IsraelGeheimdienstchef darf vorerst im Amt bleiben

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Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (l.) und Geheimdienstchef Ronen Bar, als sie im April 2024 noch an einem Tisch saßen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (l.) und Geheimdienstchef Ronen Bar, als sie im April 2024 noch an einem Tisch saßen. (Foto: Koby Gideon/Koby Gideon/GPO/dpa)

Das Oberste Gericht erlässt eine einstweilige Verfügung gegen die Entlassung von Ronen Bar - und dringt auf einen Kompromiss zwischen der Regierung Netanjahu und der Justiz.

Von Kristiana Ludwig, Tel Aviv

Israels Oberstes Gericht erlaubt die von der rechtsreligiösen Regierung gewünschte Entlassung des Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar vorerst nicht. Die Richter erließen am Dienstag eine einstweilige Verfügung, wonach der Schin-Bet-Chef im Amt bleiben muss und seine Befugnisse nicht eingeschränkt werden dürfen, bis es eine finale Entscheidung in dem Fall gibt. Die Regierung darf demnach auch keinen Nachfolger für Bar ernennen. Nachfolgekandidaten dürften aber befragt werden. Die Richter regten zudem an, dass die israelische Regierung und die Generalstaatsanwaltschaft einen Kompromiss in dem Rechtsstreit erreichen sollen und gab beiden Seiten zunächst bis zum 20. April dafür Zeit. Sollten sie keine Einigung erzielen, wird das Gericht entscheiden.

In den vergangenen Wochen hatte der Ministerpräsident dennoch erklärt, er werde Bar feuern, unabhängig von der Gerichtsentscheidung. Doch wenn die Regierung die Entscheidung der Justiz ignorieren würde, käme dies einer Verfassungskrise gleich. Seit Wochen gehen deshalb in Israel Tausende Menschen auf die Straße. Auch die Verhandlung am Dienstag wurde von Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude begleitet. Parallel dazu gab es Kundgebungen pro Netanjahu.

Das Gericht wirft eine Likud-Abgeordnete aus dem Saal

Das Gericht prüfte Beschwerden gegen Bars Entlassung. Israelischen Medien zufolge reagierten die Richter zunächst skeptisch auf die Position von Netanjahus Regierung. Bis zum Nachmittag verlief die Verhandlung holprig: Die Sitzung war gleich zu Beginn mehrfach durch laute Zwischenrufe gestört worden, weshalb die Richter sie unterbrechen und Zuschauer von der Verhandlung ausschließen mussten. So hatte etwa der Vater eines in Gaza gefallenen Soldaten Ronen Bar vorgeworfen, an seinen Händen klebe Blut – denn der Inlandsgeheimdienst hatte einräumen müssen, dass er den Angriff der Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 nicht hatte kommen sehen, woraufhin Israels Armee in Gaza einmarschierte. Der Mann musste aus dem Gerichtssaal gebracht werden.

Kurz nach Wiederaufnahme der Verhandlung störte dann eine Parteifreundin von Netanjahu, die Likud-Abgeordnete Tally Gotliv, mit Zwischenrufen, berichteten israelische Medien. Der Präsident des Gerichtshofs, Isaac Amit, verwies auch sie des Saales. Amit habe die Zwischenrufe als „heftig“ bezeichnet. Er sagte, es sei „ziemlich empörend“, dass „die Legislative keine Verfahren in der Judikative zulässt“.

Das Gericht muss entscheiden, ob die Entlassung Ronen Bars unzulässig ist, weil bei Netanjahu ein Interessenkonflikt vorliegt. Denn der Inlandsgeheimdienst ermittelt derzeit gegen Vertraute des Ministerpräsidenten wegen ihrer möglichen Verbindungen zu Katar. Zwei seiner Berater, Yonatan Urich und Eli Feldstein, waren in der vergangenen Woche für mehrere Tage in Polizeigewahrsam genommen worden, auch Netanjahu selbst wurde befragt. Untersucht wird, ob Katar über Geldzahlungen an die beiden Männer Einfluss auf die israelische Regierungspolitik nehmen konnte. Als PR-Berater hatten sie offenbar auch im Auftrag von Katar Kontakt zu Journalisten gesucht, um das Image des Staates zu verbessern.

Welchen Einfluss hatte Katar auf die israelische Regierung?

Fraglich ist, ob diese Tätigkeit als „Kontakt zu ausländischen Agenten“ eingestuft werden kann, was in Israel ein Straftatbestand wäre. Offen ist auch, inwiefern die Einflussnahme Katars sich auf den Ministerpräsidenten auswirkte oder ob den Beratern Korruption vorgeworfen werden kann. Schließlich sind sie formal keine staatlichen Beamten. Dass dies nicht so sei, argumentiert jedenfalls der Anwalt von Urich – der im Übrigen auch Ministerpräsident Netanjahu in dessen Korruptionsprozess vertritt. Medienberichten zufolge steht gegen Urich außerdem der Vorwurf der Geldwäsche im Raum.

Die Affäre, in Israel „Katargate“ genannt, wird zudem von der Generalstaatsanwältin untersucht. Netanjahus Kabinett hatte zuletzt auch ihre Entlassung vorangetrieben. Gerichtspräsident Amit sagte, dass Netanjahu seine persönliche Verbindung zu den Ermittlungen gegen Urich und Feldstein selbst ins Spiel gebracht habe und damit auch seinen möglichen Interessenkonflikt bei der Entlassung Ronen Bars. Schließlich hatte er die Ermittlungen im Anschluss an seine Anhörung bei der Polizei als „Hexenjagd“ bezeichnet. Netanjahu wurde nun als Zeuge befragt, nicht als Verdächtiger.

Der Ministerpräsident sprach außerdem davon, dass seine Mitarbeiter von der Polizei als „Geiseln“ gehalten würden – ein Ausdruck, der angesichts der 59 verbliebenen Hamas-Geiseln in Gaza in Israel Empörung auslöste. Die großen Demonstrationen in Israel kritisieren nicht nur die Entlassung Bars, sondern fordern auch eine Befreiung der Geiseln. Seit Israels Regierung die Waffenruhe in Gaza beendet hat, erscheint ihre Freilassung in weite Ferne gerückt.

Während in Jerusalem das Oberste Gericht tagte, war Netanjahu zu einem Spontanbesuch nach Washington geflogen, um dort mit US-Präsident Donald Trump auch über die Zukunft des Gazakonflikts zu sprechen. Eine gemeinsame Presseerklärung am Montagabend fiel jedoch aus.

In der israelischen Bevölkerung ist eine überwiegende Mehrheit für ein Ende des Kriegs in Gaza. Umfragen zufolge sind auch die meisten Israelis der Ansicht, dass die Regierung der Entscheidung des Obersten Gerichts Folge leisten sollte – wie auch immer sie ausfällt.

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