Nato-Treffen:Bangen vor dem Frühstück

NATO Gipfel

Vor dem Buckingham Palace sind die Flaggen der Nato-Mitgliedsstaaten gehisst; dort wird Königin Elizabeth II. die Staats- und Regierungschefs empfangen. Konferiert wird anschließend in einem Golfhotel.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Die Nato-Mitglieder treffen sich im Jahr des 70-jährigen Bestehens des Verteidigungsbündnisses in London.
  • Je näher das Treffen rückt, umso klarer wird, dass neben Donald Trump auch die Präsidenten aus Frankreich und der Türkei, Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdoğan, zu Unsicherheitsfaktoren werden.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Wie wirksam die monatelangen Planungen im Nato-Hauptquartier für das Treffen der Staats- und Regierungschefs in London waren, dürfte sich schon früh am Dienstag zeigen. Generalsekretär Jens Stoltenberg ist zum Arbeitsfrühstück mit Donald Trump verabredet, und in diesem Format begann im Juli 2018 jenes Unheil, das die Nato bis heute traumatisiert. Der US-Präsident nutzte das Frühstück vor Beginn des letzten Gipfels, um die Europäer für ihre niedrigen Verteidigungsausgaben zu kritisieren. Scharf attackierte er die Bundesregierung: Während Amerika Deutschland beschütze, finanziere Berlin über Gaspipelines die Russen. Am Tag darauf drohte Trump damit, "ein eigenes Ding zu machen" und die Nato zu verlassen.

Diese Rückschau ist nötig, um die Choreographie des Jubiläumstreffens zu verstehen. Symbolisch ist auch der Ort: Als das Bündnis vor 70 Jahren gegründet wurde, einigte man sich auf London als Sitz der Organisation, erst seit 1967 ist das Hauptquartier in Brüssel (zuvor war es Paris). Die britische Hauptstadt schien im Frühjahr auch ideal, um nach dem Brexit zu signalisieren, dass die Europäer in Sicherheitsfragen weiter enge Partner bleiben würden.

Und Großbritannien kann viel bieten, was Trump gefällt: Am Dienstagabend empfängt Königin Elisabeth II. die Staats- und Regierungschefs im Buckingham Palace; auch Prinz Charles, Prinzessin Anne und Herzogin Catherine geben sich die Ehre. Danach lädt Premier Boris Johnson ein in die Downing Street, bevor die leaders am Mittwoch zur einzigen Arbeitssitzung in einem noblen Golfhotel im Norden der Stadt zusammenkommen. Los geht es um 10 Uhr Ortszeit, drei Stunden später soll alles vorbei sein, und dann sind nur noch Pressekonferenzen zu überstehen.

Dass der Brexit noch immer auf sich warten lässt, ist nur ein Beispiel dafür, dass sich nicht alles planen lässt. Je näher der Mini-Gipfel rückt, umso klarer wird, dass auch die Präsidenten aus Frankreich und der Türkei, Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdoğan, zu Unsicherheitsfaktoren werden. Macrons Ausspruch vom "Hirntod" der Nato und sein Werben für eine Annäherung an Russland schwebt über allen Gesprächen und sorgt für tiefes Unverständnis nicht nur in Osteuropa.

Laut der US-Website Axios ist Trump "zunehmend genervt" von Macron und teilt dessen Kritik nicht. Stoltenberg betonte nach einem Besuch in Washington Mitte November erneut, dass Trump das Bündnis längst nicht mehr für "obsolet" halte und das US-Militär so präsent in Europa sei wie lange nicht mehr. Der Norweger wird intern dafür gepriesen, ein gutes Verhältnis zum US-Präsidenten aufgebaut zu haben, aber in London muss Stoltenberg auch Macrons Ehrgeiz zähmen. Ob es ein gutes Zeichen ist, dass sich die beiden Präsidenten am Dienstagnachmittag zum Einzelgespräch treffen, vermag keiner zu prognostizieren. "Trump ist der Einzige, der womöglich weiß, was Trump in einigen Tagen vorhat", sagt ein Diplomat. Bei Macron sei dies mittlerweile ähnlich, klagen viele.

