Dreieinhalb Jahre ist die Tötung Osama bin Ladens im pakistanischen Abbottabad inzwischen her, längst sind Realität und Mythen kaum noch auseinanderzuhalten. Und auch diese Anekdote hätte in einem Hollywood-Film Platz: Robert O'Neill sitzt mit Hinterbliebenen von Opfern des 11. September zusammen, es ist ein emotionales Treffen. Und da entscheidet sich der 38-Jährige, ihnen von den letzten Momenten Osama bin Ladens zu erzählen.
"Die Familien haben mir gesagt, dass es ihnen ein bisschen dabei half, abzuschließen", erklärte der aus dem Militär ausgeschiedene O'Neill der Washington Post. Dies habe ihn endgültig davon überzeugt, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Robert O'Neill ist der Mann, der Osama bin Laden in der Nacht des 1. Mai 2011 getötet haben will. Seine Geschichte hat er bereits vor fast zwei Jahren dem Esquire-Magazin erzählt, wegen der Angst vor Rache-Anschlägen damals anonym ("In dieser Sekunde schoss ich ihm zwei Mal in die Stirn. Bap! Bap!").
Endgültige Klarheit darüber, wer die tödlichen Schüsse auf den Terroristenführer abgegeben hat, besteht trotz der Aussagen aber immer noch nicht. Hohe Militärs haben erklärt, dass es auch der sogenannte point men gewesen sein könnte, also der Soldat, der als Erster die Treppe in dem Haus, in dem Bin Laden sich versteckt hielt, hinaufgestiegen ist. Er befindet sich immer noch im Dienst. O'Neill selbst sagte, auch zwei seiner Kameraden der Elitetruppe "Navy Seals" hätten auf den Terrorchef geschossen.
Zweifelsfrei wird es sich wohl nie feststellen lassen, wer Bin Laden tatsächlich erschossen hat, schreibt die New York Times. Zu viele Soldaten seien in dieser Nacht in das Versteck eingedrungen, mit Nachtsichtgeräten ausgestattet, hätten sie sich auf dem Gelände schnell bewegt. Es gab nie eine Autopsie des Leichnams, eine Videoaufnahme existiert nicht.
Der ehemalige Elitesoldat O'Neill tritt jetzt trotzdem ins Rampenlicht und verletzt damit abermals das Schweigegebot der Navy Seals. Wegen eines einzigen Moments?
Wütende Stimmen aus dem Spezialkräfte-Kommando
Ganz so einfach ist es dann doch nicht: Sein Name sei kein Geheimnis mehr gewesen, argumentiert O'Neill. Militärkreise, zwei Kongressabgeordnete und mindestens zwei Nachrichtenorganisationen hätten von seiner Identität gewusst. Er sei überzeugt gewesen, dass seine Identität früher oder später publik geworden wäre und deshalb den Schritt gewagt.
"Ich dachte, ich würde es nicht überleben", sagte O'Neill über den Einsatz. Er habe Bin Laden in seinem Schlafzimmer erschossen. "Da stand er dann, Bin Laden. Er hatte seine Hände auf den Schultern einer Frau, die er vor sich schob." Durch seine Nachtsichtgläser habe er Bin Laden trotz des dunklen Raums eindeutig identifizieren können und abgedrückt, sagte O'Neill. Die Kugel habe bin Ladens Schädel gespalten.
Die Aktion hätten die Elitesoldaten bei ihren Vorbereitungen unzählige Male geübt. Den Todesschuss nannte er einen antrainierten Reflex. Zudem unterstrich er, dass der Schuss ohne seine Mitstreiter, die zwei Frauen in dem Schlafgemach überwältigten, nicht zustande gekommen wäre.
Eigentlich hätte das Gespräch mit der Washington Post erst in der kommenden Woche erscheinen sollen, ebenso ein zweiteiliges Interview mit dem TV-Sender Fox News. Dass sich O'Neill schon vorher zu erkennen geben muss, zeigt, wie übel ihm die Community der Elitesoldaten den Schritt nimmt.
Zwei ranghohe Mitglieder aus dem Spezialkräfte-Kommando hatten einen Brief an ihre Soldaten geschickt, in dem sie die angekündigte Offenbarung heftig kritisieren, ohne diese direkt zu erwähnen. "Ein entscheidender Teil unseres Ethos ist: Wir machen weder die Art unserer Arbeit bekannt, noch suchen wir Anerkennung für unsere Taten", heißt es dort. Man werde juristisch gegen all jene vorgehen, die gegen dieses Gebot verstießen, drohen die Autoren.
Das Spezialkräfte-Blog Sofrep berichtete am Montag nicht nur über den Brief, sondern nannte in einem Nebensatz gleich O'Neills Namen.
Ein Grabstein mit dem Verräter-Namen
Auch sein ehemaliger Kollege aus dem "Team 6", Matt Bissonnette, war 2012 schnell enttarnt worden. Er hatte unter Pseudonym seine eigene Version der Operation als Buch mit dem Titel "No Easy Day" veröfentlicht.
Bissonnette selbst bezeichnet sein Buch inzwischen als Fehler, die US-Staatsanwaltschaft untersucht den Fall, da die Soldaten eine lebenslange Stillschweige-Erklärung unterzeichnen. Foreign Policy berichtet, dass die US-Regierung nach Möglichkeiten sucht, einen Teil der Bucherlöse für den Staat zu reklamieren.
Sein ehemaliger Vorgesetzter bewahre in seinem Büro einen nachgemachten Grabstein mit seinem Namen darauf auf, erzählte Bissonnette vor kurzem. "Man nennt sie (seine Einheit "Team 6", d. Red.) nicht umsonst 'Navy Team der Sechsjährigen'". Bissonnette hat inzwischen ein zweites Buch angekündigt, in dem es um andere Themen gehen soll.
Auch Robert O'Neill hat nach seinem Ausscheiden aus der Navy im Jahr 2012 eine lukrative Aufgabe gefunden: Eine bekannte Washingtoner Agentur vermittelt ihn als Motivationsredner. Sein Marktwert dürfte in den vergangenen Stunden sicher nicht gesunken sein.