Israels Vergeltung gegen Iran:Biden telefoniert mit Netanjahu

Lesezeit: 3 Min.

Das persönliche Verhältnis zwischen US-Präsident Joe Biden und Israels Premier Benjamin Netanjahu gilt als zerrüttet. (Foto: Brendan Smialowski/AFP)

Fast zwei Monate hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Jetzt hat Israels Premier US-Präsident Biden wohl darüber informiert, wie das Land auf Irans Raketenangriff reagiert.

Von Matthias Kolb

Natürlich hat Joe Biden am 7. Oktober zum Telefonhörer gegriffen und in Israel angerufen. Am ersten Jahrestag des Überfalls der Terrororganisation Hamas auf Israel, bei dem knapp 1200 Menschen ermordet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, sprach der US-Präsident dem israelischen Staatsoberhaupt Isaac Herzog sein Beileid aus und sicherte die Solidarität der Vereinigten Staaten zu.

Ein Anruf Bidens bei Premier Benjamin Netanjahu blieb aus. Nun haben die beiden an diesem Mittwoch zum ersten Mal nach fast zwei Monaten wieder telefoniert. An dem Gespräch nahm auch Vizepräsidentin Kamala Harris teil, wie das Weiße Haus mitteilte.

Den Angaben zufolge bekräftigte Biden in dem Telefonat seine „eiserne“ Unterstützung für die Sicherheit Israels und verurteilte den iranischen Raketenangriff vom 1. Oktober auf Israel scharf. Er betonte dabei das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen die Hisbollah-Miliz, mahnte jedoch zugleich zur Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, insbesondere in den dicht besiedelten Gebieten der libanesischen Hauptstadt Beirut.

Es war außerdem erwartet worden, dass Netanjahu darüber informieren wird, welche Gegenschläge Israels Militär nach Irans Angriff mit 180 Raketen vom 1. Oktober ausführen wird. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte von Israel „Klarheit und Transparenz“ über die Vergeltung eingefordert, da sie Folgen für Washingtons Interessen und das US-Militär in der Region haben dürfte. Details aus dem Gespräch zu diesem Thema wurden bislang nicht bekannt.

Israels Angriffe auf Iran werden „bedeutend“ sein, berichten Insider

Wie der Axios-Reporter Barak Ravid schreibt, ist ein „bedeutender“ Gegenschlag geplant, mit Luftangriffen auf iranische Militäranlagen und „Geheimoperationen“. Als Beispiel genannt wird die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran. Eindeutiger Protest dürfte aus Washington kommen, wenn Netanjahu Attacken auf Irans Ölindustrie oder gar die Atomanlagen ankündigen sollte. Dies könnte sowohl zu höheren Energiepreisen als auch zu einer weiteren Eskalation führen. Beides möchte Biden vier Wochen vor der US-Wahl vermeiden.

Inwieweit Netanjahu Bidens Bitten nach Mäßigung berücksichtigen wird, ist jedoch offen. In den vergangenen Wochen hat sich der israelische Premier wiederholt über Warnungen hinweggesetzt. Das persönliche Verhältnis von Joe und Bibi, wie Netanjahu meist genannt wird, ist zerrüttet. Dass das letzte Telefonat knapp zwei Monate her war, ist erstaunlich angesichts der engen Allianz beider Staaten und der aktuellen Weltlage.

Kurz vor dem Telefongespräch zitierten auch noch mehrere US-Medien aus dem neuen Buch von Bob Woodward. Der legendäre Investigativjournalist schreibt in „Krieg“, dass Biden Netanjahu als „verdammt schlechten Kerl“ und „Hurensohn“ bezeichnet habe, meldet etwa CNN.

Für Biden ist Israels Premier ein „Lügner“, der nur an sein politisches Überleben denke

Oft habe der US-Präsident gewarnt, wie sehr Israels Ruf wegen der Kriegsführung leide: „Ihr werdet immer mehr als Schurkenstaat wahrgenommen.“ Seinen Mitarbeitern gegenüber verbirgt Biden nicht, dass er viele Aussagen Netanjahus nicht ernst nehmen könne. So habe der Premier erklärt, dass die umstrittene Offensive gegen die Hamas in Rafah im Süden des Gazastreifens nach „nur drei Wochen“ vorbei sein werde. „Es wird Monate dauern“, habe Biden wütend entgegnet.

Die Washington Post zitiert aus dem Buch, dass Biden den Israeli in vertraulichen Gesprächen als „Lügner“ bezeichnet habe, der nur an seinem politischen Überleben interessiert sei. Netanjahu ist in Israel unter anderem wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit angeklagt und hat sich bisher nicht für die Fehler von Politik und Militär entschuldigt, die es vor dem Hamas-Überfall am 7. Oktober gab. Biden hat bereits früher öffentlich erklärt, dass Netanjahu nach seiner Überzeugung „nicht genug“ tue, um die Geiseln aus der Gewalt der Hamas freizubekommen. Laut Woodward soll der US-Präsident gesagt haben, dass 18 der 19 Leute, die für Netanjahu arbeiten, Lügner seien.

Verärgerung dürfte in Washington auch die Nachricht ausgelöst haben, dass Netanjahu seinem Verteidigungsminister Joav Gallant kurzfristig nicht gestattet hat, eine Reise in die USA anzutreten. Gallant genießt in Washington einen hervorragenden Ruf und sollte Pentagon-Chef Lloyd Austin treffen. Neben den Militäreinsätzen gegen die Hamas im Gazastreifen und die militante Hisbollah-Organisation in Libanon wäre die Vergeltungsaktion gegen Iran wohl das wichtigste Thema gewesen.

Begründet wird Netanjahus Veto damit, dass das Sicherheitskabinett bislang nicht über die Reaktion auf Irans Raketenangriff entschieden habe. In der Zeitung Haaretz wird eine andere Vermutung geäußert: Netanjahu konnte so nicht nur seinen parteiinternen Rivalen Gallant „demütigen“, sondern wollte Biden dazu zwingen, mit ihm am Telefon zu sprechen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in Nahost
:Wie Benjamin Netanjahu an der Macht bleibt

Viele Israelis geben Premier Netanjahu die Schuld am 7. Oktober und werfen ihm bei Protesten Skrupellosigkeit und Egoismus vor. Der lehnt jede Entschuldigung ab und hält sich clever im Amt.

Von Matthias Kolb

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: