Neonazis und der 1. Mai:Internationale Nationale

Seit mehreren Jahren versuchen Neonazis den 1. Mai zum Tag der deutschen Arbeit umzudeuten. An diesem Sonntag wollen sie in Heilbronn gegen die drohende "Fremdarbeiterinvasion" auf die Straße gehen - und holen sich Unterstützung aus Tschechien.

Kathrin Haimerl

Düstere Klassik untermalt das völkische Bedrohungsszenario: Die Invasion der Fremden. Schnitt. Zum sentimentalen Geigensolo referiert eine Stimme aus dem Off über osteuropäische Arbeitsnomaden und Lohndumping in Deutschland. Szenenwechsel. Gepixelte Gestalten ziehen mit Fahnen und Plakaten durch die Straßen. "Arbeiterkampftag" steht auf einem. Und: "Deutsche wehrt euch - gegen Kapital und Überfremdung", auf einem anderen. Mit diesen Szenen und der Forderung "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" werben Neonazis im Netz für einen Aufmarsch an diesem Sonntag im schwäbischen Heilbronn.

Neonazis machen zum 1. Mai mobil

Neonazis auf einer Mai-Kundgebung in Dortmund: Seit Jahren versuchen Rechtsextreme den internationalen Tag der Arbeit für sich zu vereinnahmen. In diesem Jahr mobilisieren sie für Aufmärsche in Halle und Heilbronn.

(Foto: dpa)

Seit mehreren Jahren versuchen Rechtsextreme, den internationalen Tag der Arbeit als "Tag der deutschen Arbeit" zu vereinnahmen, indem sie Aufmärsche in verschiedenen Städten organisieren. Neben Heilbronn wollen Neonazis an diesem Sonntag noch in Halle marschieren. Die von der NPD angemeldete Kundgebung in Greifswald wurde verboten. Historisches Vorbild ist das NS-Regime, das den 1. Mai als "Tag der nationalen Arbeit" zum gesetzlichen Feiertag erklärte und für Propaganda und Paraden nutzte.

Für die Veranstaltung in Heilbronn mobilisiert ein so genanntes nationales und soziales Aktionsbündnis 1. Mai - ein Zusammenschluss aus "parteifreien und parteigebundenen Vertretern verschiedener nationaler Gruppen". Einem NPD-Sprecher zufolge sind an der Organisation des Aufmarsches mehrere süddeutsche Landesverbände maßgeblich beteiligt. Die Polizei in Heilbronn erwartet lokalen Medienberichten zufolge bis zu 800 Teilnehmer und bereitet sich auf einen Großeinsatz vor: Neben einer Gegenkundgebung unter der Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes ruft ein breites Bündnis aus Jugendgruppen zur Blockade des Aufmarschs auf. Bei den vergangenen Neonazi-Märschen in Schweinfurt und Ulm kamen bis zu 20.000 Gegendemonstranten.

Der diesjährige Neonazi-Aufmarsch in Heilbronn steht unter dem Motto: "Unsere Heimat - unsere Arbeit. Fremdarbeiterinvasion stoppen." Anlass ist das Gesetz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, das an diesem Sonntag in Kraft tritt. Es erlaubt Arbeitnehmern aus den osteuropäischen EU-Ländern und den drei baltischen Republiken ohne Beschränkungen in Deutschland zu arbeiten. Damit die rechtsextremen Marschteilnehmer wissen, aus welchen Ländern diese Billiglohnarbeiter den deutschen Markt überschwemmen könnten, werden in dem rechtsextremen Mobilisierungsvideo nach und nach die Namen einzeln eingeblendet: Ungarn, Slowakei, Tschechien ...

Moment mal. Tschechien? Für die Kundgebung in Heilbronn haben sich die Organisatoren auch einen Redner aus Tschechien geladen: Jiří Petřivalský von der tschechischen DSSS ("Dělnická strana sociální spravedlnosti", Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit). Bei der DSSS handele es sich um die Nachfolgepartei der in Tschechien inzwischen verbotenen neonazistischen Partei DS (Dělnická strana), erklärt der Journalist Bernhard Odehnal, der die rechtsextremen Bewegungen in den früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion beobachtet.

