Militärbündnis:Die Nato muss europäischer werden

70th anniversary of NATO's founding treaty

Bedrohung von innen: US-Präsident Trump beim Nato-Gipfel im vergangenen Jahr

(Foto: AFP)

Die Nato ist in Gefahr, in ernster Gefahr. Ihre Feinde lauern nicht an den Grenzen, sondern im eigenen Lager. Wenn das Bündnis nicht zerfallen will, muss es relevant bleiben und europäischer werden.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wer auch immer die Idee hatte, dieses Jahr mit einem Nato-Treffen der Staats- und Regierungschefs auslaufen zu lassen, wird sie heute vermutlich bitter bereuen. Oder hoffen, dass er nicht erscheinen möge, der allmächtige Donald Trump, der Willkürliche, der Kind-Präsident. Dieses Treffen wird Anfang Dezember in London stattfinden, schon jetzt pfeift es schrill im dunkeln Wald. Die Nato ist in Gefahr, in ernster Gefahr. Ihre Feinde lauern nicht an den Grenzen, sondern im eigenen Lager. Das Militärbündnis zerfällt von innen.

Der amerikanische Präsident ist der zentrale, aber nicht der einzige Grund für diesen Erosionsprozess. Schon vor seiner Wahl hat Trump keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Bündnissen aller Art gemacht. Dann aber haben seine Beamten einen Sicherheitsring gebaut, und bei der Nato legte man sich flach auf die Erde, in der Hoffnung, der Wüterich im Weißen Haus möge sie übersehen.

Doch das war die falsche Strategie. Trump zerstört das Bündnis, ohne es auch nur wahrzunehmen. Er nimmt ihm einfach die wichtigste Währung: Vertrauen und Sicherheit. Der heimliche Abzug aus Afghanistan, begleitet von Scheinverhandlungen mit den Taliban, das Strategie-Wirrwarr gegenüber Iran bis hin zum unbeantworteten Drohnenabschuss und Angriff auf saudische Raffinerien, der plötzliche Schutzentzug für die Kurden - hinter all dem steckt eine verheerende Botschaft: Auf Amerika ist kein Verlass mehr. Wer seine Sicherheit an die militärische und vor allem politische Potenz der USA gekoppelt hatte, der hat nun ein ernstes Problem.

Wo die USA ein Vakuum hinterlassen, füllt es ein anderer

Amerikas (west-)europäische Verbündete mögen die Gefahr noch nicht ernst nehmen, aber das kurdische Beispiel sollte sie alarmieren. Welche Garantien kann dieses Trump-Amerika noch geben, das den Instinkt für seine Weltmachtrolle verloren hat? Trumps Wort jedenfalls gilt nichts, und dem Land scheint jedes Gespür für seine Bedeutung etwa in Nahost abhandengekommen zu sein. In Afghanistan überreicht es den Schlüssel zum Land den Chinesen, in Syrien und auch am Golf richten sich die Späne inzwischen nach Moskau aus. Selbst Israel stimmt seine Sicherheitsinteressen nun mit Russland ab. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Nato-Mitglieder an der Außengrenze des Bündnisses ihre eigene Verwundbarkeit spüren werden.

Wo die Ordnungsmacht abdankt, entsteht Unordnung. Die Nato spürt das unmittelbar. Wo die USA ein Vakuum hinterlassen, füllt es ein anderer. Deswegen ist die Türkei zur zweiten Belastung für das Bündnis geworden, weil sie einerseits Mitgliedsrechte für sich reklamiert, andererseits grob gegen Spielregeln verstößt, Rüstung in Russland einkauft, die eigene nukleare Bewaffnung erwägt und andere Mitglieder geradezu erpresst. Amerikas domestizierende Wirkung? Verpufft.

Die übrige Nato ist diesen Kräften hilflos ausgeliefert. Vielleicht wurde deswegen die Idee der deutschen Verteidigungsministerin, eine Puffertruppe nach Syrien zu entsenden, fast schon freundlich aufgenommen - wenn sie nicht so dilettantisch vorbereitet, so unscharf formuliert und zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt lanciert worden wäre. Dennoch hat Annegret Kramp-Karrenbauer einen Instinkt bedient: Wenn die Nato nicht zerfallen will, muss sie relevant bleiben und europäischer werden. Ob das Bündnis dazu die Kraft aufbringt, ist zweifelhaft.

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