Sachsen:„Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten“

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„Es reicht“, sagt der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer: Er erlebe zu viele Drohungen von rechts und zu wenig Rückhalt der Bevölkerung. (Foto: Uwe Meinhold/Imago)

Der parteilose Landrat Dirk Neubauer tritt zurück. Dass Rechtsextreme ihn anfeinden, ist ein Grund. Er beklagt aber auch fehlenden politischen Gestaltungswillen – und ist enttäuscht von den Bürgern.

Von Johannes Bauer, Leipzig

Gelöst wirkt Dirk Neubauer, als er in die Kamera blickt. Offenbar ist die Entscheidung in ihm gereift. „Ich stelle mein Amt zur Verfügung zum nächstmöglichen Zeitpunkt“, sagte der Landrat Mittelsachsens am Dienstagnachmittag zu Beginn eines 20-minütigen Livestreams auf Youtube. Seit Monaten sei er konfrontiert mit einer „persönlichen, diffusen Bedrohungslage“ aus der rechten Ecke, hauptsächlich durch die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen. Diese hätten Autokorsos organisiert, ihn in Sträflingskleidung gezeigt und aufgerufen, „ihn zu finden“. Aufgrund der Anfeindungen gegen ihn hatte Neubauer zuletzt bereits seinen Wohnsitz verlegt.

Inzwischen habe sich das auch auf seinen privaten Kreis erweitert. „Da ist jetzt ein Punkt erreicht, wo ich sage: Es reicht.“ Neubauer begründet seine Entscheidung aber auch damit, dass es in der Region keinen wirklichen politischen Gestaltungswillen gebe. „Wir haben eine große konservative Mehrheit gegen alle Themen, die jetzt wichtig sind.“ Er nennt die Energiewende, Mobilitätskonzepte für den ländlichen Raum und eine andere Wirtschaftsförderung: „Das hat alles keine Mehrheiten.“ Neubauers Erklärung ist auch ein Appell an seine Mitmenschen, sich als weltoffene Region zu zeigen: „Wir können es nicht über Hass und Hetze schaffen.“ Migration sei essenziell, um die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen.

Er kam als einziger Landrat in Sachsen ohne Unterstützung der CDU aus

Neubauer, der auch auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auftrat, gilt als Mann des klaren Wortes. Seine Abschiedsrede zeigt auch, wie enttäuscht er darüber ist, dass andere sich zurückhalten: „Ich gebe auf, weil mir da draußen zu viele den Mund halten.“ Schon lange sind Digitalisierung und Bürgernähe zentrale Themen von Neubauers politischer Agenda. Nun kritisierte er, dass zu wenige Bürger die Möglichkeit nutzten, sich zu beteiligen und etwa digitale Anfragen an den Kreistag zu stellen. Man protestiere lieber, finde lieber alles schlecht, „aber tatsächlich mal eine Idee einzubringen, ist leider viel, viel zu selten“.

Erst seit zwei Jahren ist Neubauer, der früher als Journalist tätig war und später Bürgermeister der Stadt Augustusburg wurde, Landrat von Mittelsachsen. Unterstützt hatten seine Kandidatur SPD, Grüne und Linke. In der Stichwahl setzte er sich 2022 mit 55,6 Prozent gegen einen Kandidaten von der AfD und einen von der CDU durch. Seitdem war Neubauer der einzige Landrat in Sachsen, der nicht zur CDU gehört oder von ihr unterstützt wurde.

Sachsens SPD-Chef Henning Homann sieht darin auch einen Grund für Neubauers Scheitern: „Teile der CDU in Mittelsachsen haben die Wahl von Dirk Neubauer nie akzeptiert.“ Deshalb hätten sie sich jeder Sacharbeit verweigert und Schaden für den Landkreis in Kauf genommen, um Neubauer zu schaden. Dessen Rückzug sei „menschlich nachvollziehbar“, politisch aber eine „Katastrophe“, sagt Homann. Laut Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) verliere die Kommunalpolitik durch Neubauers Rückzug einen „leidenschaftlichen“ Demokraten. Massive Angriffe wie gegen ihn müssten sowohl gesellschaftlich als auch rechtlich bekämpft werden.

CDU und AfD kritisieren Neubauers Rückzug und seinen Politikstil

Aber es gibt auch Kritik an Neubauers Rücktritt, etwa von Jörg Woidniok, der wie Neubauer im Kreistag von Mittelsachsen sitzt und dort die Fraktion der CDU und des Regionalbauernverbands Erzgebirge (RBV) anführt: „Ich bin entsetzt, wie jemand so gewissenlos mit diesem Amt umgehen kann“, sagte Woidniok dem Mitteldeutschen Rundfunk. Neubauer sei mit dem Amt schlicht überfordert gewesen. Rolf Weigand (AfD), der Neubauer einst in der Stichwahl unterlag, sagt, Neubauer habe mit seiner Agenda „permanent“ mit dem Kopf durch die Wand gewollt. Er habe nicht den Mut und die Kraft gehabt, den demokratischen Kompromiss mit dem Kreistag auszuhandeln.

In seiner Rücktrittserklärung kündigte Neubauer an, auf der Kreistagssitzung am 14. August einen Beschluss für die Neuwahl des Landrates zur Abstimmung zu geben. Diese werde dann wohl noch in diesem Jahr stattfinden. Gegen Ende des Videos hebt Neubauer aber noch einmal den Zeigefinger: „Ich bin auch nicht weg“, sagt er. Mit dem Verein „Denkwerk Ost“ wolle er auch in Zukunft Politik machen – allerdings als außerparlamentarische Kraft.

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