Nazi-Massaker in Italien:Urteil gegen Deutschland

Deutschland muss Familien von Opfern eines Nazi-Massakers entschädigen. Mit diesem Grundsatzurteil macht Italiens Kassationsgerichtshof den Weg frei für etwa 10.000 Klagen.

Stefan Ulrich

Deutschland muss sich auf zahlreiche Schadensersatzklagen wegen Nazi-Massakern in Italien einstellen. Der Kassationsgerichtshof in Rom - er entspricht dem deutschen Bundesgerichtshof - verurteilte am Dienstag in einem aufsehenerregenden Grundsatzurteil die Bundesrepublik dazu, Familienangehörige von Opfern eines Massakers an italienischen Zivilisten während der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu entschädigen.

Der oberste Gerichtshof bestätigte damit zwei vorangegangene Entscheidungen eines Militärgerichts und eines Berufungsgerichts. Nach Einschätzung italienischer Beobachter wird damit der Weg für etwa 10.000 Klagen gegen Deutschland freigemacht.

Die Anwälte der Bundesrepublik beriefen sich vor dem Kassationsgerichtshof vergeblich auf das Prinzip der Staatenimmunität. Es besagt unter anderem, dass sich kein Staat von Bürgern eines anderen Staates vor ausländischen Gerichten verklagen lassen muss.

Die italienische Generalstaatsanwaltschaft argumentierte dagegen erfolgreich, dieses Prinzip gelte nicht bei "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Auch der Einwand Deutschlands, der Friedensvertrag von 1947 und ein weiteres Abkommen aus dem Jahr 1961 schlössen weitere Forderungen aus, wurde zurückgewiesen. Diese Abkommen beträfen nicht "moralische Schäden bei Nazi-Massakern", argumentiert die italienische Justiz.

Deutsche Truppen hatten im Juni 1944 mehr als 200 Menschen in der Nähe von Arezzo umgebracht, vorgeblich als Vergeltung für einen Anschlag von Partisanen. Unter den Getöteten waren Frauen, Kinder sowie ein Priester. Deren Angehörige können nun auf Entschädigung hoffen. Zudem haben italienische Gerichte bereits mehrfach entschieden, dass Deutschland italienischen Zwangsarbeitern Schadensersatz leisten müsse.

Die Bundesrepublik will sich gegen solche Urteile jedoch weiter wehren, unter Umständen auch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sie warnt davor, es könne unabsehbare Folgen haben, wenn die Staatenimmunität derart eingeschränkt werde. Auch Italien müsste in diesem Fall wohl mit hohen Ersatzforderungen rechnen, etwa wegen kolonialer Verbrechen in Nordafrika.

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