Süddeutsche Zeitung

Bundesweite Razzia:"Ich hoffe, dass sie sich eingeschüchtert fühlen"

Dem Generalbundesanwalt gelingt mit vier Festnahmen ein schwerer Schlag gegen die Neonazi-Szene. Besonders in Eisenach sind Aktivistinnen erleichtert.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

An der Fassade der Kneipe "Bull's Eye" in Eisenach prangt ein Graffito, das wie eine Drohung wirkt. "Wir bleiben", steht da, dazu eine gezeichnete Bombe. Jahrelang saß hier die lokale Neonazi-Szene beim Bier zusammen und feierte bei Konzerten. An diesem Mittwoch aber kam die Polizei, um die Kneipe zu durchsuchen, und sie nahm den Besitzer Leon R. mit. Ihm wird Rädelsführerschaft in einer kriminellen rechtsextremen Vereinigung vorgeworfen.

Die Festnahme von Leon R. fällt in einen Rundumschlag des Generalbundesanwalts gegen die rechtsextreme Szene in Deutschland. 800 Beamte durchsuchten in elf Bundesländern 61 Immobilien. Die Ermittlungen richten sich gegen insgesamt 50 Beschuldigte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem "großen Erfolg" für die Sicherheitsbehörden: "Uns ist heute ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische und rechtsterroristische Szene gelungen."

Im Fokus der Ermittler steht die "Atomwaffen Division Deutschland" (AWDD), der deutsche Ableger einer in den USA gegründeten rechtsextremistischen Gruppierung, die dort für fünf Morde verantwortlich sein soll. Der Name des deutschen Ablegers steht unter Morddrohungen gegen Cem Özdemir und Claudia Roth, die die beiden Grünen-Politiker im Herbst 2019 per E-Mail erhielten.

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zu der als terroristische Vereinigung eingestuften "AWDD" haben Verbindungen zu weiteren Gruppierungen und Personen des rechtsextremen Spektrums offengelegt. So ist ein Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der verbotenen Neonazi-Organisation "Combat 18" gerichtet, ein weiteres gegen Teilnehmer der Chatgruppe "SKD1418", die terroristische Anschläge geplant haben sollen.

Die Kampfsporttruppe "Knockout 51" gilt als kriminell

Leon R. gilt in Thüringen als zentrale Figur der rechtsextremen Szene und auch als Sympathisant der "AWDD". Offenbar hatte er vor längerer Zeit versucht, Kontakt zu der Führung in den USA aufzunehmen und selbst einen deutschen Ableger zu gründen. Er betreibt in Eisenach nicht nur das "Bull's Eye", sondern hat dort auch die gewaltbereite Kampfsporttruppe "Knockout 51" herantrainiert. Deren Treff ist das "Flieder Volkshaus", das Platz für Parteiveranstaltungen und Konzerte bietet.

Der lilafarbene, zweigeschossige Bau ist im Besitz der NPD. Dort bereiteten sich Leon R. und Gleichgesinnte für Wettbewerbe auf rechtsextremen Sportveranstaltungen vor - aber auch auf den Straßenkampf. Bei einer "Querdenken"-Demonstration in Berlin griff Leon R. Polizisten an; als Neonazis wenige Monate später in Leipzig Polizeiketten durchbrachen, stand er in der ersten Reihe. Sowohl R. als auch weitere Mitglieder von "Knockout 51" sind wegen verschiedener Körperverletzungsdelikte vorbestraft.

Der Generalbundesanwalt stuft auch "Knockout 51" als kriminelle Vereinigung ein. Neben Leon R. wurden drei weitere Männer aus dem Umfeld festgenommen, Maximilian A., Eric K. und Bastian A., sie sollen in Eisenach regelmäßig "Streife" gelaufen sein, laut Generalbundesanwalt eine "Demonstration von Abwehrbereitschaft gegen potenzielle Übergriffe aus dem ,linken' Lager". Zugleich sei "es aber auch um die gezielte Provokation von Gewalt sowie den aktiven Kampf gegen den politischen Gegner" gegangen. Das langfristige Ziel sei gewesen, in Eisenach einen "Nazi-Kiez" zu schaffen.

Die Bedrohung linker Aktivistinnen durch die rechtsextreme Szene in Eisenach war allgegenwärtig. An Fassaden und Stromkästen tauchten immer wieder Graffiti auf, wie "Heil Hitler" oder "Zecken jagen". Allein innerhalb der letzten sechs Monate wurden die Fenster des linken Jugendtreffs "Rosaluxx" dreimal eingeschlagen. Vor die Tür wurde der Umriss eines liegenden Menschen gemalt, so wie bei einem Mord-Tatort. Nach der Festnahme von Leon R. hätten sie erst mal "ein paar Sektchen" aufgemacht, erzählt eine Mitarbeiterin des "Rosaluxx" gut gelaunt am Telefon. Sie glaubt, dass nun Ruhe einkehrt. Einige Unterstützer von R. seien zwar noch in der Stadt - "aber ich hoffe, dass sie sich eingeschüchtert fühlen".

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