Israel:Das Ultimatum bringt Netanjahu in Bedrängnis

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Riss in der Koalition: Ein Wahlplakat aus dem Jahr 2023 zeigt den Zustand im israelischen Kriegskabinett. Premier Netanjahu (links) und der Anführer der Nationalen Einheitspartei, Benny Gantz. (Foto: Ammar Awad/Reuters)

Benny Gantz, der beliebteste Politiker des Landes, gibt dem Premier bis zum 8. Juni Zeit für einen Kurswechsel im Gaza-Krieg. Ansonsten will er das Kriegskabinett verlassen. Der Streit um das richtige Vorgehen steuert auf seinen Höhepunkt zu.

Von Stefan Kornelius

Der Druck der Straße hat nun auch den Kern des israelischen Kriegskabinetts erreicht: Benny Gantz, eines der drei Mitglieder des Kriegskabinetts und Führungsfigur der stärksten politischen Kraft im Parlament, hat Premierminister Benjamin Netanjahu ein Ultimatum zur radikalen Veränderung der Kriegspolitik gestellt. Andernfalls werde er seine Unterstützung für die parteiübergreifende Führung des Landes beenden und das Kriegskabinett verlassen.

Gantz' Absetzbewegung wurde schon seit Wochen erwartet. Jetzt trat er am Abend vor dem Besuch des US-Sicherheitsberaters Jake Sullivan in Jerusalem vor die Kameras und forderte den Premier zum Kurswechsel bis zum 8. Juni auf. Gantz nannte sechs Punkte als Bedingung - er wurde von Netanjahu aber unmittelbar zurückgewiesen.

Ein Rückzug würde die Kriegskoalition nicht stürzen

Für Netanjahu wäre ein Rückzug von Gantz und der Partei der Nationalen Einheit weiterhin nicht das Ende, Neuwahlen wären nicht zwingend nötig. Seine Koalition hätte noch immer eine Mehrheit von vier Stimmen im 120-köpfigen Parlament. Allerdings wäre der Premier noch stärker abhängig von der Unterstützung der extremen Rechten, die eine noch aggressivere Kriegsführung fordern. Sollte die Rechts-Regierung dann doch kollabieren, wären Neuwahlen unausweichlich. Gantz wäre aktuellen Umfragen zufolge eine klare Mehrheit sicher.

Der frühere Generalstabschef und Verteidigungsminister Gantz spiegelt mit seinem Schritt die Stimmung auf der Straße wider. Auch am Samstagabend kam es zu einer Demonstration mit Zehntausenden Teilnehmern, die das Schicksal der von der Hamas entführten Geiseln umtreibt und Verhandlungen zur Freilassung der etwa 130 Männer und Frauen fordert. Am Samstag wurde die Leiche eines Mannes geborgen, der am 7. Oktober von der Hamas entführt worden war. Es handelte sich um den vierten Toten, der binnen zwei Tagen gefunden worden war. Das Schicksal der Geiseln ist in den vergangenen Wochen wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

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Die Spannungen im Kriegskabinett sind schon seit Monaten Gegenstand der zentralen Spekulation im Gaza-Krieg: Wie lange kann sich Premier Netanjahu an der Macht halten und Neuwahlen vermeiden? Gantz hatte Netanjahu mit dem Eintritt in das Einheits-Kabinett faktisch freie Hand für die Kriegsführung gegeben und damit dem nationalen Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz vor der Hamas Vorrang gelassen. Die zermürbenden Verhandlungen mit der Hamas, das gerade gescheiterte Waffenstillstandsabkommen und der massive Druck hauptsächlich der USA auf Netanjahu haben die öffentliche Stimmung in Israel erneut angeheizt.

Sechs Bedingungen für eine neue Politik

Gantz stellte in seiner Fernsehansprache am Samstagabend sechs Bedingungen, unter denen die Forderung nach einer politischen Nachkriegsordnung ganz oben steht. Gantz spricht von einer Sicherheitskontrolle des Gazastreifens durch Israel, aber auch einer Zivilverwaltung durch die USA, die Staaten Europas, der arabischen Nachbarn und auch der Palästinenser. Zentrale Forderung ist eine Verhandlungsführung mit dem Ziel der Freilassung der Geiseln. Allerdings spricht auch Gantz von der Zerschlagung der Hamas und einer Demilitarisierung des Gazastreifens. Große Zustimmung im säkularen Teil der Bevölkerung wird die Forderung nach einer Ausweitung der Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden auslösen. Weitere Punkte betreffen die Rückkehr israelischer Bewohner in den Norden des Landes und die weitere Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien.

Netanjahu reagierte in der gewohnten Schärfe. Er warf Gantz vor, dem Premierminister anstelle der Hamas ein Ultimatum zu stellen. "Die Bedingungen, die von Gantz gestellt werden, sind leere Worte, deren Bedeutung klar ist: das Ende des Krieges und die Niederlage Israels." Netanjahu weigert sich seit Wochen, einen politischen Plan für die Nachkriegszeit vorzulegen und ist sich darin mit den ultrarechten Parteien seiner Koalition einig.

Allerdings stellt ihm Gantz' Ultimatum nun vor ein Dilemma: Verlassen die Parteien der Nationalen Einheit das Kriegskabinett, wächst der Einfluss der Ultrarechten um Finanzminister Bezalel Smotrich und den Nationalen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir. Netanjahu würde immer stärker in die Radikalität getrieben und müsste mit gravierendem Protest der Öffentlichkeit rechnen. Gantz machte in seiner Fernsehansprache dieses Dilemma deutlich, indem er Netanjahu davor warnte, dem "Pfad der Fanatiker zu folgen, die die ganze Nation in den Abgrund führen". Auch in Netanjahus eigener Partei, dem Likud, verstummen die kritischen Stimmen nicht. Verteidigungsminister Joav Gallant ermahnte Netanjahu vor einigen Tagen, die Interessen der Nation über "persönliche oder politische Kosten" zu stellen.

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