Süddeutsche Zeitung

Netzwerktreffen in Sachsen:Frauen, fast unter sich

Der Ministerpräsident lud ein, die Kanzlerin kam - und sprach im Dresdner Albertinum über Parität und den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben sich hervorgetan mit Ausstellungen, die sich mit Künstlerinnen mehr befassten als mit Künstlern. "Gegen die Unsichtbarkeit" hieß eine, "Medea muckt auf" eine andere. Gerade erst eröffnete "Add to the cake", der Kuchen soll größer werden, nicht zuletzt durch "die Transformation der Rolle weiblicher Schaffender". Als Übertitel hätte das auch einigermaßen getaugt für den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagabend im Dresdner Albertinum. Dort empfing Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zum zweiten Frauennetzwerktreffen in Sachsen.

Etwa 500 Frauen folgten der Einladung - und leidlich auch dem allgemeinen Wunsch, nicht allein über "Frauenthemen" zu sprechen. Das mögliche Themenspektrum zeigten drei Teilnehmerinnen auf, die exemplarisch aus ihren Arbeitswelten berichteten. Eine Ärztin aus Bad Düben erzählte vom föderalen Irrsinn, dass Zugverbindungen an Grenzen des Landes und teils sogar der Landkreise einfach enden, was die Suche nach Arbeitnehmern erschwere. Eine Unternehmerin aus dem Erzgebirge sagte, wie wichtig Wertschätzung für den Zusammenhalt in der Gesellschaft sei, das gehe schon los mit dem soeben vergebenen Welterbetitel an die dortige Montanregion. Eine Medienschaffende aus Dresden sagte, wie wichtig es sei, dass sich Frauen an Vorbildern orientieren können.

Kompromisse in der Gesellschaft seien keineswegs "per se schon irgendwie faul", sagte Merkel

Das zeigte sich im besonderen Sinne, als Merkel im Albertinum eintraf. Handys schossen in die Höhe wie bei einem Popkonzert. Selten sei so ein Publikum für sie, aber aus einem anderen Grund, sagte Merkel - weil sie oft Veranstaltungen besuche, auf denen mehr Männer als Frauen seien. Was sie sogleich zu ihrem zentralen Gedanken führte, nämlich dass Parität an allen Stellen der Gesellschaft herrschen solle. In ihrer Rede mischte Merkel persönliche Erinnerungen mit Beschreibungen gesellschaftlicher Defizite und vagen Ansätzen, wie diese zu korrigieren seien. Bei den Defiziten kam sie auf den jährlichen Girls' Day zu sprechen und auf den Frauenanteil, der in gewissen technischen Berufen unter 30 Prozent liege. Auf die Frage aus dem Publikum, wie das zu ändern sei, sagte Merkel, vielleicht müsse man mal über getrennte Ausbildungsgruppen von Mädchen und Jungs schon in der Schule nachdenken.

Grundsätzliche Anmerkungen machte Merkel dazu, wie politische Fragen in der Gesellschaft verhandelt werden könnten. Debatten bräuchten eine Kultur, sagte sie, dazu zähle das Zuhören, das Anhören aller Interessen, aber diese Kultur fordere auch von allen, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. Diese seien zwar meist Kompromisse, aber keineswegs deshalb "per se schon irgendwie faul". Ohne Kompromiss gebe es kein Zusammenleben. Die Kanzlerin wird das nicht zufällig eingeflochten haben in einer Stadt, in der sie einmal mehr von ein paar Dutzend Trillermännern begrüßt worden ist, die Plakate hochhielten, auf denen sinngemäß stand, die Mehrheitsgesellschaft sei im Grunde verloren.

Drinnen verbiegen sich Leuchtröhren an der Wand unter anderem zu dem Schriftzug "Kunst der Gegenwart". Eine solche hat in gewisser Weise auch Michael Kretschmer zu vollbringen. Am 1. September will er im Land der Trillerpfeifen mit der CDU eine Wahl gewinnen und so unverdächtig sein Bemühen um das Frauennetzwerktreffen zunächst einmal ist, so richtig es auch, dass da am Montag 500 Multiplikatorinnen vor ihm saßen. Wie Merkel sprach auch Kretschmer über die Lage im Land und fragte nicht nur sich: "Wollen wir noch gemeinsam Dinge erreichen? Oder sind wir nur noch im Modus des Nölens?" Schon das erste Netzwerktreffen im Frühjahr habe ihm da Mut gegeben.

Auch Kretschmer sprach über die Lage im Land: "Wollen wir noch gemeinsam Dinge erreichen?"

Den Mut genommen hat ihm das zweite Treffen sicher nicht, selbst wenn die Fragerunde nach den Reden recht sprunghaft verlief. Von der Leiharbeit im Medizinwesen ging es zu der verblüffend komplexen Klimawandelfrage, auf welche Ausgangstemperatur sich eigentlich das Zwei-Grad-Ziel beziehe, und von dort zu der Forderung, den arg ökonomisch geprägten Innovationsbegriff bitte um mindestens zwei Dimensionen zu erweitern, jene des Sozialen und der Ökologie. Nein, nur über "Frauenthemen" sprach man an diesem Abend wirklich nicht.

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SZ vom 16.07.2019
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