Reaktionen auf Giftanschlag auf Nawalny:SPD-Chef warnt vor "Wettbewerb der Sanktions-Ideen"

Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD, aufgenommen im Rahmen der Pressereise durch das Ruhrgebiet in Neuss

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans fordert im Fall Nawalny ein einheitliches europäisches Vorgehen.

(Foto: imago images/photothek)

Norbert Walter-Borjans fordert stattdessen eine gemeinsame europäische Antwort. Aus der Opposition gibt es erste Forderungen nach einem Stopp des Nord-Stream-2-Projekts. In Moskau wird eine neue Nawalny-Variante gestreut.

Von Mike Szymanski, Berlin

Im Fall des vergifteten russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny warnt der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans vor einem "Wettbewerb der Sanktions-Ideen" gegen Moskau, die nur der eigenen Profilierung dienten. "Der Stärkung von Meinungsfreiheit und Demokratie in Russland dient unkoordiniertes Vorgehen nicht", sagte Walter-Borjans der Süddeutschen Zeitung. Die Bundesregierung setze sich entschlossen dafür ein, eine europäische Antwort zu finden. "Das muss der nächste Schritt sein."

Derzeit bemüht sich die Bundesregierung um ein mit den Verbündeten abgestimmtes Vorgehen gegenüber Russland. Zu möglichen Sanktionen, die diskutiert werden, gehört unter anderen auch ein Stopp des Gasprojektes Nord Stream 2 mit Russland.

Die Bundesregierung sieht es als "zweifelsfrei" erwiesen an, dass Nawalny mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Ein Speziallabor der Bundeswehr hatte dies festgestellt. Kanzlerin Angela Merkel sprach am Mittwoch von einem "versuchten Giftmord" an einem der führenden Oppositionellen Russlands: "Er sollte zum Schweigen gebracht werden."

Walter-Borjans erklärte am Donnerstag: "Der Anschlag auf Nawalny ist empörend. Das war ein kaltblütiger Mordversuch an einem unbequemen Geist. Mit jedem Mauern bei der Aufklärung verstärkt der Kreml den Eindruck gewissenloser staatlicher oder staatlich geduldeter Willkür." Es müsse "im Interesse der russischen Regierung liegen, den Anschlag schnell und vorbehaltlos aufzuklären und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen".

Die Bundesregierung hatte am Mittwochnachmittag ihre Erkenntnisse zum Fall Nawalny öffentlich gemacht; das Auswärtige Amt bestellte umgehend den russischen Botschafter Sergej Netschajew ein.

Russland kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung: "Laute öffentliche Erklärungen werden bevorzugt", teilte das Außenministerium in Moskau mit. Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, betonte jedoch, dass Moskau auf die Erklärung aus Berlin zum jetzigen Zeitpunkt nicht "qualifiziert reagieren" könne. Russland sei bereit zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden.

Der russische Auslandsgeheimdienst SWR spekuliert hingegen über eine Verwicklung des Auslands: Die Regierung in Moskau könne nicht ausschließen, dass Spezialkräfte des Westens hinter der Vergiftung des 44-Jährigen stecken würden, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA am Donnerstag den Chef des SWR, Sergej Naryschkin.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen, forderte noch am Mittwochabend eine klare, harte und einheitliche europäische Linie. "Jetzt sind wir erneut brutal mit der menschenverachtenden Realität des Regimes Putin konfrontiert worden", sagte der CDU-Politiker in den ARD-"Tagesthemen". Wenn es jetzt zur Vollendung des Gasprojektes Nord Stream 2 käme, wäre das die maximale Bestätigung und Ermunterung für Wladimir Putin, mit genau dieser Politik fortzufahren, wie der CDU-Außenexperte sagte. Die Grünen forderten bereits einen Abbruch des deutsch-russischen Pipeline-Projekts.

CSU-Chef Markus Söder widersprach derlei Forderungen: "Das eine hat mit dem anderen aus unserer Sicht zunächst mal nichts zu tun", sagte Söder mit Blick auf Nawalnys Vergiftung einerseits und Nord Stream 2 andererseits. Der Bau der Pipeline sei keine staatliche, sondern eine privatwirtschaftliche Entscheidung.

Auch die Europäische Union reagierte zurückhaltend auf Forderungen nach schnellen neuen Russland-Sanktionen. Solange man nicht wisse, wer verantwortlich sei, sei es schwierig, über Strafmaßnahmen zu sprechen, sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Man verlange von Russland, den Fall in transparenter Weise aufzuklären

Nato: Einsatz chemischer Waffen "Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit"

Mehrere Bündnispartner stärkten der Bundesregierung grundsätzlich den Rücken. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, mit allen übrigen Bündnispartnern mögliche Folgen zu erörtern. "Die Nato sieht jeden Einsatz von chemischen Waffen als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit", erklärte Stoltenberg am Mittwochabend in Brüssel. Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven sagte während seines Besuchs in Berlin am Donnerstag, dass Europa auf den Fall reagieren müsse, und zwar gemeinschaftlich.

Nawalny, der am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war und zunächst in Omsk untersucht wurde, wird auf Drängen seiner Familie inzwischen in der Charité in Berlin behandelt. Die Klinik teilte am Mittwoch mit, der Gesundheitszustand von Nawalny sei weiter ernst. Er werde weiter auf einer Intensivstation behandelt und künstlich beatmet.

Mit Material der dpa.

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