Nato-Unterstützung:Überfällige Signale ans Baltikum - und den Kreml

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Kanzlerin Angela Merkel und die lettische Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma am gestrigen Donnerstag in der lettischen Hauptstadt Riga (Foto: dpa)

Estland, Lettland und Litauen fordern die Stationierung von Bodentruppen der Nato auf ihrem Gebiet - als Versicherung gegen eine russische Aggression. Das ist unnötig. Politische Signale der Solidarität des Westens hingegen sind überfällig.

Kommentar von Hubert Wetzel

Während des Kalten Kriegs waren in Westdeutschland amerikanische Truppen stationiert, deren militärische Aufgabe allenfalls darin bestand, einem sowjetischen Angriff symbolischen Widerstand zu leisten. Niemand erwartete, dass ein paar US-Divisionen die Armeen des Warschauer Pakts aufhalten könnten. Der eigentliche Zweck der amerikanischen Soldaten in der Bundesrepublik war ein politischer: Sie sollten durch ihre Anwesenheit - und ihren sicheren Tod im Kriegsfall - garantieren, dass das ferne Amerika einen russischen Angriff ebenso zu spüren bekommen würde wie die europäischen Verbündeten. Die GIs dienten als "Stolperdraht", auf den die Rotarmisten treten und dadurch einen amerikanischen Gegenangriff erzwingen sollten.

Genau das ist der Grund, warum heute die baltischen Staaten darum bitten, dass auf ihrem Gebiet westliche - vorzugsweise amerikanische - Bodentruppen stationiert werden. Estland, Lettland und Litauen sind zwar Nato-Mitglieder; die in Artikel 5 des Nato-Vertrags festgeschriebene Beistandspflicht gälte also auch für sie, sollte Moskau anfangen, ähnlich wie auf der Krim und in der Ostukraine auch in diesen früheren Sowjetrepubliken mit "grünen Männchen" zu zündeln. Doch Buchstaben auf Büttenpapier sind das eine; die Entsendung von Soldaten aus Westeuropa oder den USA, wie sie am Montag die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel wieder gefordert hat, wären hingegen eine sehr viel vertrauenswürdigere Rückversicherung gegen eine eventuelle russische Aggression.

Bisher wurden die Bitten der Osteuropäer praktisch ignoriert. Die USA haben einige Marineinfanteristen für Manöver ins Baltikum geschickt, das war's. Und vermutlich war das die richtige Reaktion. Der Westen und Russland stecken in einer tiefen Krise - aber nicht in einem neuen Kalten Krieg. Es gibt derzeit keinen Grund, einen russischen Angriff auf ein Nato-Mitglied zu befürchten; demnach gibt es auch keinen Grund, dass nun die Nato ihre politischen Zusagen an Moskau bricht und doch Bodentruppen in den neuen Mitgliedsländern stationiert. Das mag sich in absehbarer Zeit ändern, und dann wird die Allianz reagieren müssen. Noch aber wäre die Verlegung von Nato-Einheiten nach Osten, das Spannen eines neuen Stolperdrahts, eher eine Provokation, ein Schritt zur Verschärfung, nicht zur Lösung des Konflikts.

Westliche Truppen sind unnötig, politische Solidarität ist überfällig

Ein Soldat der US Pennsylvania National Guard nimmt am 14. Juni 20014 an einem Manöver in Litauen teil. Die Stationierung von westlichen Truppen ist unnötig. (Foto: AFP)

Längst überfällig ist freilich das glasklare politische Signal an die Balten - und den Kreml -, dass die drei kleinen Länder an der Ostsee im Gegensatz zur Ukraine keine Pufferzone sind, keine geostrategische Grauzone und schon gar nicht Teil des Moskauer Hinterhofes, auch wenn dort noch viele Russen leben. Estland, Lettland und Litauen gehören zur EU und zur Nato - ohne Abstriche. Es war eine Zumutung für sie, zusehen zu müssen, wie ihre Partner im Westen wochenlang einen Schleichweg suchten, um Paris noch rasch den Verkauf von zwei modernen Kriegsschiffen an Russland zu ermöglichen - Schiffe, die sich hervorragend für Angriffe von See aus auf Länder mit flachen Küsten eignen - wie jene der baltischen Staaten. Frankreichs Industrie-Interessen wurden dabei über die baltischen Sicherheitssorgen gestellt - kein Zeichen europäischer Solidarität in gefährlichen Zeiten.

Es war daher höchste Zeit, dass Bundeskanzlerin Merkel sich auch einmal in Riga blicken ließ; dass der Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove öffentlich klarstellte, dass ein Einsickern russischer Kämpfer in einem baltischen Staat nach Artikel 5 wie ein Angriff auf alle Nato-Länder zu werten wäre; und dass auch US-Präsident Barack Obama mit seinem geplanten Besuch in Tallinn Anfang September zeigt, dass Amerika die Angst der Balten ernst nimmt.

© SZ vom 19.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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