Navid Kermani:Ich könnte an ein Kreuz glauben

Dieser Muslim soll nicht für den Hessischen Kulturpreis taugen? Navid Kermanis klarer Blick auf die Bilder des Christentums.

Gustav Seibt

Der Anhänger einer bilderlosen Konfession, die einen abstrakten geistigen Gott anbetet, kommt nach Rom, ins Zentrum des Katholizismus - und ist überwältigt. Kaum weiß er sich zu fassen, und noch rückblickend verfällt er schier ins Stammeln: "Ich hatte nie der Künste Macht gefühlt: / Es haßt die Kirche, die mich auferzog, / Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet sie, / Allein das körperlose Wort verehrend. / Wie wurde mir, als ich ins Innre nun / Der Kirchen trat und die Musik der Himmel / Herunterstieg und der Gestalten Fülle / Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll,/ Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig, / Vor den entzückten Sinnen sich bewegte."

Navid Kermani: Der Preis wurde Navid Kermani wieder aberkannt.

Der Preis wurde Navid Kermani wieder aberkannt.

(Foto: Foto: dpa)

So beschreibt es der vom Protestanten zum Katholiken bekehrte Mortimer in Schillers Drama "Maria Stuart". Gut zweihundert Jahre später macht ein muslimischer Intellektueller, der deutsche, aus iranischer Familie stammende Schriftsteller Navid Kermani bei einem Rom-Aufenthalt, den ein Stipendium der Villa Massimo ihm ermöglicht hat, ganz ähnliche Erfahrungen. Er beginnt zu schwärmen über ein prachtvolles Gemälde, eine Kreuzigung von Guido Reni, die "als gewaltige Leinwand auf dem Hochaltar der Barockkirche, wo es schwarz-goldene Säulen, ein Plüschvorhang, dicke Engel und elektrische Kerzen umrahmen" aufgestellt ist.

Kermani würde gewiss nicht wie Schillers Mortimer von sich sagen, er sei "in finsterm Hass des Papsttums aufgesäugt" geworden; sollte er regelmäßiger Besucher von Moscheen sein, würde er diese auch kaum als "dumpfe Predigtstuben" bezeichnen. Gewiss aber ist, dass der folgerichtigen Abstraktion des islamischen Gottesbegriffs, in dem Kermani erzogen wurde, die verschwenderische Bilderfülle gerade des barocken Katholizismus denkbar fremd ist. Und die viel älteren theologischen Konzeptionen, die solcher Pracht zugrundeliegen - die Fleischwerdung und der Opfertod Gottes als Jesus Christus, die Dreifaltigkeit der Person des einen Gottes - dürfen einem Betrachter mit muslimischen Kulturhintergrund durchaus bedenklich erscheinen.

Sich das vorzustellen, sollte eigentlich zu den Selbstverständlichkeiten aufgeklärter und gebildeter Christen, zumal historisch gelehrter Theologen gehören. Und doch lehnten der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, und der frühere Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker den Hessischen Kulturpreis ab. Der sollte dieses Jahr dezidiert den Dialog zwischen den Religionen würdigen und deswegen sollten ihn Lehmann und Steinacker gemeinsam mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn und Navid Kermani bekommen sollten.

"Wegen der so fundamentalen und unversöhnlichen Angriffe auf das Kreuz als zentralem Symbol des christlichen Glaubens" in einem Text des Schriftstellers würden sie ihn ablehnen, ließen sie verlautbaren. Das Kuratorium des Kulturpreises unter der Leitung des hessischen Ministerpräsidenten Koch musste sich daraufhin entscheiden. Es entschied sich, den Preis an Lehmann, Steinacker und Korn zu vergeben, nicht an Kermani. Steinacker bekräftigte am vergangenen Donnerstag seine Entscheidung noch einmal: Dass Kermani in einem Artikel in der Neuen Züricher Zeitung die Kreuzestheologie als "Gotteslästerung und Bilderdienst" bezeichnet habe, beende den interreligiösen Dialog.

