Süddeutsche Zeitung

Fall Nawalny:Merkel: Reaktion nicht vor Ende der OPCW-Untersuchung

Erst wenn die Organisation ihre Untersuchungen zur Vergiftung des Kreml-Kritikers abgeschlossen habe, werde man "über notwendige Reaktionen diskutieren", so die Bundeskanzlerin. Ihr Vorgänger Schröder kritisiert die Diskussion über einen Stopp von Nord Stream 2.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will erst über Konsequenzen aus der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny entscheiden, wenn die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) ihre Untersuchungen dazu abgeschlossen hat. Anschließend werde man "im europäischen Kreis über notwendige Reaktionen diskutieren", sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch im Bundestag. Sie betonte erneut, dass es sich bei dem Fall um ein internationales Problem handele. Als mögliche Gangart skizzierte Merkel den internationalen Weg über die Chemiewaffenkonvention.

Der 44-jährige Nawalny ist einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Nach dem Befund eines Bundeswehr-Speziallabors wurde er mit einem international verbotenen Nervenkampfstoff der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet. Russland weist alle Vorwürfe zurück, in den Fall verwickelt zu sein.

Der Kreml betonte, dass die Arbeit mit der OPCW in der Vergangenheit nicht immer produktiv gewesen sei. "Wir können nicht feststellen, dass die Zusammenarbeit immer effektiv ist, bei früheren Gelegenheiten - und auch jetzt", sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow der Agentur Interfax zufolge. Die Kooperation müsse auf einer anderen Ebene erfolgen.

Die Gaspipeline Nord Stream 2, die seit dem Giftanschlag auf Nawalny von Merkel als mögliches Sanktionsmittel ins Visier genommen worden war, erwähnte die Bundeskanzlerin am Mittwoch in ihrer Bundestagsrede nicht.

Altbundeskanzler Gerhard Schröder hatte vor Merkels Rede die Diskussion über einen Stopp des Pipeline-Projekts wegen der Vergiftung des Kreml-Kritikers kritisiert. "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun", sagte der heutige Verwaltungsratschef der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream 2 in seinem Podcast. Er betonte, dass zehn Milliarden Euro Investitionen in den Sand gesetzt würden, sollte die Gasleitung durch die Ostsee nicht zu Ende gebaut werden. Außerdem wies er darauf hin, dass die Verantwortung für die Vergiftung Nawalnys mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok noch nicht geklärt sei.

Schröder hat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin während seiner Zeit als Kanzler eng zusammengearbeitet und ist bis heute gut mit ihm befreundet. Der frühere SPD-Chef hat nach dem Ende seiner politischen Laufbahn mehrere Führungsaufgaben in der russischen Energiewirtschaft übernommen. Neben seinem Posten bei Nord Stream 2 ist er Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft sowie Aufsichtsratschef der bereits bestehenden Ostsee-Pipeline Nord Stream.

Macron wirbt für Annäherung der EU an Russland

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat unterdessen seinen Kurs eines strategischen Dialogs mit Russland verteidigt. Nach einem Treffen mit dem lettischen Ministerpräsidenten Krišjānis Kariņš in Riga warb Macron erneut für eine Annäherung der EU an Russland. "Wir können nicht an einem Punkt angelangen, an der wir einfach nicht miteinander reden", sagte er. Macron betonte an die Adresse seines Gastgebers gerichtet, der Dialog mit Russland werde die Sicherheit Lettlands und der baltischen Staaten nicht gefährden und transparent erfolgen.

Kariņš zeigte sich unter Verweis auf Moskaus Vorgehen in der Ukraine und die Vergiftung des Kreml-Kritikers skeptisch, inwieweit sich Macrons Strategie umsetzen lasse. Lettlands Ministerpräsident verwies stattdessen auf die kollektive Stärke der EU-Mitgliedstaaten. Die EU sei insgesamt wirtschaftlich und sogar militärisch "weitaus stärker" als Russland, sagte er. Lettland, Litauen und auch der dritte Baltenstaat Estland waren im Zweiten Weltkrieg abwechselnd von der Sowjetunion und von Nazi-Deutschland besetzt worden. 1940/44 wurden die drei Länder gegen ihren Willen Sowjetrepubliken und erlangten erst 1991 ihre Unabhängigkeit wieder. Seit 2004 gehören sie EU und Nato an.

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