In militärischen Dingen kommt die Nato gut voran

Als sicher gilt, dass Macron in der Sitzung Antworten von Erdoğan auf die Frage verlangen wird, wieso er durch die Invasion in Nordsyrien die Sicherheit der Verbündeten gefährde. Der Franzose will, dass die Nato den Kampf gegen den Terror stärker in den Fokus rückt und sich etwa in der Sahelzone militärisch engagiert. Paris macht klar, dass Macron "sehr grundlegend" über strategische Fragen reden möchte und Floskeln nicht genügen werden.

In die Verärgerung über Macron, der in den Augen vieler Partner im Economist leichtfertig die für die Nato essenzielle Beistandspflicht angezweifelt und so die Abschreckung gegenüber Russland geschwächt hat, mischt sich das Eingeständnis, dass politische Debatten in der Nato mitunter schwierig sind und das Einstimmigkeitsprinzip dazu führte, heikle Themen auszusparen. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte deshalb angeregt, eine Expertengruppe einzusetzen, die bis 2021 Vorschläge zur "Stärkung des politischen Arms" der Nato unterbreiten soll. In der Abschlusserklärung zum Gipfel, die am Montagabend ausgehandelt wurde, ist der Auftrag an Generalsekretär Stoltenberg enthalten, diesen "Reflexionsprozess" einzuleiten. Zudem beinhaltet das Dokument ein "ausdrückliches Bekenntnis zur Beistandspflicht".

In militärischen Dingen kommt das Bündnis unterdessen gut voran. Das Ziel, je 30 Heeresbataillone, Kriegsschiffe und Geschwader in so hoher Bereitschaft zu halten, dass diese in 30 Tagen zum Einsatz kommen können, ist zu 90 Prozent erreicht. Deutschland hat 7000 Soldaten gemeldet, und Stoltenberg hofft, in London weitere Zusagen zu erhalten. Stolz ist er auf andere Zahlen: Bis 2024 werden Kanada und die Europäer zusätzliche 400 Milliarden Dollar in Verteidigung investiert haben. Bereits jetzt geben neun der 29 Nato-Mitglieder mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Militär aus; gemäß den vorgelegten Plänen erreichen 18 die Marke bis Ende 2024.

Berlin will dieses Ziel erst 2031 erreichen - und Trump hat am Montag bereits seine Forderung bekräftigt, die Bündnispartner müssten mehr zahlen. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll den US-Präsidenten nach der Arbeitssitzung am Mittwoch zum Einzelgespräch treffen. Hier könnte es neben Handelsfragen um ein anderes strittiges Thema gehen: den Umgang mit Peking.

Die "Londoner Erklärung" wird das erste Nato-Dokument sein, in dem China erwähnt wird; dessen Aufstieg zur Großmacht treibt nicht nur die USA um. Zuletzt wurde ein 29 Seiten langer Geheimbericht erarbeitet, der Chinas militärische Stärke, die Übungen mit Russland und die Investitionen untersucht. Es gehe weder darum, die Nato ins Südchinesische Meer zu schicken noch Peking zum Feind auszurufen, versichert man in der Nato. Man müsse China aber besser analysieren, weil das Land immer aktiver werde: durch Investitionen in Europa, in der Arktis, in Afrika, im Cyberspace.

Im Abschlussdokument wird auch das aggressive Verhalten Russlands kritisiert und die Doppelstrategie aus Abschreckung und Dialog bekräftigt werden. Die Chefs werden bestätigen, was ihre Außen- und Verteidigungsminister vorbereitet haben: Der Weltraum gilt künftig als fünfte operative Domäne (neben See, Land, Luft und Cyberspace), und neben der Energiesicherheit soll der Schutz von technischer Infrastruktur zur Priorität werden.

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