Netanjahu in den USA:Konfrontation mit dem Freund

Zwischen den USA und Israel ist offener Streit über die Grenzfrage ausgebrochen, auch der Besuch von Premier Netanjahu im Weißen Haus brachte keine Annäherung. Was aber passiert, wenn plötzlich Tausende Palästinenser auf Israels Grenzen zustürmen? Ein Blutbad könnte die gesamte Region in Flammen setzen. Obama muss gegen den Blockierer Netanjahu deutlich Stellung beziehen - zu dessen eigenem Wohl.

Peter Münch

Was für ein Genuss es doch gewesen ist, den arabischen Frühling zu feiern. Statt um Krieg und Krisen ging es plötzlich um Facebook und Freiheit, um friedliche Demos und um Demokratie. Nun aber naht der Sommer, in Syrien schießt der Despot sein Volk zusammen und in Libyen herrscht Bürgerkrieg.

Israel Grenzen

Israels Grenzen. Zum Vergrößern klicken Sie bitte in die Karte. Graphik: SZ.

Der Wandel, der von so vielen Hoffnungen begleitet wird, ist damit gewiss noch nicht zu Ende. Doch über den Aufbruch schiebt sich immer deutlicher ein Schatten. Denn auf dem Weg zum neuen Nahen Osten türmt sich immer noch das alte Kernproblem der Region auf: der israelisch-palästinensische Konflikt.

Es wurde also höchste Zeit, dass sich der mächtigste Mann der Welt wieder des Themas annimmt. Barack Obama hat in seiner Nahost-Rede die beiden Ziele klar formuliert, die seine Regierung in der Region erreichen will: Demokratie in der arabischen Welt sowie einen Friedensschluss zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Erfolg hängt allerdings entscheidend davon ab, ob es ihm gelingt, die beiden Ziele zusammenzuführen. Ohne Demokratie ringsum wird es keinen Frieden geben, und ohne Frieden kann der arabische Anlauf zur Demokratie nicht gelingen.

Wie die USA den Transformationsprozess der arabischen Nationen fördern und gestalten wollen, hat Obama schlüssig umrissen. Hier zeigt sich Amerikas Stärke. Die Schlagworte sind Finanzhilfe und Schuldenerlass, Investitionen und Handel, kurz: Der Weg in die Demokratie soll, soweit das die angespannte Haushaltslage zulässt, mit Dollar gepflastert werden. Das ist die richtige Idee, weil eine Zivilgesellschaft zu allererst Jobs und Perspektiven braucht, wenn sie denn stabil sein soll. Überdies gibt es gelungene historische Vorbilder: Im Westen Europas hat ein solches Aufbauprogramm 1945 funktioniert, im Osten nach 1989.

Für den Nahen Osten aber ist Geld allein zu wenig. Denn zum konkreten Aufbauplan müsste ein konkreter Friedensplan kommen - und hier zeigt sich Amerikas Schwäche. In fast zweieinhalb Jahren im Amt ist es Obama trotz großspuriger Ankündigungen nicht gelungen, Israel und die Palästinenser an den Verhandlungstisch zu bringen. Gescheitert ist er dabei vor allem an dem Mann, den er nur 24 Stunden nach seiner Nahost-Rede im Weißen Haus empfangen durfte - an Benjamin Netanjahu. So kurz also kann der Weg sein vom hohen Pathos zurück in die Niederungen der praktischen Politik.

Der Bruch mit Obama

Die Freundschaft zwischen den USA und Israel, das wird oft genug betont, ist unverbrüchlich. Die Beziehung zwischen dem US-Präsidenten und dem israelischen Premier aber ist voller Brüche. Das wird nun auch in der Einschätzung des arabischen Frühlings deutlich. Denn wo Obama erkannt hat, dass er den Wandel nicht aufhalten kann, sondern ihn mitgestalten muss, gibt sich Netanjahu der Illusion hin, dass er die Sache erst einmal aussitzen kann.

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Sturm auf Israels Grenzen: Israels Armee konnte die Demonstranten vor einigen Tagen nur mit Waffengewalt und um den Preis mehrerer Toter abwehren.

