der anderen Seite erklärt Bernstein aber auch, warum Hillary Clinton, wie kein anderer amerikanischer Politiker außer dem amtierenden Präsidenten Ressentiments und geradezu Hass bei vielen ihrer Landsleute hervorruft.

Ein gutes Beispiel dafür ist der frühere Basketballstar und spätere US-Senator Bill Bradley, der im Interview mit Bernstein über Clinton sagte: "Diese Arroganz. Die Annahme, dass jeder, der eine Frage zu stellen wagte, ein Feind war. Die Geringschätzung. Die Heuchelei." Das fasst ziemlich gut zusammen, was Clintons politische Gegner ihr immer wieder vorgeworfen haben und was jetzt auch im Wahlkampf zu einem veritablen Problem geworden ist.

Ihre klare Sachkompetenz, ihre souveräne Kenntnis politischer Zusammenhänge werden oft als kaltschnäuzige Überheblichkeit missdeutet. Dabei hat sie zwar meist das Richtige gewollt, wie Bernstein schreibt, aber eben oft nicht ein glückliches Händchen gehabt (im Gegensatz zu ihrem Mann).

Kaffee für die Senatskollegen

Nicht losgeworden ist sie das Image, nur in Freund-Feind-Bildern denken zu können. Und das, obwohl sie seit ihrem Einzug in den Senat geradezu strategisch darum bemüht vor, Brücken zu alten politischen Gegnern zu bauen. Bernstein schildert ausführlich, dass sie männlichen Senatskollegen den Kaffee servierte - und sogar nachfragte, ob sie Milch und Zucker wollten.

Als Clinton ihren zweiten langen Marsch Richtung Weißes Haus antrat, kokettierte sie in Interviews, dass sie die "vielleicht bekannteste Frau sei, die man nicht wirklich kennt". Nun, ein bisschen mehr dürfte man sie nach fast tausend Seiten Bernstein schon kennen. Aber "wirklich"? Das behauptet nicht einmal ihr Biograph.

Wer alles kürzer haben will, kann getrost zur Biographie der deutschen Journalistin Christiane Oppermann greifen. Dort kann man nachlesen, was man ohnehin schon weiß oder irgendwie schon mal gelesen hat. Nur ist es eben übersichtlich zusammengefasst, wenn auch manchmal ziemlich banal geschrieben. Wie scheiterte zum Beispiel eine Suffragette mit der ersten Kandidatur einer Frau fürs höchste Amt der USA? Kläglich! Natürlich. Wie ist das "Ticket", die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten? Begehrt. Natürlich. Aber sonst richtet Oppermanns Opus keinen weiteren Schaden an.

CARL BERNSTEIN: Hillary Clinton. Die Macht einer Frau. Droemer Verlag, München 2007. 959 Seiten, 22,90 Euro.

CHRISTIANE OPPERMANN: Hillary Clinton - "I am in to win!" Herder, Freiburg 2008. 224 Seiten, 14,90 Euro.

© SZ vom 21.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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