Ukraine-Krise:Wie die Nato ihren Osten schützt

Ukraine-Krise: Mit dem Schiff Harry S. Truman (links) im Mittelmeer steht zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg ein US-Flugzeugträger wieder unter Nato-Kommando.

Mit dem Schiff Harry S. Truman (links) im Mittelmeer steht zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg ein US-Flugzeugträger wieder unter Nato-Kommando.

(Foto: Seaman Gabriela Chambers/dpa)

Staaten des Militär-Bündnisses verlegen Einheiten nach Osteuropa, in die Ostsee oder ins Schwarze Meer. Auch Schweden und Finnland reagieren auf die Bedrohung durch Russland.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Tobias Zick

Auf den ersten Blick war es ein ungewöhnlicher Anlass, bei dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erläuterte, wie das Verteidigungsbündnis seine militärische Präsenz in Osteuropa verstärkt. So wird Dänemark eine Fregatte in die Ostsee entsenden und Kampfflugzeuge nach Litauen verlegen. Die Niederlande schicken Jets nach Bulgarien, einen ähnlichen Schritt erwägt auch Spanien, das bereits ein Kampfschiff ins Schwarze Meer geschickt hat. Und im Mittelmeer stellen die USA erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder einen Flugzeugträger unter das Kommando der Nato.

Als Stoltenberg diese Maßnahmen am Montagabend in der Nato-Zentrale aufzählte, standen neben ihm die Außenminister von Schweden und Finnland. Ihre Länder gehören nicht der Nato an, aber ihre enge Kooperation mit der Allianz ist noch viel enger geworden. Der Grund ist der gleiche, der zu den Verlegungen führt: Seit fast einem Jahr verlegt Russland Truppen und Material an die Grenzen zur Ukraine. Aktuell sind es nach Ansicht westlicher Geheimdienste mindestens 106 000 kampfbereite russische Soldaten - und viele Tausende sind noch unterwegs.

Auf die Einladung Stoltenbergs, weitere Treffen des Nato-Russland-Rates abzuhalten, hat Moskau bislang nicht reagiert. Der Norweger erneuerte in der Pressekonferenz die Bereitschaft zum Dialog und betonte, dass es sich um "eine defensive Maßnahme" handele: "Die Nato bedroht Russland nicht." Zugleich bleibe es dabei, dass die Allianz anders als von Russland kurz vor Weihnachten gefordert, kein Versprechen ablegen werde, keine neuen Mitglieder aufzunehmen. In Richtung seiner Gäste sagte Stoltenberg: "Finnland und Schweden entscheiden, welchen Weg sie einschlagen. Nicht Russland und auch sonst niemand."

USA versetzen 8500 Soldaten in erhöhte Bereitschaft

Aktuell stehe ein Nato-Beitritt nicht an, sagten die Schwedin Ann Linde und der Finne Pekka Haavisto. Die Sorge über Russlands Verhalten, das nach Ansicht Stoltenbergs eine reale Kriegsgefahr birgt, sei jedoch groß, so Haavisto. Schweden hatte zuletzt seine militärische Präsenz auf der Ostsee-Insel Gotland verstärkt, nachdem zahlreiche russische Aktivitäten beobachtet wurden. Laut Linde hat Schweden sein Verteidigungsbudget seit 2014 um 80 Prozent erhöht - als Reaktion auf Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.

Die Investitionen der Schweden und Finnen in ihre Armeen werden oft von osteuropäischen Diplomaten erwähnt, deren Ländern in Westeuropa gern kollektive Russophobie unterstellt wird. Wenig überraschend wurden gerade in Polen, Estland, Lettland und Litauen die Ankündigungen aus Washington begrüßt, dass etwa 8500 US-Soldaten in erhöhte Bereitschaft versetzt wurden. Eine Entscheidung über den Transport dieser Truppen nach Europa sei noch nicht getroffen worden, sagte ein Pentagon-Sprecher, und ergänzte: "Das ist ein klares Signal an Herrn Putin, dass wir unsere Verantwortung gegenüber der Nato ernst nehmen."

Offenbar erwägen die USA, bis zu 5000 ihrer Soldaten nach Polen und ins Baltikum zu verlegen. Um eine solche Stationierung bitten die Länder schon lange. Erst kürzlich sagte Estlands Premierministerin Kaja Kallas: "Die beste Abschreckung gegen Russland ist eine amerikanische Flagge." Aktuell hat die Nato im Rahmen des Programms "Enhanced Forward Presence" (EFP) in den vier Ländern etwa 4000 Soldaten stationiert, die von Panzern, Luftabwehr und Aufklärungseinheiten unterstützt werden. In Litauen führt die Bundeswehr den Kampfverband. Die Luftwaffe wird ab Februar von der rumänischen Stadt Constanza aus den Luftraum im Süden des Bündnisses überwachen. Nach Rumänien könnten auch bald französische Soldaten unterwegs sein: Paris ist bereit, an einem multinationalen Nato-Kampfverband teilzunehmen, wenn ein EFP-Einsatz in diesem Land beschlossen werden sollte.

Bulgarien weist russische Forderungen zurück

Denkbar ist ein solcher auch in Bulgarien. Dort ist die offizielle Linie bislang eindeutig: Premier Kyril Petkow wies am Freitag im Parlament die zuvor geäußerte Forderung des Kreml zurück, die Nato-Truppen aus seinem Land abzuziehen. "Als Nato-Mitglied entscheiden wir unabhängig, wie wir unsere Armee organisieren, in Abstimmung mit unseren Partnern", sagte er. An diesem Dienstag sollte der nationale Sicherheitsrat über die Ukraine-Krise und die Konsequenzen für Bulgarien zu beraten. Man wolle "auf einer Linie mit unseren Verbündeten stehen", sagte Petkow dazu, die Entscheidungen sollten jedoch "auf Einschätzungen der bulgarischen Sicherheitsdienste fußen."

Auch Präsident Rumen Radew nennt die Forderung des Kreml nach einem Nato-Abzug aus Bulgarien "inakzeptabel und unbegründet". Das ist bemerkenswert, da Radew als tendenziell moskaufreundlich gilt. Tatsächlich sind sich Bulgarien und Russland sprachlich, historisch und religiös sehr nah, die Vorbehalte im Land gegenüber einem harten Konfrontationskurs mit Moskau entsprechend groß. Verteidigungsminister Stefan Janew lehnte kürzlich auf Facebook die Stationierung zusätzlicher Nato-Truppen in Bulgarien ab - woraufhin Premier Petkow klarstellte, dies sei nur eine Privatmeinung.

Dass nun Spanien und die Niederlande mit Kampfjets die Luftraumüberwachung über Bulgarien übernehmen, will Petkow nicht als Eskalationsschritt verstanden wissen. Die Flugzeuge seien nicht etwa "aufgrund eines Notfalls" entsandt worden, sondern Teil einer 2016 vereinbarten Mission zur Luftraumüberwachung.

Im benachbarten Rumänien sind die Loyalitäten zu Russland ohnehin seit jeher schwächer ausgeprägt. Ohne erkennbare Rücksicht auf eventuelle Befindlichkeiten begrüßte Präsident Klaus Iohannis zuletzt auf Twitter die jeweilige Bereitschaft der USA und Frankreichs, ihre militärische Präsenz in Rumänien zu verstärken, und bekannte sich zur "sehr starken" Solidarität innerhalb der Nato.

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