(Foto: Getty Images)

Wie gefährlich diese Illusion ist, hat sich in dieser Woche gleich mehrfach gezeigt. In Ägypten richtete sich der Furor der Massen plötzlich nicht mehr gegen die heimischen Missstände, sondern wandte sich reflexartig gegen den verhassten Nachbarn. Die Botschaft der Krawallmacher vor Israels Botschaft ist eindeutig: Der Frieden, den der gestürzte Präsident Hosni Mubarak hochgehalten hat, ist in Gefahr.

Das zweite Alarmsignal kommt von der seit fast 40 Jahren friedhofsruhigen Grenze zu Syrien, wo Israels Armee einen Ansturm von Demonstranten nur mit Waffengewalt und um den Preis mehrerer Toter abwehren konnte. Hier hat Präsident Baschar al-Assad auf dem Golan ein Warnschild aufgestellt: Bedrängt vom heimischen Aufruhr könnte er die Wut seines Volkes nach außen lenken - und sich mit einem Krieg gegen Israel Entlastung schaffen.

Das sind bedrohliche Szenarien, und sie allein sollten reichen als Beleg für die Linie von Obama, Merkel und Co.: Der arabische Aufbruch - egal, ob er zum Ziel führt oder stecken bleibt - macht einen Friedensschluss zwischen Israel und den Palästinensern nur noch dringlicher. Doch statt endlich aktiv mit ihren Freunden zusammenzuarbeiten, wartet die Regierung in Jerusalem mit größtmöglicher Ignoranz auf eine weitere Welle, die schon bald auf sie zurollen könnte: ein neuer palästinensischer Aufstand.

Diese Intifada wird gewiss anders sein als ihre Vorgänger. Ausgelöst werden könnte sie im September, wenn Präsident Machmud Abbas in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Anerkennung des Palästinenser-Staats zur Abstimmung stellen will. Praktische Auswirkungen wird das nicht haben, weil allein der Sicherheitsrat den Weg zur Anerkennung eines Staates empfehlen kann. Endgültig anerkennen können sich am Ende zwar nur Staaten. Aber der Propaganda-Effekt einer großen Sympathiebekundung der UN-Vollversammlung wäre für die Palästinenser enorm.

Eine neue Intifada?

Damit könnten die Palästinenser zum einen Barack Obama bloßstellen, der bei der letzten Vollversammlung noch die Aufnahme Palästinas binnen eines Jahres verheißen hatte. Nun wird dieser Präsident die Abstimmung torpedieren, solange sie nicht die Frucht einer Verhandlungslösung mit Israel ist. Das lässt seine Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt weiter sinken.

Gleichzeitig dürften die Palästinenser den Israelis die dramatisch wachsende Isolation des jüdischen Staats vor Augen führen. Denn eine sehr große Mehrheit für den Antrag gilt als sicher, auch bei zahlreichen Europäern wird er Unterstützung finden.

Zum Druck von oben, durch die Mitglieder der Vereinten Nationen, wird Druck von unten kommen, von den Menschen auf den Straßen in Ramallah, Nablus oder Gaza. Was aber passiert, wenn plötzlich Zigtausende, inspiriert von den Protesten in den arabischen Nachbarländern, unbewaffnet, aber entschlossen auf Israels Grenzen oder auf jüdische Siedlungen zumarschieren? Die Armee müsste vor dem palästinensischen Protest kapitulieren - was kaum vorstellbar ist. Oder sie wird ihn gewaltsam stoppen. Ein solches Blutbad aber könnte die Region in Flammen setzen.

Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass Barack Obama dem Blockierer Netanjahu die Festlegung der Regeln überlassen darf. Es ist Zeit für eine Konfrontation mit dem Freund - zu dessen eigenem Wohl. Denn es gibt nur einen Weg, die nahende Eskalation über die Vereinten Nationen und die Straßenproteste zu vermeiden: eine schnelle Rückkehr zu Verhandlungen. Nach Jahren des gefährlichen Stillstands ist die Zeit gekommen, dass die USA ihre Positionen ausformulieren und auf den Tisch legen müssen.

Mit dem Bekenntnis zu den Grenzen von 1967 hat Obama nun bereits einen ersten Pflock eingeschlagen - zum Entsetzen Netanjahus. Ebenso deutlich muss er in den anderen Streitpunkten Position beziehen. Wenn er das aus Rücksicht auf Israel scheut, kann er sich seine Angebote an die arabische Welt sparen. Dann muss er sich aber auch auf einen heißen Herbst im Nahen Osten einstellen.

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