Wer nach dem Mauerfall vom ewigen Frieden in Europa träumte, der wurde schon ein paar Mal eines Besseren belehrt. Der Krieg im Osten der Ukraine ist deswegen nur eine weitere Mahnung, dass Friedfertigkeit nicht unbedingt der Naturzustand der Menschheit ist, auch in Europa nicht.
Wer Frieden bewahren oder schaffen will, der muss sich stets um ihn bemühen.
Es muss seine friedfertigen Absichten klarmachen, seine politische Überlegenheit und Geschlossenheit demonstrieren und natürlich auch dies: militärisch vorbeugen, abwehrbereit sein, abschrecken.
So viel Gefahr für Europa wie seit 25 Jahren nicht mehr
Die Deutschen kennen das Prinzip aus der inneren Sicherheit. In Fragen ihrer äußeren Sicherheit tun sie sich hingegen schwer mit dem Gedanken, dass der Frieden nicht auf Taubenflügeln eingeschwebt kommt.
Über dieses richtige Maß an Abschreckung wird nun auf dem Nato-Gipfel beraten, dessen historische Bedeutung nicht überbewertet werden kann: Seit 25 Jahren war Europas Sicherheit nicht mehr so stark gefährdet wie heute.
Mit der Annexion der Krim und der Schatteninvasion in der Ostukraine hat Russland die zentralen Prinzipien der europäischen Friedensordnung seit Ende des Kalten Krieges aufgekündigt: den Respekt vor der Souveränität einer Nation und die Unverletzbarkeit von Grenzen. Die KSZE-Schlussakte, das Budapester Memorandum von 1994 und auch die Grundakte zwischen Russland und der Nato wurden auf diese Weise gebrochen - durch Russland.
Der Ukraine-Krieg hat unmittelbare Auswirkung auf die Ordnung in Europa, weil die von Russland postulierten Grundsätze nicht nur Kiew betreffen. Wladimir Putin hat schon viel versprochen, besonders an Tagen vor Sanktionsentscheidungen. Aber in ein paar Dingen muss man ihn beim Wort nehmen: Er nimmt sich das Recht, russischstämmige Bürger zu schützen - überall und nach eigenem Ermessen; er hat eine neue Form der hybriden Kriegsführung eingeführt, die Furcht und Schrecken bei Nato-Staaten auslöst; und er träumt von einem Neurussland.
Eine besonders gruselige Bedrohung erwächst durch das Gespinst aus Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen, mit deren Hilfe der russische Apparat den Unfrieden in den Westen hineinträgt. Deswegen ist es zunächst wichtig, dass die Nato in der Deutung ihrer Geschichte mit Russland gelassen bleibt. Sie hat allen Anlass dazu, denn sie hat im Umgang mit Russland zwar nicht alles, aber vieles richtig gemacht.
Schon 1990, auf ihrem Londoner Gipfel und kurz nach dem Fall der Mauer, streckte sie die Hand zum Warschauer Pakt aus. Es folgten Abrüstungsvereinbarungen, Strategiewechsel, politische Kooperation, Selbstbeschränkung bei Stationierung und Bewaffnung. Russland wurde eingebunden in den westlichen Sicherheitsraum, seine Interessen wurden diskutiert und respektiert. US-Präsident Barack Obama stoppte die Raketenabwehr.