Der heftige Widerstand und die Unversöhnlichkeit der beiden Kirchenmänner verwunderte viele in diesem Land. Umso mehr als im Falle Navid Kermanis etwas ganz Unerwartetes eintrat: Der islamische Religionswissenschaftler, dem wir ein beeindruckendes Buch über das ästhetische Erleben des Koran verdanken ("Gott ist schön", C.H. Beck, München 1999), beginnt sich während seines Aufenthaltes in der Villa Massimo ausgerechnet in die barocke römische Kirchenmalerei zu verlieben. Dabei hat Rom so viel alte Bau- und Kunstsubstanz, dass sich denkbar starke andere Möglichkeiten angeboten hätten: Antike Statuen, das Forum Romanum, Renaissance-Paläste, mythologisch-klassische Wandgemälde. Kermani hätte sich, wie einst Winckelmann, von den gezierten Gesten der Barockkunst abwenden und den Apoll von Belvedere oder den Laokoon bewundern können. Oder er hätte mit Rolf-Dieter Brinkmann auch ein regelrechter Rom-Hasser werden können.

Und wenn es schon barocke Malerei sein sollte, die er sich erkor, dann hätte der muslimische Betrachter wie Goethe zwar die Machart bestaunen, aber doch die Inhalte verwerfen können. Als Goethe nämlich auf seiner italienischen Reise in Bologna 1786 erstmals mit der Malerschule bekannt wurde, die dann auch das barocke Rom prägen sollte, hielt er fest: "Ein großes Hindernis der reinen Betrachtung und der unmittelbaren Einsicht sind die meist unsinnigen Gegenstände der Bilder, über die man toll wird (. . . ). Indem der himmlische Sinn des Guido, sein Pinsel, der nur das Vollkommenste, was geschaut werden kann, hätte malen sollen, dich anzieht, so möchtest du gleich die Augen von den abscheulich dummen, mit keinen Scheltworten der Welt genug zu erniedrigenden Gegenständen wegkehren."

Schwierigkeiten mit dem Kreuz

Die Goethe zufolge mit keinen Scheltworten der Welt genug zu erniedrigenden Gegenstände sind die biblischen Geschichten und die Leiden der christlichen Märtyrer, also: "Schindanger, immer Leiden des Helden", "entweder Misstäter oder Verzückte, Verbrecher oder Narren". So der Protestant aus Frankfurt mit seinem Winckelmann-Hintergrund. Kermani, der Moslem aus Köln, mit seiner Koran-Schulung reagiert ganz anders, er lässt sich ein auf die Bilder, nicht nur auf ihre offenkundige malerische Kraft, sondern ebenso auf ihre Inhalte.

So entstehen mitreißende Bildbetrachtungen (die meisten für die Neue Zürcher Zeitung), zu Altargemälden von Caravaggio, zu einer alten Ikone und zu der Kreuzigung auf dem Hochaltar von San Lorenzo in Lucina, die sich jenem Guido Reni verdankt, dem Goethe "himmlischen Sinn" attestierte. Die Sätze, in denen der Muslim Kermani sich fast wider seine eigenen Überzeugungen auf die Theologie des Kreuzes einlässt, sind unterdessen mehrfach zitiert worden: "Für mich aber ist das Kreuz ein Symbol, das ich theologisch nicht akzeptieren kann, akzeptieren für mich, meine ich, für die Erziehung meiner Kinder. Andere mögen glauben, was immer sie wollen; ich weiss es ja nicht besser. Ich jedoch, wenn ich in der Kirche bete, was ich tue, gebe acht, niemals zum Kreuz zu beten. Und nun sass ich vor dem Altarbild Guido Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich - nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben."

