Als vor zwei Jahren ihr Auto brannte, dachte Evrim Sommer sofort an rechtsextreme Täter. Die Berliner Senats-Abgeordnete der Linken steht seit 2005 auf den Feindeslisten der rechtsradikalen Szene, die auch im Internet gegen ihre Gegner hetzt. "Ich wurde beschimpft und bedroht, sie haben Bilder von mir und meine Adresse ins Netz gestellt", sagt die Politikerin kurdischer Herkunft. "Sie schrieben, jemand wie ich sollte nicht existieren." Nach dem Anschlag ist sie umgezogen, die Täter wurden nie gefasst. Die Listen, die sie als "Antideutsche" an den Pranger stellen wollen, gibt es nach wie vor.
Eine hat die Gruppe "Nationaler Widerstand Berlin" (NW) erstellt - sie führt seit Jahren ihre politischen Gegner auf. Die Vereinigung gilt als gewaltbereit; meist hetzt sie gegen linke und grüne Politiker. Zu einem Mitglied der Linkspartei heißt es, man solle dessen Nachbarn aufsuchen und sie über die "linkskriminellen Umgänge" des Mannes informieren. In den Kommentaren unter dem Eintrag stehen dann offene Aufrufe zur Gewalt.
Nach den Angaben der Berliner Justizverwaltung sind bis Mitte Januar 23 Menschen, die mit Namen und Foto auf diesen Seiten im Netz genannt wurden, körperlich angegriffen worden. In 13 Fällen war die Gewalt offensichtlich politisch motiviert. Das geht aus einer Antwort auf die Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann hervor, die ebenfalls auf der Liste der Rechtsradikalen steht. Auch 19 Kneipen, Cafés und Wohnprojekte, die von den sogenannten Autonomen Nationalisten im Internet als "Linke Läden" aufgezählt wurden, sind attackiert worden, oft mit Brandsätzen.
Neonazis nutzen häufig das Internet zur Einschüchterung
Der Online-Hetze ist schwer beizukommen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat im April 2011 die NW-Website auf den Index gesetzt; seither ist sie nicht mehr über Suchmaschinen wie Google zu finden. Doch Mitte Dezember haben die Betreiber eine weitere Seite unter dem Stichwort "Chronik" verlinkt. Auf der neuen Website ist die Abgeordnete Sommer oben auf dem Banner zu sehen - direkt neben dem Bild eines brennenden Autos.
Radikale Neonazis nutzen häufig das Internet, um politische Gegner einzuschüchtern. Die auch vom Familienministerium unterstützte Arbeitsgruppe jugendschutz.net zählte 2010 insgesamt 1708 rechtsextreme Websites, davon galten die Inhalte von 333 Auftritten als strafbar. Darunter sind auch Anti-Antifa-Gruppen, die sich nicht nur gegen die linksextreme Antifa richten, sondern auch gegen linke, grüne, sozialdemokratische Politiker, gegen Juden und Muslime. Die Gruppen sammeln detaillierte Informationen über ihre "Feinde", Adressen, Autokennzeichen, Terminkalender von Politikern. Der Bielefelder Soziologe und Rechtsextremismus-Experte Dierk Borstel berichtet, dass sogar schon Fotos von Kindern samt Kita-Adresse ins Netz gestellt wurden. "Diese Seiten dienen der massiven Einschüchterung", sagt er.
Die Behörden kennen bisher weder die Betreiber noch die Autoren
Im Internet sind strafrechtlich relevante Websites kaum greifbar. Denn oft stehen die Server dieser Seiten im Ausland, wo andere Gesetze gelten. In den USA zum Beispiel, wo die Server für die beiden Berliner NW-Seiten stehen, hat Meinungsfreiheit einen sehr hohen Stellenwert; selbst wer online verleumdet und beschimpft wird, hat es schwer, vor US-Gerichten Recht zu bekommen.
Christian Keppel vom Online-Dienst " Dein guter Ruf" rät daher, sich direkt an die Provider zu wenden, die die Server bereitstellen. Oft dulden sie keine Gewaltaufrufe über ihren Dienst. Doch selbst wenn sie die Seiten löschen, ist es für deren Betreiber ein leichtes, sich woanders einen neuen Server zu suchen.
Die NW-Seiten beobachtet das Landeskriminalamt (LKA) Berlin bereits seit einiger Zeit. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Volksverhetzung und Anstiftung zu Straftaten. Alle früheren Verfahren musste sie einstellen. Allein Evrim Sommer hat bereits vier Mal vergeblich Anzeige erstattet. Doch bisher scheinen die Behörden weder Betreiber noch Autoren der Website zu kennen. Nach langem Zögern hat die Staatsanwaltschaft die Justizbehörden der USA nun um Hilfe gebeten.
"Die Betroffenen fühlen sich alleingelassen"
Anfang Januar schickte das LKA Briefe an 137 Personen, die auf den Seiten genannt sind. Allein dadurch, dass sie dort thematisiert würden, ergeben sich "keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung", heißt es darin. Für die grüne Senatsabgeordnete Herrmann ist dies "ein starkes Stück", angesichts der Brandanschläge und anderer Attacken. "Die Betroffenen fühlen sich alleingelassen", sagt sie.
Die amtliche Entwarnung hält auch Fabian Virchow, der Leiter des Forschungsschwerpunkts "Rechtsextremismus und Neonazismus" der Fachhochschule Düsseldorf, für gewagt. Solche Listen könnten der gewaltbereiten Szene Handlungsanreize liefern, sagt er. Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin kann sich nicht vorstellen, dass die Täter nicht zu fassen sind. Schließlich würde auf den Seiten auch mit Fotos über Veranstaltungen in Berlin berichtet, die die Autoren besucht haben müssten.
Der Fall der rechtsextremen Seite "Altermedia" zeigt, dass es Mittel gegen solche Extremisten-Portale gibt. Das Landgericht Rostock verurteilte im Herbst zwei Administratoren zu mehr als zwei Jahren Haft, unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufruf zu Straftaten. Nur: Die Website ist dadurch nicht verschwunden.