Süddeutsche Zeitung

Österreichs Kanzler bei Putin:Bühnenbauer oder Brückenbauer?

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Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer fliegt nach Moskau, um mit Präsident Putin zu sprechen. Nicht einmal der Koalitionspartner in Wien war eingeweiht - auch sonst gibt es an der Reise viel Kritik.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Als erster hochrangiger, europäischer Politiker seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist am Montag der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach Moskau geflogen, um Wladimir Putin zu treffen. Zwar hatte es seit Kriegsbeginn zahlreiche telefonische Kontakte von Spitzenpolitikern mit dem russischen Präsidenten gegeben, aber außer Naftali Bennet, dem israelischen Premier, hatte niemand die Reise nach Moskau persönlich angetreten. Vor dem 24. Februar hatten sich noch zahlreiche Politiker in Moskau die Klinke in die Hand gegeben, um den Krieg zu verhindern - vergeblich. Seither ist die Rhetorik aus Moskau ebenso wie das Vorgehen der russischen Armee täglich extremer, eine Verhandlungslösung unwahrscheinlicher geworden.

Die Reise nach Moskau und das Gespräch mit Präsident Putin sei für ihn eine "Pflicht" gewesen, sagte Nehammer nach dem Gespräch, das in einer Residenz Putins stattgefunden hatte. Er habe "nichts unversucht lassen" wollen, um eine "Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken". Im Gespräch zu bleiben sei alternativlos; er habe jedoch auch offen die von der russischen Armee verübten Kriegsverbrechen angesprochen. Das Gespräch sei "sehr direkt, offen und hart" gewesen.

Es sei kein Freundschaftsbesuch gewesen: "Ich habe generell keinen optimistischen Eindruck, den ich Ihnen mitbringen kann von diesem Gespräch mit Präsident Putin." Offensichtlich werde eine Offensive "massiv vorbereitet".

Aus dem Kanzleramt hatte es zuvor geheißen, Wien wolle seine "Brückenbauerfunktion" als neutrales Land wahrnehmen. Er werde nun die europäischen Partner über den Inhalt des Treffens informieren, sagte Nehammer laut einer kurzen Pressemitteilung des Kanzleramts.

Man habe, hatte sein Stab vorab wissen lassen, selbstredend auch vorab die EU und einige europäische Regierungen, darunter die deutsche, über den Plan informiert. Aus Berlin war zu hören gewesen, dass die Bundesregierung die Moskauvisite Nehammers "begrüße". Jegliche diplomatische Bemühung, die ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine vorantreiben und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen schaffen könne, sei willkommen. Der grüne Koalitionspartner in Wien jedoch soll von der ÖVP nicht eingebunden worden sein und von der Planung erst aus den Medien erfahren haben.

"Sinnlos, ein Fehler und eine Selbstdemütigung Österreichs"

Vor der Reise gab es, nicht nur in Österreich selbst, weit mehr Kritik als Lob für die Entscheidung Nehammers, nach Moskau zu fliegen. Er biete Putin damit eine Bühne, hieß es, die dieser nutzen werde, um den Russen zu demonstrieren, dass Moskau keinesfalls isoliert sei. Nehammer habe keinen Einfluss darauf, wie die russische Propaganda seine Visite ausschlachten werde. Der renommierte Politikwissenschaftler und Russlandexperte Gerhard Mangott sagte im ORF, er halte den Besuch für "keine gute Entscheidung". Putin habe die Macht über die Bilder dieses Besuches und werde diese zu nutzen wissen. Auch aus dem EU-Parlament hagelte es Kritik. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Wien, Olexander Scherba, sagte der SZ, die Reise sei "sinnlos, ein Fehler und eine Selbstdemütigung Österreichs".

Nehammer war erst am Samstag mit einem großen Tross von Journalisten und Sicherheitsleuten in Kiew gewesen, um Wolodimir Selenskij seine Aufwartung zu machen. Er hatte, gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten, eine Pressekonferenz gegeben, den Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko getroffen und ein Massengrab im Kiewer Vorort Butscha besucht. Offenbar schon vor der Zugreise nach Kiew hatte das Kanzleramt in Wien überlegt, dass Nehammer auch nach Moskau fliegen solle.

Kommuniziert werden sollten die Pläne, nach einer entsprechenden Pressekonferenz samt Sperrfrist, erst am Montagmorgen kurz vor Abflug, doch die Bild-Zeitung meldete die Reise Nehammers vorab. Irritationen gab es darüber, dass Ex- Bild-Chefredakteur Kai Diekmann den österreichischen Kanzler auf die Reise nach Kiew begleitet hatte. Seine Firma berät die ÖVP und deren Parlamentsfraktion unter anderem bei ihrem Auftritten im aktuellen Untersuchungsausschuss zur ÖVP-Korruption. Diekmann soll bestritten haben, Nehammers Pläne an Bild weitergegeben zu haben.

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