Neonazi-Mordserie:Braunes Trio infernal

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Neun Tote, mindestens drei Täter und Tausende Hinweise ohne konkreten Zusammenhang - in der Mordserie um die getöteten Migranten ist Aufklärung noch nicht in Sicht. Fahnder vermuten, dass hinter den Taten keine "braune RAF" steckt, sondern eine winzige Gruppe. Aber der Fall ist so abgründig, dass alles möglich scheint.

Joachim Käppner und Susi Wimmer

In einem hässlichen Nürnberger Betonbau hatte die Sonderkommission "Bosporus" ihr Hauptquartier. Und dort war auch das elektronische Gehirn des Fahndungsapparats, der die sogenannten Döner-Morde aufklären sollte. Eine Spurendokumentation, die alle Verbindungen zwischen den neun Todesfällen enthielt. Graphisch dargestellt, zeigte das System "Easy" um jeden der neun Namen Hunderte, Tausende bunte Linien, wie Umlaufbahnen eines gewaltigen Sonnensystems. So viele Spuren. Und alle wiesen ins Nichts.

Noch am Ende der - bisher bekannten - Mordserie 2006 hielt die große Mehrzahl der Ermittler die Taten für das Werk der organisierten Kriminalität. Eine rechte Spur betrachteten viele Fahnder als abwegig. Auch im Bundeskriminalamt wollte man davon nicht viel hören. Soko-Chef Wolfgang Geier war da nicht so sicher. Er glaubte den Profilern des Münchner Polizeipräsidiums, die er zu Rate gezogen hatte.

Ihre Hypothese: Der oder die Täter zeigten nicht das rationale Verhalten, das die Mafia oder ein Drogenkartell an den Tag gelegt hätten. Hinter den Schüssen stecke offenbar ein "Zerstörungswille". Die Opfer waren ganz offensichtlich zufällig ausgewählt worden. Auftragskiller töten aber gezielt: Widersacher, Zahlungsunwillige, Zeugen. Nichts davon traf auf die neun Toten zu, gemeinsam war ihnen nur, dass sie Ausländer waren, fast alle Türken. Auffällig war, welches Risiko die Mordschützen eingingen: Sie tauchten mitten am Tag bei ihren Opfern auf, schossen sie nieder und flüchteten. Ein Profi wäre wesentlich vorsichtiger vorgegangen. Vor allem hätte er niemals neunmal dieselbe Waffe benutzt.

Die Fallanalytiker waren von einem oder zwei Tätern ausgegangen. Und tatsächlich spricht nun einiges dafür, dass es sich um eine sehr kleine Gruppe gehandelt hat: um das Trio infernal selbst und eine winzige Zahl von Helfern wie dem am Sonntag bei Hannover festgenommenen Mann.

Die rechte Szene sei von V-Leuten durchsetzt, sagt ein Fahnder, dennoch erhielten die Behörden von dort offenkundig nicht einmal Informationsschnipsel über die Mordserie. Offenbar hätten die Täter in der rechten Szene auch nicht mit ihren Taten geprahlt, in Webforen und abgehörten Gesprächen fand sich kein aussagekräftiger Hinweis, so als habe die Szene die Mordserie mit sich und der eigenen konfusen Hassideologie gar nicht in Verbindung gebracht.

Im rätselhaften Fall Alois Mannichl dagegen - der Passauer Polizeichef gab 2008 an, er sei von einem Neonazi niedergestochen worden - löste das Ereignis unter rechten Extremisten hohe Wellen der Erregung aus. Und an den neun Tatorten fanden sich keine Spuren, die auf Neonazis hindeuteten - erst recht keine Bekenntnisse oder Symbole, welche die Täter hinterlassen hätten.

Lust am Terror

Experten glauben - mit aller Vorsicht - daher eher, dass sich das Trio (oder Quartett) gemeinsam am Gefühl der Allmacht, am "Thrill" der Taten, am Schüren von Angst berauscht habe und zwar hochideologisiert, aber abgeschottet gewesen sei, wie eine kleine Sekte. Auf den Geisteszustand der mutmaßlichen Täter weist das Video hin, in dem die Mordopfer verhöhnt werden - das krankhafte Werk von Menschen, die es offenbar genießen, Herr über Leben und Tod zu sein.

Der Fall erinnert in dieser Hinsicht weniger an die RAF, die durchorganisierte Terrorgruppe mit vielen Sympathisanten, und mehr an den schwedischen "Laserman", die "Gruppe Ludwig" oder die "Washington Sniper". Der "Laserman" hatte aus Fremdenhass auf Migranten geschossen. Die "Gruppe Ludwig" bestand aus zwei jungen Außenseitern, die aus diffusen rechten Motiven Anschläge auf Drogensüchtige und Homosexuelle verübten und 1977 bis 1984 in Italien und Deutschland 15 Menschen töteten. Die Sniper (englisch für Scharfschützen), ein sozial verwahrlostes Duo, erschossen willkürlich ausgesuchte Passanten. Von einem solchen Profil gehen auch Münchner Polizeikreise aus.

Zwei der Morde geschahen in München. Mit dem Wohnmobil hätten die Täter gut in die Anonymität abtauchen können, sie hätten wohl kaum Mitwisser gehabt, keine feste Gruppe: "Das würde erklären, warum nicht einmal die hohe Belohnung von über 300.000 Euro zum Erfolg geführt hat", so ein Beamter.

Ein Kollege mutmaßt allerdings, dass doch mehrere Leute hinter den Morden steckten. Eine rechtsextreme Terrortruppe? An Waffen hat es ihr nicht gemangelt, warum also wurde nur dieselbe Ceska-Pistole verwendet? "Vielleicht war es eine Art Aufnahmeprüfung", sagt der Fahnder: Wer dazugehören will, muss einen Ausländer erschießen. Der Fall ist so abgründig, dass alles möglich erscheint.

© SZ vom 14.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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