Neue Bilder aus Georgien:Zwischen Hoffen und Bangen

Der Kaukasus-Krieg katapultierte Georgien in die Schlagzeilen. Ein Jahr danach zeigen Fotografen der Agentur Magnum nun den Alltag in einem geschundenen, aber faszinierenden Land.

Matthias Kolb

6 Bilder

Thomas Dworzak / Magnum Photos, Saakaschwili

Quelle: SZ

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"Wo immer wir in Russland waren, in Moskau, in der Ukraine oder in Stalingrad, immer tauchte der magische Name Georgien auf. Menschen sprachen von den Georgiern wie von Übermenschen, großartige Trinker, großartige Tänzer, großartige Musiker, großartige Arbeiter und Liebhaber." Dies notierte der US-Schriftsteller John Steinbeck, der 1947 und 1948 durch die Sowjetunion reiste. Er fährt fort: "Und sie sprachen über das Land im Kaukasus und am Schwarzen Meer wie von einem zweiten Himmel."

Steinbeck reiste mit Robert Capa, dem Gründer der legendären Fotoagentur Magnum. Ihr Buch "A Russian Journal" erschien 1948 und 61 Jahre später brachen zehn Magnum-Fotografen nach Georgien auf, um dieses Land zu erkunden, das im Sommer 2008 weltweit in die Schlagzeilen geriet. Die Idee zu diesem prächtigen Bildband, aus dem sueddeutsche.de einige Aufnahmen zeigt, hatte Thomas Dworzak, der in seinem Beitrag den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili wochenlang mit der Kamera begleitete.

Der Reformer Saakaschwili, von Kritikern als "impulsiver Heißsporn" beschrieben, gewährt Einblicke in seinen Alltag - und wie er versucht, die westlichen Staaten davon zu überzeugen, dass Georgien keine andere Möglichkeit hatte, als sich gegen die Aggression des Kremls zu wehren. Welche Seite den Konflikt ausgelöst hat, ist noch immer unklar - eine internationale Kommission will im Herbst ihr Ergebnis präsentieren. Interessanter als die Politiker-Portäts sind die Aufnahmen ...

Foto: Thomas Dworzak / Magnum Photos

Tblisi, März 2009 / Jonas Bendiksen / Magnum Photos

Quelle: SZ

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... aus dem georgischen Alltag. Jonas Bendiksen zeigt die junge Elite in Georgien, denen nach der Rosenrevolution plötzlich alle Türen offen stehen. Viele Minister und Manager sind um die dreißig und Journalistik-Studenten arbeiten für das staatliche Radio. Die neue Generation fühlt sich europäisch und träumt ebenso vom Reisen, iPhones und Modelabels wie in Italien oder Spanien. Stolz und Hoffnung zeigt sich nicht nur im Gesicht der jungen Frau in der Trambahn von Tiflis.

Manche Bars und Klubs, die der Norweger Bendiksen festgehalten hat, könnten auch in Berlin oder London auf Besucher warten - Lebensfreude ist überall gleich. Doch einige der kurzen Aussagen verdeutlichen die Unterschiede: Früher habe er seine Hausaufgaben immer bei Kerzenschein machen müssen, schreibt Aleksandr und ist noch immer begeistert, dass es nun wieder rund um die Uhr Strom gibt und Ampeln funktionieren. Und wenn Skater Gaga Maisuradze davon berichtet, wie viele Passanten auf seine langen Haare reagieren, lässt sich ahnen, wie schnell sich das kleine Land wandelt - und wie schwer es den Älteren fällt, Schritt zu halten.

Foto: Tblisi, März 2009 / Jonas Bendiksen / Magnum Photos

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Quelle: SZ

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Einen gewissen Halt finden immer mehr Menschen im Glauben und in der Religion. Der Italiener Paolo Pellegrin ist durch ganz Georgien - das ähnlich groß wie Bayern ist - gereist, um Klöster und Kirchen zu besuchen. Seit Jahrhunderten sind die Georgier Christen - ein wichtiges Argument für ihre europäische Identität. Pellegrin zeigt auf seinen Bildern nicht nur die mitunter karge Landschaft, in der die Gotteshäuser stehen, sondern vor allem die Hingabe der Gläubigen. Und wie andere Magnum-Fotografen dokumentiert er immer wieder die unerschöpfliche georgische Gastfreundschaft - stets scheint ein Festessen (supra) stattzufinden, bei dem Wein und Wodka in Strömen fließen und jeder einen Toast aussprechen muss.

Foto: Mamadaviti Kloster, Tiblisi, April 2009 / Paolo Pellegrin / Magnum Photos

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Der Brite Martin Parr ist bekannt als Dokumentar des Alltäglichen und Banalen und widmete sich auch in Georgien seinen Lieblingsthemen: Freizeit und Konsum. Er besucht Schwimmbäder und Märkte, Spielcasinos und Saunen, die McDonalds-Filiale in Tiflis und lichtet auch die Auswahl an Besen ab. Skurriles neben Handwerk, sozialistischer Kitsch neben Ultramoderne - all das findet sich in Georgien.

Foto: Martin Parr / Magnum Photos

Antoine D'Agata / Magnum Photos

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Der Franzose Antoine D'Agata nähert sich Georgien vom Süden her und fotografierte unter anderem in Adscharien, der Region um die Boomtown Batumi, die an die Türkei grenzt. Der Betrachter sieht karge Berglandschaften, einfache Häuser und die Überbleibsel der Sowjetzeit. Beeindruckend sind die verstörenden Porträts, die wirken, als seien sie in einer Zwischenwelt entstanden, irgendwo zwischen Tag und Nacht.

Georgien und seine 4,7 Millionen Einwohner leben auch in einer Art Zwischenwelt: zwischen West und Ost, zwischen Moderne und Tradition sowie zwischen Hoffen und Bangen. Denn seit Russland die abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt hat, hat sich die Lage etwas beruhigt. Aber alle Kaukasus-Experten sind sich einig, dass es schnell wieder zu einem Ausbruch von Gewalt kommen kann.

Foto: Lera, Batumi, April 2009 / Antoine D'Agata / Magnum Photos

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Der etwa 250 Seiten starke Bildband "Georgischer Frühling. Ein Magnum Tagebuch" ist im Kehrer-Verlag erschienen und kostet 36 Euro. Neben einem interessanten Essay von Wendell Steavenson enthält das Buch auch Georgien-Fotos aus dem Magnum-Archiv. Vom 5. bis zum 13. September sind alle Bilder in der Ausstellung "Georgian spring" in den Berliner Uferhallen zu sehen.

Foto: Kehrer Verlag

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