Süddeutsche Zeitung

Neue Bewegung:So will Varoufakis Europa retten

  • Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis will mit der Bewegung DIEM25 Europa redemokratisieren.
  • Er fordert, dass sämtliche Treffen der wichtigsten EU-Gremien live im Internet übertragen werden, alle Dokumente abrufbar sind, das Europäische Parlament eine massive Stärkung erfährt.
  • Als Partei sieht Varoufakis seine Bewegung nicht.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Teilnahmegebühr für die Revolution beträgt zwölf Euro. Ermäßigt acht Euro. Allerdings gibt es - wenn überhaupt - nur noch Restkarten an der Abendkasse. Die Berliner Volksbühne wird ausverkauft sein, wenn der frühere griechische Motorrad-, Lederjacken-, und Hemd-nicht-in-der-Hose-Finanzminister Professor Doktor Yanis Varoufakis am Dienstagabend seine neue Plattform gründen will: die DIEM25. Ein Akronym für Democracy in Europe Movement, 2025, Demokratie in Europa Bewegung 2025.

Am Vormittag, ein Nebenraum der Volksbühne, der rote Salon. Rote Wände, rote Decke, rot der Samtvorhang vor dem Varoufakis sitzt und die Fragen der Journalisten in gewohnt geschliffenem Englisch pariert. Rot ist hier nicht nur eine Farbe. Rot ist eine Geisteshaltung. Links. Ziemlich stramm links sogar. Varoufakis ist Anfang Juli von seinem Ministeramt in Athen zurückgetreten, weil er die angebliche Erpressung seines Landes durch die Europäische Union und die Geldgeber nicht mitmachen wollte. Er kam damit aber wohl auch seinem Rausschmiss durch Regierungschef Alexis Tsipras zuvor. Er war zu links für das Linksbündnis Syriza.

Seitdem tingelt er als Vortragsreisender durch Europa. Die Volksbühne hat ihn gerne als Podiumsgast. Im Umfeld des Schauspielhauses bekommt er viel Zuspruch. Jetzt findet hier die Auftaktpressekonferenz zu DIEM25 statt.

Was also will Varoufakis? Irgendwie auf jeden Fall mehr Demokratie. Das Ganze soll auf eine komplette Neugründung der Europäischen Union hinauslaufen. Quasi ein EU-Reset. Ein totaler Neustart.

Wie das realpolitisch funktionieren soll? Unklar

Die Bewegung soll der "geteilte Albtraum" aller Brüsseler Bürokraten, Lobbyisten, Banker, der meisten EU-Politiker, der Euro-Gruppe und so fort sein. So steht es in einem sechsseitigen Manifest, das seit Anfang Februar online zu lesen ist.

Die zentrale Idee: "Demokratisiert Europa! Demokratie kann kein Luxus sein, der nur den Gläubigern gegeben und den Schuldnern verweigert wird." Ein Teil der Forderungen liest sich dann wie abgeschrieben aus Anträgen der an sich selbst gescheiterten Piraten-Partei. Sämtliche Treffen der wichtigsten EU-Gremien etwa sollen live im Internet übertragen werden. Alle Dokumente sollen abrufbar werden. Auch alle Verhandlungs-Unterlagen zum geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA, TTIP, sollen öffentlich gemacht werden.

Gleichzeitig soll das Europäische Parlament eine massive Stärkung erfahren. Mehr Macht, mehr Kompetenzen. Andererseits soll es diese Macht wieder mehr mit den nationalen Parlamenten teilen. Wie das realpolitisch funktionieren soll, steht in dem Manifest freilich nicht.

Alles bleibt so hinreichend unkonkret, dass kaum jemand nicht sagen könnte, dass das alles irgendwie eine nette Idee ist.

Alles also nur eine Utopie ohne Chance auf Umsetzung? Varoufakis verneint das nicht. Ja, das klinge alles sehr utopisch, sagt er. Aber was sei die Alternative? Eine Dystopie, ein sich selbst zerstörendes Europa, das jeden betreffen werde, wenn alles so weitergehe wie bisher? "Vielleicht wird diese Bewegung scheitern. Aber wir werden es versuchen", sagt Varoufakis.

Offenbar eine Art außerparlamentarische Opposition

Die ganz große Masse erreicht Varoufakis noch nicht. Bisher sind es voll allem linke Künstler und Wissenschaftler, die sich der Bewegung angeschlossen haben. Wie etwa der italienische Denker Toni Negri, der britische Labour-Abgeordnete John McDonnell, der amerikanische Wirtschafswissenschaftler James Galbraith, die Kulturwissenschaftlerin Margarita Tsomou sowie Abgesandte der linken spanischen Podemos-Partei. Außerdem soll es noch ein paar Überraschungsgäste geben, hat im Vorfeld der kroatische Philosoph Srećko Horvat versprochen. Er organsiert die Vorbereitung zu dem Treffen und wird den Abend in der Volksbühne moderieren.

Dabei herauskommen soll zunächst ein paneuropäisches Netzwerk linker Intellektueller. Später soll es in allen Städten Europas von der DIEM25 organisierte Townhall-Treffen geben, offen für alle Bürger. Als Partei sieht Varoufakis seine Bewegung nicht. Er will die mächtigen Institutionen der EU offenbar aus der außerparlamentarischen Opposition heraus aufrütteln.

Warum seine DIEM25 schaffen soll, was alle anderen linken Kräfte in Europa gerade mit mehr oder weniger großem Erfolg schon versuchen? Varoufakis sagt, es wäre für ihn ein Traum, "wenn ich das nicht machen müsste". Aber es gebe keine linke Kraft in Europa, die dieses Großprojekt auf sich nehmen könne. Er vermutet, die Schuld der Linken sei aus der Zeit des Kalten Krieges noch zu groß, um selbstbewusst voranzugehen. Davon habe sich die Linke seit dem Fall des Eisernen Vorhanges nicht erholt. Sein Urteil ist klar: "Wir haben versagt als Linke."

Darum muss er jetzt ran. Varoufakis und seine DIEM25: "Wir starten heute Nacht!", sagt er. Zumindest dieses Versprechen wird er wohl einlösen können.

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