Süddeutsche Zeitung

Nato:Zahlenbotschaft für Washington

Die europäischen Bündnis-Ländern steigern ihre Verteidigungsausgaben im fünften Jahr in Folge.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die europäischen Nato-Mitglieder und Kanada werden 2019 das fünfte Jahr in Folge mehr Geld in ihre Verteidigung investieren. Die Ausgaben für Militär steigen im Vergleich zu 2018 um etwa 3,9 Prozent, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg vor dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel und präsentierte entsprechende Grafiken. Dass sich die Zahlen und Balken wohl vor allem an US-Präsident Donald Trump richten dürften, lässt sich aus dem nächsten Satz des Norwegers ableiten: Bis Ende 2020 werden die 27 Staaten aus Europa und Kanada "weit mehr als 100 Milliarden" zusätzlich ausgegeben haben - und hierfür ist das Vergleichsjahr 2016, als Trump bekanntlich ins Weiße Haus gewählt wurde.

Das zweitägige Treffen der Verteidigungsminister gilt als Zwischenschritt zwischen der festlichen 70-Jahr-Feier in Washington im April und dem nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs Anfang Dezember 2019 in London. Dort wird Trump wieder vehement auf das Zwei-Prozent-Ziel pochen, auf das sich die Nato-Mitglieder 2014 verpflichtet haben - und das laut Stoltenberg 2019 abgesehen von den USA sieben Verbündete erreichen: Neben Großbritannien und Griechenland sind dies die osteuropäischen Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien.

Deutschland erreicht nun eine Quote von 1,36 Prozent und stellt für 2019 Ausgaben von 49,1 Milliarden Euro ein, was im Vergleich zu 2014 einen Zuwachs von 25 Prozent ausmacht. Die aktuellen Zahlen der Berliner Finanzplanung, wonach die Rüstungsausgaben bis 2023 stagnieren und die Quote so sinken dürfte, wurden in Brüssel weder von Stoltenberg noch von US-Botschafterin Kay Bailey Hutchison kommentiert - gefallen dürfte beiden der Trend ebenso wenig wie Donald Trump.

Die 29 Minister werden an diesem Mittwoch darüber beraten, wie die Allianz auf den Fall reagiert, dass Russland in den kommenden fünf Wochen nichts unternimmt, um das Auslaufen des INF-Vertrags zum Verbot von nuklearen Mittelstreckenwaffen zu verhindern. Die USA werfen Russland seit Jahren vor, dass der Marschflugkörper 9M729 (in der Nato bekannt als SSC-8) gegen den INF verstoße, weil er deutlich weiter als 500 Kilometer fliege. Moskau streitet dies ab, aber die USA hatten am 2. Februar - mit der Unterstützung aller Nato-Partner - den bilateralen Vertrag aufgekündigt, woran sich eine allerletzte sechsmonatige Phase anschließt.

Dass Moskau beim INF-Vertrag einlenken wird, glaubt kaum noch jemand

Stoltenberg rief Russland erneut auf, bis zum 2. August wieder vertragstreu zu werden und die SSC-8-Raketen abzubauen und zu zerstören. Sollte dies ausbleiben, werde die Antwort der Nato "defensiv, maßvoll und koordiniert" sein, kündigte der Nato-Generalsekretär an. Er betonte, dass die Stationierung von landbasierten Atomraketen in Europa nicht geplant sei: "Wir wollen kein neues Wettrüsten." Diplomaten zufolge plant die Nato eine "Reihepolitischer und militärischer Maßnahmen", die sowohl kurz- als auch mittelfristig umgesetzt werden dürften. Welche Beschlüsse getroffen werden, ist noch offen. In der ersten Juli-Woche soll der Nato-Russland-Rat zusammentreten, um das Thema INF zu beraten. Hoffnungen, dass Moskau einlenkt, gibt es in Brüssel aber so wenig wie in Berlin und Washington.

Am Donnerstag werden sich die Minister mit der Zukunft beschäftigen und erstmals eine Weltraum-Strategie beschließen. Im Bündnis wächst das Bewusstsein, dass Kriege künftig auch im Weltraum geführt werden könnten - etwa durch Angriffe auf Satelliten oder einen Einsatz von Waffen im All. "Es ist wichtig, dass wir auch im Weltraum wachsam sind", sagte Stoltenberg. Die Nato solle zu einer wichtigen Plattform zum Austausch von Fähigkeiten und Informationen werden. Sowohl Russland als auch China haben zuletzt ihre Präsenz im All verstärkt.

Schon Ende 2019 könnte die Militärallianz den Weltraum zu einem eigenständigen Operationsgebiet erklären. Dies hätte zur Folge, dass neben zusätzlichen Mitteln mögliche Angriffe aus dem Weltraum so behandelt wie solche am Boden, zu Wasser oder in der Luft. 2016 war bereits Cyber zum eigenständigen Einsatzgebiet erklärt worden, um sich besser gegen Hackerangriffe schützen zu können.

Es wird erwartet, dass der US-Amerikaner Mark Esper, der neue Interimschef des Pentagons, die Verbündeten über den Konflikt mit Iran informieren wird. Ein weiteres Thema ist die Lage in Afghanistan und die Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban. Momentan sind dort 17 148 Soldaten aus Nato-Staaten und deren Partnerländer stationiert, darunter 1300 Bundeswehrsoldaten.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2019
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