Überhaupt ist die Rednerliste mit Blick auf das fremdenfeindliche Motto sehr international gehalten: Neben dem Redner aus Tschechien sollen noch ein Neonazi aus Schweden sowie ein Vertreter der Partei National Orientierter Schweizer sprechen. Mit Gottfried Küssel ist auch ein prominenter Vertreter der österreichischen Nazi-Szene geladen. Der sitzt allerdings seit Mitte April in seiner Heimat in Untersuchhaft.

Bizarr mutet in diesem Zusammenhang aber insbesondere die Verbindung zwischen deutschen und tschechischen Neonazis an. Zumal es aus historischer Sicht kaum Gründe gibt, warum tschechische Nationalisten Sympathien für die deutsche Seite hegen sollten. Doch für die Neonazis stelle die Zusammenarbeit keinen Widerspruch dar, sagt Odehnal. Sie funktioniere nach dem Motto: "Wir sind alle Nationalisten."

Seit mehreren Jahren gebe es freundschaftliche Verbindungen ins Nachbarland, weiß Odehnal. Dies bestätigt auch der tschechische Rechtsextremismus-Forscher Miroslav Mareš von der Universität Brno (Brünn). Erst vor wenigen Wochen hat die tschechische DSSS ihren Willen zur "grenzüberschreitenden Zusammenarbeit" mit der rechtsextremen NPD in einem Manifest schriftlich fixiert. Das jedenfalls verkündet die tschechische Neonazi-Partei auf ihrer Internetseite. Ein Foto zeigt den DSSS-Vorsitzenden Tomáš Vandas, wie er dem deutschen NPD-Chef Udo Voigt einen Geschenkkorb überreicht.

"Expansion nach Osten"

"Deutschland ist ein Vorbild für tschechische Nationalisten", sagt Mareš im Gespräch mit sueddeutsche.de. Insbesondere die deutsche Kameradschaftsszene habe die tschechische Seite beeinflusst: Tschechische Neonazis haben sowohl das Erscheinungsbild als auch die lockere Organisationsstruktur übernommen. Auf deutscher Seite wiederum werde die Zusammenarbeit als "Expansion nach Osten" gesehen und spreche so die "Tradition und Gefühle deutscher Extremisten" an, erklärt Mareš. Außerdem könne man sich als Vorreiter einer internationalen Kooperation von Nationalisten präsentieren.

Dennoch: Unumstritten ist die Kooperation in den eigenen Reihen nicht. Insbesondere auf deutscher Seite scheint man das Thema eher klein halten zu wollen. Das Manifest findet sich auf den Internetseiten der NPD nicht. Und auch den Hinweis auf eine Kundgebung, die parallel zu dem Aufmarsch in Heilbronn im tschechischen Brünn stattfindet, erwähnt das deutsche Aktionsbündnis zum 1. Mai in einer Meldung lediglich am Rande.

Dafür wirbt der tschechische nationale Widerstand auf seinen Internetseiten für die Doppel-Demo Heilbronn/Brünn. Die tschechischen Kameraden haben für ihre Veranstaltung nicht nur das Motto aus Deutschland kopiert. Auch die grafische Gestaltung des Flugblatts haben sie übernommen. "Stoppen wir die Invasion" steht in tschechischer Sprache drauf. Welche Invasion hier gemeint sei, darüber können die Rechtsextremismus-Experten nur spekulieren. In Tschechien gebe es kaum Arbeitsmigranten. Der tschechische Nationalismus richte sich vor allem gegen die Minderheit der Roma.

Die wahre Ausrichtung der Veranstaltung werde denn auch erst deutlich, wenn man die Marschroute der Rechtsextremisten in Brünn betrachte, sagt der Politologe Mareš. Diese führt nämlich um ein Lager der Roma. Die Veranstaltung in Brünn ist für tschechische Nationalisten seit Jahren ein wichtiger Termin: 2007 marschierten dort bis zu 1000 Neonazis aus Tschechien und der Slowakei auf.

Deshalb glaubt der Rechtsextremismus-Experte Odehnal auch, dass hinter der vermeintlichen Doppel-Demo ein internes Kräftemessen stecken könnte. Und zwar, wer am Ende mehr Mitglieder mobilisieren konnte. Die tschechische oder die deutsche Seite.

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