Auf dem Papier ist die Bundesrepublik grün, von Flensburg bis nach Oberammergau. Es gibt Nationalparks, Naturschutzgebiete, Biosphärenreservate, „Flora-Fauna-Habitate“ und Gebiete unter Landschaftsschutz. Ganz klein sind sie nicht: gut 9000 Naturschutzgebiete, von der Lüneburger Heide bis zum Oberspreewald. Sie allein nehmen 4,1 Prozent der deutschen Landfläche ein. Dann 18 Biosphärenreservate, auf 3,9 Prozent der Fläche, und 16 Nationalparks Naturschutzgebiete, acht Naturmonumente – das alles summiert sich nach Zahlen des Bundesamtes für Naturschutz auf 16,2 Prozent. Und da sind die Landschaftsschutzgebiete noch gar nicht mitgezählt, sie bedecken mehr als ein Viertel der Landesfläche.
Nur: Wo Schutz draufsteht, ist längst nicht immer Schutz drin. Auch ist so manches Biotop eine Insel im Irgendwo. Weshalb Deutschland-Karten der Schutzgebiete so aussehen, als hätte ein Maler mit Schwung seine Farbpinsel über dem Land ausgeschüttelt. Ein bisschen Schutz hier, ein bisschen Schutz dort.
63 Prozent der Pflanzen- und Tierarten sind in keinem guten Zustand
Das Ergebnis spiegelt sich in den alle sechs Jahre erscheinenden Bestandsaufnahmen zur Lage der Natur im Land: Die ist bescheiden. Der letzte Report dieser Art im Jahr 2020 bescheinigte 63 Prozent der Pflanzen- und Tierarten einen schlechten oder unzureichenden Erhaltungszustand, bei den Lebensräumen waren es sogar 69 Prozent. Die einzige Gegend, in der es etwas besser aussieht, sind die Alpen. Das aber vor allem, weil hier Großgerät und Chemie einer intensiven Landwirtschaft nicht so zum Einsatz kommen können. Letztere machte auch der Naturschutz-Bericht als Hauptgegner aus – und empfahl jenseits der Schutzgebiete auch die Vernetzung von Biotopen. Extensiv genutzte, größere Gebiete müssten so entstehen, in denen sich bedrohte Arten ausbreiten können.
Extensive Gebiete in einem so intensiv genutzten Land? Die Idee ist nicht neu. Denn Biotope lassen sich vernetzen – auch dadurch, dass zum Beispiel Flächen, die zwischen ihnen liegen, naturnah bewirtschaftet werden. Ein Netz von Schutzgebieten könnte so entstehen, Umweltschützer sprechen von einer „grünen Infrastruktur“. Und unrealistisch ist die Idee nicht. „Wir haben Lücken zwischen den Schutzgebieten“, sagt Kai Niebert, der Präsident des Deutschen Naturschutzrings. Und häufig werde dieser Schutz nicht einmal gut gemanagt. „Wir müssen also zweierlei erreichen: Lücken schließen und den Zustand bestehender Schutzgebiete verbessern.“
Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatten Umweltverbände die Idee dieser „grüne Infrastruktur“ an Kanzler Olaf Scholz herangetragen. Die Ampelkoalition wollte schließlich alle möglichen Bauvorhaben beschleunigen, von Autobahnen über erneuerbare Energien bis hin zu Terminals für verflüssigtes Erdgas. Für solche Eingriffe verlangt das Gesetz einen Ausgleich, er soll zumindest einen Teil des Schadens für Natur und Umwelt kompensieren. Und tatsächlich fasste die Koalition im Frühjahr 2023 einen „zusammenhängenden länderübergreifenden Biotopverbund“ ins Auge. Ein eigenes „Naturflächenbedarfsgesetz“ sollte sicherstellen, dass es dafür die nötigen Flächen gibt. Und das alles als Ausgleich für große Bauvorhaben. Man wolle so dem „Zielkonflikt zwischen Naturschutz und dem Ausbau von Infrastruktur“ Rechnung tragen, beschloss die Koalition.
Dabei blieb es. Das Bauministerium hatte andere Prioritäten, dem Umweltministerium war der Plan von Anfang an suspekt. Es fürchtete, am Ende gebe es zwar viel graue Infrastruktur, aber wenig grüne.
30 Prozent der Landes- und Meeresflächen sollen geschützt werden
Weshalb das Thema nun wieder auf der Agenda des neuen Umweltministers, Carsten Schneider (SPD), gelandet ist. Denn der Biotopverbund hat es in den neuen Koalitionsvertrag geschafft, mitsamt dem Gesetz: „Wir erleichtern in einem Naturflächenbedarfsgesetz die Ausweisung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und die Vernetzung von Ausgleichsmaßnahmen“, heißt es dort. Auch sollten mehr Flächen nachhaltig genutzt werden, nicht zuletzt mit Blick auf internationale Verpflichtungen. Schließlich hat auch Deutschland das Montrealer Artenschutzabkommen von 2022 unterzeichnet. Darin verpflichtet sich die Staatengemeinschaft, 30 Prozent ihrer Landes- und Meeresfläche „effektiv“ unter Schutz zu stellen.
Aber dafür braucht es Geld, und ebenso für die Vernetzung von Biotopen – zumal in einem dicht besiedelten Land, in dem die Hälfte der Fläche von Landwirten bestellt wird. „Für sie muss es auch ökonomisch interessant sein, Flächen zur Verfügung zu stellen oder schonend zu bewirtschaften“, sagt Naturschutzring-Chef Niebert. „Insgesamt würde es helfen, wenn Ausgleichsregelungen künftig so gestaltet sind, dass Kompensationen genau für diese Zwecke fließen, mit dem Ziel eines möglichst großen Biotopverbunds.“ Gerade in einem Land, das mit vielen neuen Investitionen aus der Wirtschaftsflaute finden möchte, sei das doch geradezu eine Win-win-Situation. Und unbürokratischer und schneller werde die Kompensation so auch.
So sieht es auch das Umweltministerium. Es gehe darum, die nötigen Flächen „schneller und unkomplizierter“ bereitzustellen, heißt es dort. Die Vorarbeiten an dem Gesetz hätten begonnen. Man sehe, erklärt eine Sprecherin, einen „engen politischen Zusammenhang zwischen einer beschleunigten Umsetzung von Vorhaben, die mit Eingriffen in die Natur verbunden sind, und solchen, die ihrem ökologischen Ausgleich dienen“. Etwa ein Lückenschluss im Netz der Natur.