Neonazi im Dortmunder Stadtrat:SS-Siggi sucht seine Linie

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Siegfried Borchardt, Mitglied der Partei Die Rechte, sitzt erstmals als Ratsmitglied im Dortmunder Ratssaal. (Foto: dpa)

Siegfried Borchardt von der Partei "Die Rechte" zieht in den in den Dortmunder Stadtrat ein - der Protest ficht ihn nicht an. Der Neonazi sitzt im Rat, wirkt überfordert, ein NPD-Mann umgarnt ihn. Und dann sagt "SS-Siggi", dass er lieber einen anderen Spitznamen tragen würde.

Von Bernd Dörries , Dortmund

Das ist er dann also, der deutsche Herrenmensch, der Stolz der ganzen Rasse. Er geht am Stock und trägt ein großes Bäuchlein vor sich her. Die Augen sind nicht so gut, er braucht eine Brille. Die Haare haben sich schon vor langer Zeit davongemacht. Siegfried Borchardt wird es wohl als grobe Ungerechtigkeit sehen, dass er bei der Verteilung der Gene, die ihm doch so wichtig sind, etwas zu kurz gekommen ist.

So wie die paar seiner Anhänger vor dem Dortmunder Rathaus, die so aussehen, als hätten sie ihre Schulzeit größtenteils in einer Ecke auf dem Pausenhof zugebracht. Ihre Münder stehen meistens offen. Obwohl nix passiert. Sie sind Deutschlands Stolz. So sehen sie es selbst. Und der Stolz wächst mit jedem Dosenbier. Dann muss der Stolz aufs Klo.

Fünfzig Polizeiwagen vor dem Rathaus

Es ist Mittwochnachmittag in Dortmund. Vor dem Rathaus stehen noch die Absperrgitter vom Vorabend, als Tausende beim Fußball zuschauten. Am Tag danach stehen mehr als fünfzig Polizeiwagen vor dem Rathaus, Dutzende Bereitschaftspolizisten und auch ein paar Berittene.

Sie haben die Gitter etwas umgestellt und das Rathaus in eine Burg verwandelt. Wegen Borchardt und seinen Freunden. Borchardt wurde bei der Kommunalwahl vor drei Wochen als einziger Vertreter der Partei "Die Rechte" in den Rat der Stadt gewählt. Am Wahlabend stürmten Neonazis das Gebäude. Die Geschichte soll sich nicht wiederholen. Nun stehen ein paar Hundert Antifaschisten ein paar Nazis gegenüber, die recht trüb aus ihren Augen glubschen.

"Diese Stadt hat Nazis satt", steht auf einem Transparent. Dortmund hat also beides: Viele Nazis und mehr als genug davon. Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum der Rechten in Deutschland entwickelt. Eine Stadt mit stolzer sozialdemokratischer Tradition, eine Stadt, die über so viele Generationen Menschen aus aller Welt zu Dortmundern gemacht hat.

Innenminister Jäger will Die Rechte verbieten lassen

So eine Stadt kann gar nicht rechts sein, so hat die Dortmunder Politik lange gedacht und die Zeichen übersehen. "Die Polizei hat lange weggeschaut bei rechter Gewalt", sagt Ulla Richter vom Bündnis gegen Rechts. Die Rechtsextremen konnten sich eine Basis schaffen in der Stadt. Jetzt kriegt man sie nicht mehr so einfach weg.

Andererseits hat sich die Politik in den vergangenen Jahren bemüht. Innenminister Ralf Jäger hat einige Kameradschaften verboten, darunter auch den "Nationalen Widerstand Dortmund", den Fanclub von Borchardt, der vor dem Rathaus auf ihn wartet. Auch gegen Borchardts Partei, die letztlich die Nachfolgeorganisation des "Widerstandes" ist, sammelt der Innenminister Belege für die Verfassungsfeindlichkeit und ein Verbot.

Das dürfte nicht so schwer fallen, Borchardt scheint da gerne behilflich zu sein. "Keine Gewalt ist auch keine Lösung", sagt er vor der Ratssitzung. "SS-Siggi" wird er von seinen Anhängern genannt. Er war schon in allen möglichen Nazigruppen, die dann verboten wurden. Wegen Körperverletzung war er im Gefängnis, 60 Jahre ist er alt, war lange arbeitslos, Ausländerfeindlichkeit ist jetzt sein Beruf.

"Eigentlich würde ich lieber SA-Siggi heißen"

Nun sitzt er im Rat der Stadt, links von der CDU, was die Christdemokraten nicht als politische Positionierung verstanden haben wollen. Ganz rechts außen sitzt der einzige Vertreter der NPD, der immer wieder zu Borchardt kommt und auf ihn einredet. Zusammen könnten die beiden eine Gruppe bilden, Zuschüsse vom Staat bekommen.

Borchardt guckt in die Ferne. Vielleicht träumt er vom Großdeutschen Reich oder wenigstens einem Bier.

Es wird nun abgestimmt im Rat. Mal ist Borchardt dagegen, mal dafür, mal vergisst er, dafür oder dagegen zu sein oder sich zumindest zu enthalten. Mal steht er auf, wenn jemand vereidigt wird, mal nicht. Er hat seine Linie des nationalen Widerstandes noch nicht gefunden. Es ist alles etwas viel.

Am meisten beschäftigt ihn ohnehin etwas anderes. "Eigentlich würde ich lieber SA-Siggi heißen", sagt SS-Siggi.

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