Sie wollen die Todesstrafe einführen und eine "Zigeunerpolizei", alle Obdachlosen aus der Öffentlichkeit entfernen und ein Denkmal für Miklos Horthy errichten, Ungarns ehemaligem Staatschef und zeitweiligem Nazi-Kollaborateur. Die Aktivisten der rechtsextremen Jobbik-Partei wollen Ungarn verändern - und Europa. Auch deshalb gibt sich die Partei betont international. Ihre politischen Pläne führen die Neonazis auf ihren Webseiten auch in fehlerfreiem Englisch auf. Zu Rechtsextremen aus dem deutschsprachigen Raum gibt es ebenfalls Kontakte - vor allem die NPD scheint an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein.
Jobbik ( Jobboldali Ifjúsági Közösség - Jobbik Magyarországért Mozgalom, zu Deutsch: Gemeinschaft von rechtsgerichteten Jugendlichen - Bewegung für ein besseres Ungarn) gehört zu den großen Gewinnern der Europawahlen: Die erst 2002 von rechten Studenten gegründete Bewegung und spätere Partei erhielt 14,8 Prozent der Stimmen, bei der Parlamentswahl 2006 waren es noch 2,2 Prozent. Damit wurden die Rechten bei der Wahl drittstärkste Kraft in Ungarn. Drei Jobbik-Abgeordnete werden ihr Land künftig im Straßburger Parlament vertreten.
Eines der wichtigsten Wahlkampfmittel der neuen Rechten ist das Internet. Die Homepage enthält Informationen auf Englisch, Ungarisch, Russisch, Französisch - und auf Deutsch. Wer den schwarzrotgoldenen Button anklickt, findet ein Interview mit Gabor Vona, dem erst 30-jährigen Vorsitzenden von Jobbik. Geführt hat das Gespräch ein gewisser Benedikt Frings.
Dieser liefert Vona Steilvorlagen für seine Hetze: Welche Probleme Ungarn denn habe, fragt er. Vona fällt nur eines ein: "Zigeuner". Er spricht von deren "unverhältnismäßig großen Kriminalitätsrate" und "ausgeprägter Arbeitsunwilligkeit". Nach der "Zigeunerkriminalität", dem größten Wahlkampfschlager osteuropäischer Rechter, entwirft er Verschwörungstheorien über den angeblichen Einfluss des "internationalen Judentums".
NPD: "interne Analyse" Jobbiks
Was aus dem Text nicht hervorgeht: Fragesteller Frings ist ehemaliger Landtagskandidat der NPD. 2005 trat der Psychotherapeut im Wahlkreis Köln 1 für die Rechtsextremen an. Ebenso wenig erfährt man, dass das Interview mit Vona, das 2008 geführt wurde, in der Deutschen Stimme erschien - der Parteizeitung der NPD. Anfang 2007 geisterte Frings selbst kurz durch die deutsche Presse, weil er als einer von zwei deutschen Teilnehmern zur "Holocaust-Konferenz" in Teheran flog, an der überwiegend Personen teilnahmen, die den Massenmord an den Juden leugnen. Dass es sich dabei um eine offizielle Delegation der NPD handelte, bestritt Frings damals. Seinen Gastgeber, Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bezeichnete er als "ausgesprochenen Philosemiten", als Freund des jüdischen Volkes also.
Auch außer Frings' gefälligem Interview mit Vona sind Verbindungen zwischen "Nationaldemokraten" und Jobbik im Aufbau. Seitens der NPD macht man keinen Hehl aus dem Interesse an der ungarischen Partei. Derzeit werde sie einer "internen Analyse" unterzogen, "weitere informelle Kontakte" seien geplant, heißt es aus der Berliner Pressestelle.
