Verteidigungsausgaben:Schluss mit unverbindlich

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Bei der Nato legen alle zusammen: Eine US-amerikanische Boeing der Air Force vor deutschen "Patriot"-Luftabwehrsystemen auf dem Flughafen in Vilnius. (Foto: Mindaugas Kulbis/AP)

Viele Nato-Länder haben sich bisher nicht an die Abmachung gehalten, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben. Künftig soll das die Untergrenze sein.

Von Hubert Wetzel, Vilnius

Das Militär liebt Abkürzungen. Bei der Nato ist diese Zuneigung in den zivilen Bereich übergeschwappt, zum Beispiel bei dem Akronym DIP. Damit ist im Nato-Sprech der "Defence Investment Pledge" gemeint - die Zusage der Mitgliedsländer, wie viel Geld sie jedes Jahr in ihre Verteidigung investieren wollen. Bei ihrem Gipfeltreffen in Vilnius einigten sich die Staats- und Regierungschefs der 31 Nato-Staaten am Dienstag auf eine Formulierung, die vor allem in Europa eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben zur Folge haben soll.

Bisher galt für die Nato-Staaten ein 2014 festgelegter "Richtwert": Jedes Land sollte sich bemühen, einen Betrag für seine Verteidigung auszugeben, der zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung entsprach. Von diesem Betrag wiederum sollten 20 Prozent verwendet werden, um Ausrüstung für die Armee zu kaufen. Das Problem: Nur eine Minderheit der Nato-Mitglieder hielt sich an diese vage formulierte Vorgabe. Im Zweifelsfall gab es immer Wichtigeres, wofür die Länder ihr Geld ausgeben wollten, als die Armee.

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich das grundlegend geändert - zumindest sagen die Staats- und Regierungschefs der Nato das. An der Ostgrenze der Allianz tobt jetzt der größte europäische Krieg seit 1945. Viele der Nato-Länder in der Region, allen voran die Balten und Polen, haben ihre Verteidigungsausgaben bereits weit über die Zwei-Prozent-Marke angehoben - auf drei oder vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. "Glauben Sie mir, mir fallen als Regierungschefin auch andere Dinge ein, für die ich das Geld lieber ausgeben würde", sagt die estnische Premierministerin Kaja Kallas. "Aber wir haben keine andere Wahl."

Diese Dimensionen wollen längst nicht alle Nato-Staaten erreichen. Doch es gibt in der Allianz einen Konsens, dass man im Jahr 2023 nicht einfach mit der Ausgabenzusage von 2014 weitermachen kann, zumal sich an die selbst große Mitglieder wie Deutschland notorisch nicht gehalten haben. Beim Nato-Gipfeltreffen beschlossen die Regierungen daher eine verbindlichere Sprachregelung: Sie blieben zwar bei der Investitionssumme von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese ist allerdings kein Richtwert mehr, der eine Obergrenze beschreibt. Stattdessen sind die zwei Prozent künftig eine Untergrenze - ein Minimum, zu dem die Nato-Länder sich "dauerhaft verpflichten".

Für manche Länder wird das zu erheblichen Mehrausgaben für das Militär führen. Deutschland zum Beispiel investiert im laufenden Jahr nach der standardisierten Berechnung der Nato nur 1,57 Prozent seines BIP in die Verteidigung. Der Wehretat, der im Moment bei um die 50 Milliarden Euro im Jahr liegt, muss demnach um knapp ein Drittel steigen. Einen Teil davon kann die Bundesregierung über das 2022 beschlossene Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro finanzieren. Dieses ist in die aktuellen Statistiken der Nato noch nicht eingerechnet, weil das Geld nur bewilligt wurde, aber noch nicht für Waffenkäufe abgeflossen ist. 2024, so die Erwartung in Berlin und Brüssel, wird Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel auf diese Weise erstmals erfüllen.

Nach dem Kalten Krieg hatten viele Länder abgerüstet

Doch die Nato hat nicht zufällig das Wörtchen "dauerhaft" in ihre neue Formulierung zum DIP eingebaut. Es geht eben nicht darum, dass Länder ihre Militärausgaben wegen des Ukrainekriegs nur für ein oder zwei Jahre durch Sonderhaushalte aufstocken. Sondern es geht um langfristige Mehrausgaben, durch die gerade die europäischen Armeen wieder in die Lage versetzt werden sollen, einen langen Krieg gegen Russland führen zu können. Etwas abstrakter ausgedrückt geht es also um das endgültige Ende der sogenannten Friedensdividende, die nach dem Ende des Kalten Krieges die Wehretats hat schrumpfen lassen.

Vor allem in Westeuropa stehen zahlreiche Nato-Staaten vor dem gleichen Problem wie Deutschland. Portugal, Spanien, Italien, Belgien, die Niederlande - sie alle liegen unter der Zwei-Prozent-Marke. Selbst Frankreich reißt mit 1,9 Prozent Verteidigungsausgaben knapp die Latte. Ob und wie diese Staaten in den kommenden Jahren auf die Zwei-Prozent-Summe kommen wollen und können, ist unklar. "Es kann jedenfalls nicht sein, dass einige Länder sagen: Wir lassen uns bis 2035 Zeit, bis wir das Zwei-Prozent-Ziel erreichen", sagt ein Nato-Diplomat in Brüssel.

Sanktionen sind nicht vorgesehen

Durchsetzen kann die Nato eine Erhöhung der Militärausgaben nicht. Anders als die Europäische Union hat die Allianz keine Mechanismen, um Länder zu zwingen, sich an gemeinsame Beschlüsse und Regeln zu halten oder Verstöße zu bestrafen. Die einzige Möglichkeit ist, solche Länder namentlich zu nennen und damit öffentlich an den Pranger zu stellen. Aber auch das ist in der Nato eigentlich nicht üblich - die Organisation entscheidet immer im Konsens, Geschlossenheit ist ein wichtiger Wert für die Nato.

Allerdings gibt es auch ein Beispiel aus jüngerer Zeit, das zeigt, dass brachialer öffentlicher Druck, so ungewöhnlich und unbequem er sein mag, durchaus Ergebnisse bringen kann: Als Donald Trump der amerikanische Präsident war, hat er immer wieder die europäischen Nato-Staaten auf höchst rüde Art aufgefordert, endlich mehr Geld für ihre eigene Verteidigung auszugeben. Und auch wenn bei der Nato in Brüssel niemand zugeben würde, dass es einen Kausalzusammenhang gibt - die Europäer haben ihre Militärausgaben in den Trump-Jahren um Dutzende Milliarden Euro gesteigert.

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