Alle Texte Kermanis zu den katholischen Barockbildern inszenieren diesen Moment zwischen Befremdung und Hingerissenheit, den von Kunst beförderten Übertritt in eine soeben noch verschlossene Gefühls- und Glaubenswelt. Über den Petrus, dessen Kreuzigung Caravaggio in einem Altarbild der Kirche Santa Maria del Popolo dargestellt hat, schreibt Kermani: "Er ist überrascht, das ist vielleicht der stärkste Eindruck, er kann es nicht fassen, jetzt sterben zu müssen, so sterben zu müssen, deshalb wohl hebt er noch den Kopf, um sich zu versichern, dass es tatsächlich ein Nagel ist, der seine Hand durchbohrt. Es ist zugleich ein letztes, instinktives und sinnloses Zucken, um der Schwerkraft zu entgehen. Petrus, der Fels, ist ein Mensch. Diese Wahrheit offenbar werden zu lassen, die in der Bibel doch sogar über Jesus Christus steht, gelingt keinem Naturalismus, keiner Fotografie und nicht einmal dem Auge. Es ist mehr, als was wir sehen."

Und zur "Berufung des Heiligen Matthäus" in San Luigi dei Francesi, wo Caravaggio den Moment zeigt, in dem der Jude Levi von Christus zum Evangelisten Matthäus gemacht wird, stellt Kermani fest: "Der Bruch mit allem, was Levis Leben bis zu dieser Sekunde ausmachte, ist in der Bibel so abrupt und umfassend, dass er, wenn nicht als Hypnose trivialisiert oder mit dem Begriff der Aura vernebelt, nur als ein Wunder zu verstehen ist." Diesen Bruch mache die Malerei Caravaggios auch als Qual fühlbar, als Zersprengung bisheriger Identität, die den Begriff "frohe Botschaft" fragwürdig werden lasse.

So eindringlich und überraschend räsoniert der Abkömmling eines strengen, bilderlosen Glaubens im Angesicht des Gegenpols. Ja, er hat seine Schwierigkeiten mit dem Kreuz und dem Kult der Leiden und der Märtyrer. So sagt Kermani in seiner Betrachtung zur Reni-Kreuzigung auch: "Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen. Ich kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen. Sie tun es ja höflich, viel zu höflich, wie mir manchmal erscheint, wenn ich Christen die Trinität erklären höre und die Wiederauferstehung und dass Jesus für unsere Sünden gestorben sei." Aber er sagt auch: "Ich weiß es ja nicht besser." Und: Ich könnte daran glauben.

Goethe war da weit weniger zurückhaltend. Dass er mit Kreuz und Christentum seine Schwierigkeiten hatte, ist bekannt: "Mir willst du zum Gotte machen/ Solch ein Jammerbild am Holze!" Diese Verse, die aus einem Nachlassgedicht zum "West-östlichen Divan" stammen resümieren eine Überlegung, die sich ganz aus dem islamischen Gottesbegriff speist: "Jesus fühlte rein und dachte / Nur den einen Gott im stillen; / Wer ihn selbst zum Gotte machte, / Kränkte seinen heil'gen Willen. / Und so muß das Rechte scheinen, / Was auch Mahomet gelungen; / Nur durch den Begriff des einen / hat er alle Welt bezwungen."

Das ist weit härter als Kermanis einfühlsam tastender Seufzer "Ich könnte an ein Kreuz glauben", das ist eine offene Kampfansage. Dass jetzt ein deutscher Muslim, der offenherziger über Kreuz und Christentum spricht als Johann Wolfgang Goethe es zuweilen tat, nicht für wert befunden wird, einen der religiösen Verständigung gewidmeten Kulturpreis zu erhalten, fällt auf jene geistlichen Herren zurück, die Kermanis Ausbootung betrieben. Um es mit Goethe zu sagen: "Verlogne Pfaffen! Hätt' Allah mich bestimmt zum Wurm, So hätt' er mich als Wurm geschaffen."

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