Anhaltspunkte für eine Annäherung von NPD und ungarischen Gruppen gibt es bereits seit einiger Zeit: 2007 reiste der NPD-Vorsitzende Udo Voigt zum "Tag der Ehre" nach Budapest, an dem sich jedes Jahr im Februar Neonazis aus ganz Europa treffen. Als ungarische Rechte sich im Netz darüber ereiferten, dass NPD-Mitglieder an einer Feier rumänischer Neonazis teilgenommen hatten, entschuldigte sich NPD-Vorstandsmitglied Eckart Bräuninger höchstpersönlich in einem offenen Brief an die ungarische Szene. Die ungarischen Skinheads reagierten so empfindlich, weil der Anlass der Feier der Jahrestag des Anschlusses des ehemals ungarischen Siebenbürgens an Rumänien gewesen war.
In Berlin gibt man sich zugeknöpft, was die Zusammenarbeit von deutschen und ungarischen Rechtsextremisten angeht. Informationen darüber gebe es derzeit nicht, so Christoph Hübner, Sprecher des Bundesinnenministeriums. Und selbst wenn sich Verfassungschutz oder Bundesnachrichtendienst damit beschäftigen würden, könnte man "zu Beobachtungsobjekten nicht Stellung nehmen".
Auch Jobbik sucht aktiv den Kontakt ins Ausland: 2008 besuchte eine Delegation der Partei Nick Griffin, den Chef der rassistischen British National Party, in Großbritannien. Innenpolitisch setzen die Ungarn im Gegensatz zur NPD auf eine Doppelstrategie: Das Auftreten der Partei im Wahlkampf ist modern und professionell. In der fotogenen Juristin und Frauenrechtlerin Krisztina Morvai fand man die perfekte Kandidatin. Gleichzeitig marschiert die Ungarische Garde, eine militärisch auftretende Straßenorganisation, durch die Städte. Die personelle Verquickung von Jobbik und der Garde ist auf höchster Ebene offensichtlich: Gabor Vona ist Chef beider Organisationen.
Wegen der Einschüchterung der Roma-Minderheit wurde die Ungarische Garde im Dezember 2008 gerichtlich verboten, worauf auch die Bundesregierung verweist. Diese Entscheidung zeigt allerdings keinerlei Wirkung, wie Robert Kushen, Direktor der Roma-Menschenrechtsorganisation "European Roma Rights Centre" in Budapest, bestätigt. "Die Gruppe operiert weiterhin frei", sagt er. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Garde ging in Berufung. Während die Europa-Kandidatin während des Wahlkampfs im Kostüm gegen Roma, Juden und das "internationale Kapital" hetzten, schwenkten die Mitglieder der Garde Fahnen vor dem Rednerpult.
Die bis zu 2500 Mitglieder der Garde tragen schwarze Kappen zu schwarzen Hemden und marschieren unter der rot-weiß gestreiften Arpad-Flagge. Das Banner ist eigentlich ein mittelalterliches Symbol des ersten ungarischen Königshauses, wird aber, ähnlich wie die ursprünglich kaiserliche Reichskriegsflagge in Deutschland, von Neonazis benutzt. Die Optik der Garde erinnert auch an das Auftreten der Pfeilkreuzler, der ungarischen Faschisten während des Krieges. Sie kollaborierten mit Nazi-Deutschland und waren für den Tod mehrerer hunderttausend Juden mitverantwortlich. In ihrer Uniform zieht die Garde auch immer wieder durch Roma-Viertel, um die dortige Bevölkerung einzuschüchtern. "Die Gruppe will bewusst Assoziationen zur Vergangenheit wecken", sagt Florian Hartleb, Experte für Rechtsextremismus von der Technischen Universität Chemnitz.
Zwischen NPD und Jobbik gibt es durchaus Parallelen: Beide sind nicht nur Rechtspopulisten, die wie die österreichische FPÖ hauptsächlich gegen Euro und Globalisierung wettern, sondern vertreten offen das völkische Gedankengut aus der Zwischenkriegszeit. "Die NPD müsste eigentlich neidisch auf Jobbik sein", sagt Hartleb. Denn die Ungarn setzten im Wahlkampf um, was die NPD seit Jahren erfolglos versucht: Sie waren durch ihre Garde auf der Straße präsent, die mit ihrem militärischen Auftreten politische Gegner einschüchterte. Politisch und auf der Straße organisiert - "Bewegungsrechtsextremismus" nennt Hartleb das.
