Netzaktivisten in Ägypten:Resignation der Facebook-Revolutionäre

Raffen sich die Helden vom Tahrir-Platz noch einmal auf? Es sieht nicht danach aus. Im Jahr nach Mubarak reißt der Militärrat die Macht in Ägypten wieder an sich. Die Demonstranten von einst fühlen sich betrogen, ihre Energie schwindet. Das Web, einst Keimzelle der Proteste, verkommt zum Hort von Spott und Verdrossenheit. Manch einer fordert, die Revolution müsse endlich ins echte Leben getragen werden.

Jan Hendrik Hinzel, Kairo

Als Shady Abdulluah am vergangenen Sonntag das Wahllokal im Kairoer Stadtteil Mohandessin betrat, machte er weder bei Mohammed Mursi noch bei Ahmed Schafik sein Kreuzchen. "Fuck SCAF", kritzelte der 26-Jährige stattdessen auf den Wahlzettel. "Scheiß auf den Militärrat."

Facebook-Revolutionäre in Ägypten

Ein Demonstrant geht in Kairo mit seinem Laptop gegen Präsidentschaftsbewerber Ahmed Schafik auf die Straße. Das Web spielte beim Sturz von Mubarak eine tragende Rolle. Jetzt wird es von Spott und Verdrossenheit dominiert.

(Foto: Getty Images)

Es war ein nur ein kleiner Akt des Widerstands. Aber Shady Abdulluah ist kein Einzelfall. Genaue Angaben zur Wahlbeteiligung gibt es zwar noch nicht. Doch viele Ägypter dürften ihre Stimmzettel ungültig gemacht haben. Andere blieben der Stichwahl gleich ganz fern. Aus Protest gegen die zwei Kandidaten - oder gegen den Supreme Council of the Armed Forces (SCAF), den Militärrat, der am Sonntagabend die Verfassung änderte und seine Macht deutlich ausweitete.

Das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl soll erst am Donnerstag feststehen, doch schon jetzt feiern sich beide Kandidaten als Sieger. Mohammed Mursi von der fundamentalistischen Muslimbruderschaft tritt in Fernseh-Talkshows als künftiger Präsident auf. Er habe 52 Prozent der Stimmen errungen, heißt es. Die gleiche Zahl reklamiert Ahmed Schafiq für sich. Der frühere Ex-General gilt vielen als Kandidat des alten Regimes. Auch seine Nähe zum Militär wird kritisiert.

"Ich habe Mursi gewählt, obwohl ich ihn hasse"

Für viele der Aktivisten, die diese Abstimmung mit ihren Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz vor einem Jahr erst möglich gemacht haben, war es eine Wahl zwischen zwei Übeln. "Ich habe Mursi gewählt, obwohl ich ihn hasse", sagt der 25 Jahre alte Journalist Mohammed Abdelsalam. Seine Begründung: Schafik hasse er noch viel mehr.

Die Argumentation funktioniert anders herum genauso. Wer die Muslimbrüder nicht mag, wählte Schafik. In einem Punkt sind sich alle einig: Es bringt ja doch alles nichts.

Bei den Antreibern des Arabischen Frühlings hat sich Ernüchterung breitgemacht. Das zeigt sich in Gesprächen, auf der Straße, aber vor allem auch im Internet. Als im Januar vergangenen Jahres die Ägypter gegen ihren Präsidenten Hosni Mubarak auf die Straße gingen, war häufig von einer Facebook-Revolution die Rede. Tatsächlich spielten soziale Netzwerke eine zentrale Rolle.

Die Wahl polarisiert

In Gruppen wie "Wir sind alle Khaled Said", die dem ermordeten Blogger Khaled Said gewidmet ist, oder in der Facebook-Gruppe der Jugendbewegung "6. April" koordinierten viele Aktivisten ihre Protestaktionen. Über Twitter und Facebook schickten sie Warnungen, wann und wo Polizisten gegen Demonstranten vorgingen, oder verbreiteten Tipps zur Behandlung von Tränengas-Attacken. Das Web trug wesentlich dazu bei, dass die Massen auf den Tahrir-Platz strömten. Sie harrten aus, auch als die Regierung das Internet abstellte. Bis Mubarak schließlich stürzte.

Mehr als ein Jahr später ist davon kaum noch etwas zu spüren. Im Netz haben sich Zynismus und Spott breitgemacht. Die Wahl polarisiert.

"Freunde haben mich bei Facebook aus ihrer Liste gelöscht, nur weil ich für Schafik gestimmt habe", sagt ein junger Aktivist namens Ahmed. "Ich bin vorübergehend in ein Hotel gezogen, weil mein Bruder nicht Mursi, sondern Schafik gewählt hat. Einen Militär wählen, das war wie Verrat. Das konnte ich nicht ertragen" erzählt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht nennen möchte.

