Süddeutsche Zeitung

Neuauflage der großen Koalition:Jetzt wird regiert

Zum dritten Mal bildet die SPD eine Regierung mit Angela Merkel. Das Votum der Mitglieder ist eindeutig - und dennoch fehlt die Leidenschaft für das Bündnis.

Von Detlef Esslinger

Deutschland bekommt wieder eine reguläre Regierung. An diesem Montag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Bundestag Angela Merkel offiziell als Bundeskanzlerin vorschlagen, am 14. März soll sie dann für ihre vierte Amtszeit gewählt werden. Zum dritten Mal steht ihr die SPD als Koalitionspartner zur Seite, nachdem sich nun zwei Drittel der abstimmenden SPD-Mitglieder dafür ausgesprochen haben. Deren Stimmung gab die stellvertretende Parteivorsitzende Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, am Sonntag mit einem kühlen Ausdruck wieder: "eine Zweckentscheidung", sagte sie.

Damit kommt die mit Abstand längste Regierungsbildung in der Bundesrepublik zum Ende. Sie hat fast ein halbes Jahr gedauert, und damit nochmals drei Monate länger als 2013 - als die SPD ebenfalls erst nach einem Mitgliederentscheid in eine Koalition mit der Union eintrat. Das schwarz-gelbe Bündnis von 2009 hingegen stand bereits nach viereinhalb Wochen.

Die neue Koalition kommt nun zustande, weil sich 239 604 SPD-Mitglieder dafür ausgesprochen haben - und nur 123 329 dagegen. Dies entspricht einem Stimmenverhältnis von 66 zu 34 Prozent. Insgesamt hatten 378 437 der 463 722 stimmberechtigten Parteimitglieder teilgenommen, also mehr als 81 Prozent. Etwa 15 000 von ihnen - vier Prozent - scheiterten daran, gültige Stimmzettel in die Post zu geben; sie konnten nicht mitgezählt werden. Bei der CDU hatte ein Parteitag vor einer Woche dem Koalitionsvertrag zugestimmt, in der CSU sprach sich der Vorstand bereits vor einem Monat für das Bündnis aus.

Nachdem SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan das Ergebnis am Sonntagmorgen bekannt gegeben hatte, gab es in Berlin vier verschiedene Arten von Reaktionen: vielfaches Sortieren in der SPD; Erleichterung in der Union; sportliche Glückwünsche von FDP und Grünen; Polemik von der AfD, aber auch von der Linken.

Die Stimmung in der SPD brachte nicht nur die stellvertretende Vorsitzende Dreyer zum Ausdruck, die eigens betonte, es gebe "wenig Leidenschaft" für das Bündnis. Juso-Chef Kevin Kühnert, der sich als dessen führender Gegner in den vergangenen Wochen Bekanntheit und Respekt in vielen Lagern und Parteien erworben hat, sagte, die Jungsozialisten seien keine schlechten Verlierer. "Aus der SPD tritt man nicht aus, aus der SPD stirbt man raus." Jede Enttäuschung sei jetzt zwar verständlich, "und trotzdem ist die Idee dieser Partei wichtiger als unsere Gefühlslage".

Die Erleichterung bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, der CDU-Vorsitzenden, äußerte sich darin, dass sie den Sozialdemokraten in einem kurzen Statement zum "klaren Ergebnis" gratulierte. Schwungvollere Bemerkungen überließ sie ihren Kollegen. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer zum Beispiel fand die Worte: "Wird dringend Zeit für eine stabile Regierung."

Die Sozialdemokraten werden Merkel nun zum dritten Mal zur Kanzlerin wählen, es ist die vierte Koalition zwischen ihnen und der Union seit Bestehen der Bundesrepublik; die erste gab es von 1966 bis 1969. Die neue "große Koalition" kommt auf 399 der 709 Sitze im Bundestag; in der vorherigen Wahlperiode waren es noch 504 von damals 631 Sitzen. Eigentlich hatte sich Schwarz-Rot - und vor allem der rote Teil - im September als abgewählt betrachtet. Man fand nun nur deshalb wieder zusammen, weil die FDP im November die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen abgebrochen hatte. Ihr Vorsitzender Christian Lindner zollte der SPD "Respekt" zur Entscheidung der Basis. Er fügte jedoch an: "Es wäre auch ein Rätsel gewesen, wenn die SPD sich einem Koalitionsvertrag mit 70 Prozent eigenem Inhalt verweigert hätte." Seine Kollegin von den Grünen, Annalena Baerbock, fand es gut, dass die "Hängepartie" zu Ende sei: "endlich". Linke und AfD hingegen wählten beide den polemischen Ton. Linken-Chef Bernd Riexinger bezeichnete die Sozialdemokraten als Merkels "Steigbügelhalter", AfD-Fraktionschefin Alice Weidel fiel als Schmähung für die SPD ein: "neuer Kanzlerwahlverein".

Nachdem das Zustandekommen der Koalition geklärt ist, dürfte sich die Debatte nun verlagern: auf die Frage, wen SPD und CSU fürs Kabinett nominieren werden. Der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz sagte nur, die SPD werde drei Frauen und drei Männer in Ministerämter schicken - "einige, die schon dabei sind; einige, die neu sind." Dies wurde in Berlin so gedeutet, dass Familienministerin Katarina Barley und Justizminister Heiko Maas auch der neuen Regierung angehören sollen, womöglich aber in anderen Ressorts. Scholz wird aller Voraussicht nach Finanzminister und Vizekanzler; einer Frage danach in der SPD-Pressekonferenz wich er aus. Als wahrscheinlich gilt, dass die SPD zudem jemanden aus dem Osten nominieren wird - nachdem die CDU auf Minister aus diesem Landesteil verzichtet und der CSU dies nicht einfallen kann. Genannt wurde Franziska Giffey, die zwar Bürgermeisterin des westlichen Berliner Bezirks Neukölln ist, aber aus Frankfurt an der Oder stammt. Die CSU will ihre drei Minister an diesem Montag bekannt geben; klar ist nur, dass ihr Vorsitzender Horst Seehofer Minister für Inneres, Bauen und Heimat wird.

Das Kabinett wird längstens bis zur regulären Bundestagswahl im Herbst 2021 im Amt sein, dreieinhalb Jahre. Der Koalitionsvertrag enthält jedoch die Klausel, dass es im Herbst 2019 eine "Bestandsaufnahme" geben soll. Sie eröffnet die Möglichkeit, das Bündnis vorzeitig zu beenden - je nachdem, welche Chancen sich die Partner von vorgezogenen Wahlen versprechen. In Umfragen liegt die SPD derzeit bei 16 Prozent.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2018
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