Und tatsächlich findet sich in einer Ausgabe der NPD-Parteizeitung von 2007 ein bewundernder Artikel über die Ungarische Garde. Entgegen den Vorwürfen erinnere deren Outfit "weniger an die SS, sondern eher an eine Sicherheitsfirma", verteidigt der Autor das historisch zweideutige Outfit. Hartleb misst der Tatsache, dass die NPD-Zeitung dem Thema solche Beachtung schenkt, große Bedeutung bei. Schließlich gebe es eine "auffällig enge personelle und strukturelle Verzahnung" von Partei und Redaktion. Ohne Absegnung von Parteioberen komme wohl kein Thema ins Blatt.
"Wehrhafte Demokratie" in Ungarn unbekannt
Dass die NPD hierzulande so organisationsfähig wie Jobbik wird, darf bezweifelt werden. In Deutschland mag Politikverdrossenheit herrschen, aber in Ungarn ist das Vertrauen in die traditionellen Parteien völlig zerstört; ihre Funktionäre gelten bei vielen als korrupte Lügner. Auch die Wirtschaftskrise trifft Ungarn härter als die meisten anderen EU-Staaten, das Land ist beinahe bankrott. Beides treibt Jobbik die Mitglieder in Scharen zu. Laut Hartleb rekrutiert Jobbik nicht nur unter Nationalkonservativen, sondern auch unter frustrierten Anhängern der regierenden Sozialisten. Innerhalb von nur fünf Jahren wuchs die Mitgliederzahl auf mehr als 5000 an, nach dem Erfolg bei den Europawahlen wird weiter mit wachsendem Zulauf gerechnet.
Ein weiterer Unterschied ist, dass hierzulande strenge Auflagen für politische Straßenaktivität existieren. Ungarn verfügt dagegen über eines der liberalsten Versammlungsrechte Europas. Das Konzept der "wehrhaften Demokratie" ist auch 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch nicht in der Gesellschaft verankert.
Jobbik und die EU
Mit den Europawahlen ist die Partei drittstärkste Kraft in Ungarn geworden. Auch wenn die NPD auf so einen rasanten Aufstieg nicht zurückblicken kann, hat sie in Landtagen und Kommunalparlamenten in Ostdeutschland über die Jahre parlamentarische Erfahrung sammeln können.
Allerdings ist es auch nicht ausgeschlossen, dass sich Jobbiks Erfolg als einmaliger Denkzettel für die etablierten Parteien in Ungarn erweisen könnte. Viele rechte Parteien in Europa konnten ihre Wahlerfolge nicht wiederholen, wie die katholisch-nationalistische Liga Polnischer Familien, die nach zwei Erfolgen bei den Parlamentswahlen in Polen innerhalb von zwei Jahren wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Selbst ohne Vernetzung mit ausländischen Rechtsradikalen könnte Jobbik ein Problem für die EU werden. 2010 wählen die Ungarn ihr Parlament. Sollte die Erfolgsgeschichte der Partei weitergehen, befürchten Experten, dass die Partei mit dem nationalkonservativen Fidesz eine Regierungskoalition bilden könnte - die dann Anfang 2011 turnusgemäß den Ratsvorsitz der EU übernehmen würde. Politikwissenschaftler Hartleb traut der Partei, die bei den Europawahlen die meisten Stimmen in Ungarn gewinnen konnte, alles zu: "Fidesz will nur eines: an die Macht kommen. Vielleicht sind sie dafür bereit, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen."
Allerspätestens dann müssten sich auch die Bundesregierung und die Europäische Union intensiver mit Jobbik befassen. Wenn es dann nicht bereits zu spät ist.