Militärübung:Nato versucht sich in moderner Abschreckung

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"Moderne Abschreckung" erhofft sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vom Militärmanöver in Troia in Portugal.

(Foto: AFP)

36 000 Soldaten sind am größten Manöver des Militärbündnisses seit vielen Jahren beteiligt. Es soll ein Zeichen senden - auch Richtung Russland.

Von Daniel Brössler, Troia

Eben noch wirkte alles friedlich. Die Chartermaschine eines spanischen Ferienfliegers hat Kurs genommen auf Lissabon, als sich zwei F-16-Kampfflugzeuge an seine Flügel heften. Die Passagiere in den hinteren Reihen können den Piloten zuwinken, die sich bis 50 Meter nähern. "Willkommen in Portugal", verkündet eine freundliche Frauenstimme über die Bordsprechanlage.

An Bord befinden sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Botschafter der 28 Bündnisstaaten sowie allerlei Generalität. Es ist ein Betriebsausflug nach Art der Nato, die Spitzen der Allianz befinden sich auf Inspektionsreise. Die Nato-Übung "Trident Juncture" geht zu Ende, und die Herrschaften an Bord wollen sich persönlich davon überzeugen, dass die Allianz unbedingt abwehrbereit ist. Die F-16-Jets gehören als fliegender roter Teppich zur Show.

"Wir müssen eine moderne Abschreckung sicherstellen"

Mit etwa 36 000 beteiligten Soldaten, davon 3000 aus Deutschland, 60 Schiffen und 140 Flugzeugen hat die Nato in ihrem größten Manöver vier Wochen lang in Italien, Spanien und Portugal eine komplexe militärische Operation geübt. Es ist das größte Manöver der westlichen Allianz seit 2002. Getestet werden sollten die Fähigkeiten der schnellen Eingreiftruppe und der erst nach der russischen Krim-Annexion gebildeten "Speerspitze".

Geübt wurde nach einem Fantasie-Szenario, das irgendwo in Afrika spielt und davon handelt, dass ein Staat im Streit um Wasser einen anderen überfällt. Das konkrete Szenario sei nicht real, sagt Stoltenberg, die Gefahren seien es schon. "Wir müssen eine moderne Abschreckung für das 21. Jahrhundert sicherstellen", fordert der Norweger. Es gehe um ein "Signal an jeden potenziellen Gegner, dass wir in der Lage sind, alle Alliierten zu verteidigen."

Auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe von Saragossa im Norden Spaniens wird dieses Signal besonders dramatisch ins Bild gesetzt. Aus sieben riesigen Transportflugzeugen vom Typ C-117 regnet es Fallschirmspringer. Für einen Moment ist es, als hätte sei am Himmel ein Schwarm Pilze gewachsen. "Beeindruckt" davon sei er, sagt Stoltenberg. Mit einer Vorwarnzeit von nur 48 Stunden seien die US-Soldaten nach sechs Stunden Flug von Fort Bragg in North Carolina exakt zur vereinbarten Zeit über spanischem Boden abgesprungen. So etwas könnten in dieser Größenordnung nur die Amerikaner, aber es sei Vorbild für die neue Speerspitze der Nato.

In der Wahrnehmung des Manövers dreht sich alles um Russland

Die Übung in den südeuropäischen Staaten soll auch demonstrieren, dass der Blick der Nato trotz des Ukraine-Konflikts nicht nur gen Osten geht. Obwohl die Allianz am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat nicht zuletzt auch wegen ihres zweifelhaften Rufes in der islamischen Welt nicht beteiligt ist, soll eigentlich klar werden: Wir schauen auch nach Süden.

In der Wahrnehmung aber dreht sich dann doch wieder fast alles um Russland. Just während Stoltenberg das Manöver besucht, lassen die Präsidenten der osteuropäischen Nato-Mitglieder von sich hören: Das Bündnis müsse seine Präsenz zum Schutz vor Russland an der Ostflanke verstärken fordern sie. "Wir haben unsere Militärpräsenz im östlichen Teil unserer Allianz schon verstärkt", gibt Stoltenberg zur Antwort. Außerdem habe man die Fähigkeit verbessert, schnell Truppen dorthin zu verlegen. Beim Nato-Gipfel in Warschau im Juli werde man aber darüber reden, ob weitere Verstärkung nötig sei.

Moskau schafft "ein erhöhtes Risiko für Missverständnisse"

Ob auch die Stationierung permanenter Truppen geplant sei, wird der Generalsekretär gefragt. Die Unterscheidung zwischen permanenter und rotierender Präsenz sei doch "irgendwie künstlich", sagt er. Das ist interessant, denn auf die Unterscheidung hatte die Nato bisher selbst großen Wert gelegt. In der immer noch gültigen Nato-Russland-Grundakte hat sich das westliche Bündnis nämlich starken Beschränkungen unterworfen, was die Stationierung permanenter Truppen im Osten anbelangt. Stoltenberg startet vom Manöver aus auch eine diplomatische Initiative.

Während die Nato transparent agiere und auch zu Trident Juncture russische Beobachter geladen habe, schaffe Russland mit zahllosen Ad-hoc-Übungen "ein erhöhtes Risiko für Missverständnisse", klagt er. Situationen könnten so "außer Kontrolle geraten". Nach im "Wiener Dokument" festgelegten Regeln müssen kurzfristig angesetzte kleine Übungen weder angemeldet noch Beobachtern zugänglich gemacht werden. Diese Regeln müssten modernisiert werden, fordert Jens Stoltenberg. "Wir müssen uns zusammensetzen und darüber reden", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Es gibt eine Notwendigkeit für mehr Transparenz und mehr Berechenbarkeit."

Auch bei der Marineübung geht es um Russland

Im portugiesischen Troia scheint es am vorletzten Übungstag dann doch wieder irgendwie um den Süden zu gehen. Im Hafen liegt ein verdächtiges Schiff. Portugiesische Spezialkräfte seilen sich von einem Hubschrauber ab und sehen nach dem Rechten. Mit Hilfe polnischer Spezialisten prüfen sie, ob nukleare oder chemische Substanzen an Bord sind. Kurz darauf proben königlich-britische Marines am Strand eine kleine Invasion. Während einer Pressekonferenz an Bord der portugiesischen Fregatte NRP Vasco da Gama lobt der Generalsekretär danach wenig überraschend den "großartigen Erfolg".

Dann aber verrät er, wie sehr auch die Marineübung sich um Russland dreht. Die Aufrüstung in Kaliningrad, am Schwarzen Meer, aber auch in Syrien verschaffe Russland die Fähigkeit, den Zugang zu bestimmten Gebieten zu versperren. Militärexperten nennen das Anti Access/Area Denial (A2/AD).

Mit Schrecken sehen westliche Militärs, dass Russland durch die Verstärkung seines Stützpunktes in Syrien im östlichen Mittelmeer solche A2/AD-Fähigkeiten erlangen könnte. Das würde bedeuten, dass sich die Nato in Teilen des Mittelmeers im Ernstfall nicht mehr frei bewegen kann. "Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Fähigkeiten überwinden können", sagt Stoltenberg überraschend deutlich. Die Nato müsse in der Lage bleiben, Truppen zu entsenden und zu verstärken. Bei dem Manöver Trident Juncture, versichert der Generalsekretär, sei auch das geübt worden.

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