Neonazi-Mordserie in Deutschland:Auf dem rechten Auge blind

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Mal traf es ein Viertel mit türkischen Bewohnern, dann eine Wehrmachtsausstellung und mal wurde ein jüdisches Grab zerstört: unterschiedliche Ziele, verschiedene Orte, kein Zusammenhang? Rechte Gewalttäter gerieten nur selten ins Visier der Fahnder - dabei hätte es Anhaltspunkte gegeben. Nun werden die Fälle neu aufgerollt. Diesmal muss in alle Richtungen ermittelt werden.

Hans Leyendecker

Die mit silberglänzenden Stahlnägeln und Schwarzpulver gefüllte Bombe explodierte am 9. Juni 2004 vor einem Friseursalon im Kölner Stadtteil Mülheim - und der Knall verstörte die Republik. 22 Menschen hatten zum Teil schwerste Verletzungen erlitten. Eine junge Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Aber wer steckte dahinter?

Die Aufnahme einer Überwachungskamera zeigt den mutmaßlichen Bombenleger des Kölner Nagelbomben-Attentats (Archivbild) mit dem womöglich für die Tat benutzten Fahrrad. 22 Menschen wurden bei dem Anschlag im Juni 2004 verletzt. (Foto: dpa/dpaweb)

Eine Sonderkommission "Sprengstoff" machte sich an die Arbeit. Zwei Männer, da waren sich die Beamten sicher, hatten die Tat verübt. Auf dem Weg zum Anschlagsort, der Keupstraße, waren sie von einer Überwachungskamera gefilmt worden. Der Sprengkörper war auf dem Gepäckträger eines Fahrrads befestigt gewesen. Die Täter radelten mit zwei Fahrrädern weg, die sie zuvor zum Anschlagsort gebracht hatten.

Spezialisten des Düsseldorfer Landeskriminalamts werteten die Spuren aus, ein Profiler wurde eingeschaltet. Ein paar Verdächtige wurden festgenommen - und dann wieder frei gelassen. Dann, nach langer Arbeit, gaben die Beamten öffentlich eine Prognose über das Motiv und die Psyche der Täter ab: keine "klassischen Schwerverbrecher", sondern unscheinbare Leute. Vielleicht sei einer von ihnen ein "mediterraner Typ".

Vermutlich seien die Täter "befreundet, vielleicht sogar verwandt". Einen "terroristischen Hintergrund" schlossen die Fahnder strikt aus und da waren sie sich einig mit Hierarchen im Bundesinnenministerium. Schließlich seien die Opfer nicht gezielt ausgewählt worden. Man kennt doch seine Pappenheimer.

In der Keupstraße leben zwar viele Türken, aber mehr noch als Fremdenhass sei ein Racheakt aus persönlichen Gründen vermutlich die Lösung bei der Suche nach dem Motiv. Die Polizei überprüfte 900 Männer, die in Köln wohnen. 2008 wurde das Verfahren eingestellt. 3000 Spuren hatten ins Nichts geführt.

Seit Ende voriger Woche scheint der Fall geklärt zu sein. Auf der dreckigen DVD, die in den Schuttbergen in Zwickau gefunden wurde, ist ein Comicbild zu sehen: Paulchen Panther mit einer Rakete und der Aufschrift "Bombenstimmung für die Keupstraße". Dann werden Auszüge des Überwachungsvideos in den Film geschnitten. Die Killer rücken sich ins Bild. Eitel waren sie wohl auch.

Sie tragen Sonnenbrillen und Mützen und sind schwer zu erkennen, auch wenn jetzt jeder ihre Gesichter kennt. Dann noch, als Beweis für den Anschlag gewissermaßen, ein Farbfoto: Es zeigt die hellblaue Bombe vor dem Anschlag. Die Nägel, die so viel Leid bringen sollten, sind auch zu sehen. Dann folgt wieder ein Clip aus dem Überwachungsvideo.

Spuren zu weiteren Verbrechen?

Die Bekenner-DVD ist nicht nur für den Fall Köln von Bedeutung, der jetzt geklärt zu sein scheint. Die Frage für die Ermittler lautet: Haben die Terroristen alle ihre Morde, ihre Anschläge, ihre Verbrechen auf dieses Video gepresst - oder fehlt da was? Sollte es eine Fortsetzung geben? Was ist mit den einschlägigen übrigen Fällen in der Republik, die keinem Täter zugeordnet werden konnten?

Da ist der Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung 1999 in Saarbrücken. Es entstand damals hoher Sachschaden, die Täter wurden nie gefunden. Nach der Tat tauchte ein Selbstbezichtigungsschreiben auf, das echt war oder nicht. Die Staatsanwaltschaft nahm den Bekennerbrief anfangs zumindest ziemlich ernst, dann weniger. Waren es am Ende doch die braunen Terroristen?

Was ist mit dem Anschlag auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, in Berlin vor mehr als einem Jahrzehnt? Der Sprengstoff der Bombe war in die Stahlkappe einer Gasflasche gepackt gewesen, um die Wirkung der Explosion zu verstärken. Auch im Kölner Fall spielte eine Gasflasche eine Rolle.

Und was ist mit dem Handgranaten-Anschlag auf die S-Bahn-Station in Düsseldorf-Wehrhahn im Sommer 2000? Es gab etliche Hinweise, dass Rechtsradikale für die Tat verantwortlich sein könnten, aber Belege gab es nicht. Auch diese Akte wurde geschlossen. Der zuständige Staatsanwalt erklärte, er schließe einen politisch motivierten Anschlag fast völlig aus. So sei kein Bekennerschreiben aufgetaucht und wer so etwas mache, wolle sich doch zur Tat bekennen. Auch in diesem Fall werden jetzt die Akten wieder aufgemacht.

Für die Ermittler stellen sich viele Rätsel, weil die Gruppe, die sich "Nationalsozialistischer Untergrund" nannte, in kein Raster und kein Schema passt. Motiv? Hass. Allmachtsphantasie? Vermutlich. Der Fall fängt erst richtig an.

© SZ vom 14.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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