Süddeutsche Zeitung

Neonazi-Mordserie:Niedersachsen räumt Panne bei Terrorfahndung ein

Innenministerium und Verfassungschutz in Niedersachsen haben schwere Fehler eingestanden: Der mutmaßliche Komplize des Zwickauer Neonazi-Trios, Holger G., habe zwar unter Beobachtung gestanden - er wurde allerdings nur als Mitläufer eingestuft. Erkenntnisse seien nicht gespeichert worden.

Bei der Fahndung nach der Neonazi-Terrorgruppe haben Innenministerium und Verfassungsschutz in Niedersachsen schwere Fehler in der Vergangenheit eingeräumt. Der als mutmaßlicher Komplize des Neonazi-Trios festgenommene Holger G. sei bereits im Herbst 1999 in Niedersachsen auf Bitten aus Thüringen observiert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel in Hannover. Er habe bereits damals im Verdacht gestanden, den drei aus Thüringen stammenden mutmaßlichen Terroristen ein Quartier zum Untertauchen zu besorgen. Erkenntnisse über seine Zusammenarbeit mit der Gruppe seien in Niedersachsen aber nicht gespeichert und Holger G. nur als Mitläufer eingestuft worden, sagte Wargel weiter.

"Hier drängen sich einige Fragen auf, warum beim Begriff Rechtsterrorismus nicht alle Alarmglocken angegangen sind", sagte Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Warum der Staatsschutz nicht eingeschaltet und keine Telefonüberwachung angeordnet wurde, müsse untersucht werden. Er machte klar, dass man damals hätte handeln müssen.

Die nur dreitägige Observation von Holger G. sei ergebnislos gewesen und der entsprechende Bericht mit dem Vermerk "Rechtsterrorismus" und den Namen der drei Thüringer an das dortige Landesamt abgegeben worden, erklärte Wargel. In Niedersachsen wurden keine weiteren Maßnahmen ergriffen, der Bericht sei nach drei Jahren gelöscht worden. Die Behörden in Thüringen hätten den Bericht jedoch bis heute aufbewahrt.

Am Montagabend erging gegen Holger G. ein Haftbefehl. Er soll dem Zwickauer Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt und mehrfach Wohnmobile für die Gruppe angemietet haben.

Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz war in die Kritik geraten, weil er Informationen über die Neonazi-Terroristen der NSU unterschlagen haben soll. Die Behörde wies diesen Vorwurf zurück. Bei der Suche nach den Attentätern von Köln und Dortmund seien "selbstverständlich keine Erkenntnisse zurückgehalten" worden, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Sicherheitsbehörden hätten in einem engen Informationsaustausch gestanden.

Die Verfassungsschutzbehörden waren wegen des jahrelang unentdeckt gebliebenen Terrors des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) in die Kritik geraten. Die FDP hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung aufgefordert, das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags über eine etwaige Verstrickung der Geheimdienste in den Fall zu unterrichten.

Die Überprüfung ungeklärter Verbrechen auf einen rechtsterroristischen Hintergrund lieferte unterdessen keine neuen Verdachtsmomente für weitere Taten der NSU in Nordrhein-Westfalen. Das sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf. Sowohl die Analyse der Bekenner-DVD, als auch die Überprüfung älterer Fälle mit ähnlichem Muster dauere noch an. Mit der Überprüfung ist allein im Landeskriminalamt eine deutlich zweistellige Zahl von Ermittlern befasst.

Bislang werden in Nordrhein-Westfalen zwei Sprengstoffattentate in Köln sowie ein Mord in Dortmund der NSU zugerechnet. Bei den Sprengstoffanschlägen 2001 und 2004 in Köln waren insgesamt 23 Menschen überwiegend türkischer Herkunft verletzt worden. Bei dem Mordanschlag im April 2006 in Dortmund starb ein türkischstämmiger Kioskbesitzer. Der nordrhein-westfälische Landtag wird an diesem Donnerstag über die Terrorserie debattieren.

In Bayern habe es laut dem früheren Innenminister und Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) keine Versäumnisse des Verfassungsschutzes gegeben. "Im Gegenteil: Wir sind bei Rechtsextremisten härter vorgegangen als bei Linksextremisten - weil die Zustimmung in der Bevölkerung hier viel größer ist. Manchmal gingen wir sogar weiter, als der Rechtsstaat eigentlich erlaubt", sagte Beckstein dem Münchner Merkur.

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