"Wenn du ein Revolutionär bist, tu etwas!"

Die Verfassungsänderung durch den Militärrat brachte zusätzlichen Frust. Seine Befugnisse sind noch einmal gewachsen. Er kann die verfassungsgebende Versammlung auflösen oder so lange von seinem Veto Gebrauch machen, bis ihm die Verfassung passt. Der Präsident wird zum Bittsteller: Ohne die Armee kann er kaum Entscheidungen treffen. Will er in den Krieg ziehen, müssen die Generäle zustimmen. Und bis ein neues Parlament gewählt wird, verabschiedet der Militärrat die Gesetze einfach selbst.

"Unser wahrer Präsident ist der Militärrat", heißt es seitdem bei Twitter. "Ägyptische Wahlergebnisse: Mursi: 52,5 Prozent, Schafik: 47,5 Prozent, Militärrat: 100 Prozent", lautet ein weiterer Eintrag. Ein anderer Post: "Kein Parlament, keine Verfassung, keine Einheit, keine Freiheiten und keiner, der sich darum schert. Glückwunsch."

"Wir haben nichts erreicht"

Tatsächlich ist es erstaunlich ruhig in Ägypten. Auf dem Tahrir-Platz sammeln sich nur vereinzelt Aktivisten zu spontanen Kundgebungen, ansonsten tanzen und trommeln am Montagabend einige Mursi-Anhänger, um den Sieg ihres Helden zu feiern. Dabei haben die Muslimbrüder und die Jugendbewegung "6. April" zu neuen Protesten aufgerufen. Shady Abdulluah, der den Militärrat auf seinem Stimmzettel beleidigte, wird dem Appell folgen. Aber er klagt, viele seiner Freunde hätten dafür keine Nerven oder Energie mehr. "Wir haben nichts erreicht. Dabei sind wir schon so lange und immer wieder auf der Straße."

Liegt es womöglich an den Demonstranten selbst? Diese These vertritt Mahmoud Salem, der mit seinem Blog oft als Paradebeispiel der ägyptischen Internet-Aktivisten-Szene herhalten muss. Auf die Straße gehen, weiterkämpfen, das sei nicht mehr genug, schreibt Salem auf seiner Seite Sandmonkey.

Er geht mit seinesgleichen hart ins Gericht: "Wenn du ein Revolutionär bist, zeige uns deine Fähigkeiten. Starte etwas. Gründe eine Partei oder eine Institution. Löse ein Problem. Mache etwas, außer von einer Demonstration zu einem Marsch zu einem Sit-in zu rennen", schreibt er in seinem Blog. Er wirft den Aktivisten Verkopftheit vor und Realitätsferne. Sie seien zu sehr darauf aus, Ideen aus Büchern zu übernehmen, ohne zu wissen, wie sie in der ägyptischen Realität anzuwenden seien. Richtige Straßenarbeit würden sie nicht leisten.

Facebook und Twitter hätten vielleicht in den ersten Tagen bis zu Mubaraks Sturz geholfen. Aber ob sich damit eine ganze Revolution gewinnen lasse? Daran hat Salem Zweifel.

Wer mit seinen Tweets und Posts immer nur auf andere Tweets und Posts reagiert oder nur die Online-Community zum Protest auffordert, der dreht sich irgendwann im Kreis. Zumal in einem Land mit einer Analphabetenquote von etwa 30 Prozent.

"Jetzt habe ich es gesagt"

Doch ob Blogger Salem mit seinen Worten überhaupt noch durchdringt? Enas al-Masry wird er wohl nicht erreichen. Die 21-Jährige ging früher keiner Diskussion aus dem Weg. Während der politischen Umbrüche im vergangenen Jahr war sie Praktikantin bei ägyptischen Zeitungen, schrieb Artikel und twitterte privat über Politik. Jetzt will sie nicht mehr, hat keine Nerven mehr für politische Diskussionen. "Wer soll bei diesem Chaos denn noch durchblicken? Ständig ändern alle irgendetwas. Ständig passiert etwas Neues. Und jeder weiß alles besser", sagt sie.

Tatsächlich folgt Rückschlag auf Rückschlag. Der Freispruch mutmaßlicher Mörder von Aktivisten. Ein neues Notstandsgesetz, die Auflösung des Parlaments, die Übergangsverfassung zugunsten des Militärrats. Schließlich die Wahl des Präsidenten und die Verfassungsänderung. All das passierte innerhalb von zwei Wochen.

Also geht es vielen wie Enas, der einst so Engagierten, die bei Twitter schreibt: "Ich mache keine Politik. Ich lese nichts mehr über Politik. Ich rede nicht mehr über Politik. Ich verstehe nichts von Politik. Jetzt habe ich es gesagt."

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