Nato-Russland-Rat:Misstrauen hinter verschlossenen Türen

Nato-Russland-Rat: Optisch auf einer Linie: der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin, Vize-Außenminister Alexander Gruschko und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (von links) in der Nato-Zentrale in Brüssel.

Optisch auf einer Linie: der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin, Vize-Außenminister Alexander Gruschko und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (von links) in der Nato-Zentrale in Brüssel.

(Foto: Olivier Hoslet/dpa)

"Sehr ernst und direkt" habe man über die Situation in und nahe der Ukraine geredet, sagt Nato- Generalsekretär Stoltenberg. Dass Moskau weitere Gespräche nicht ausschließt, gilt bereits als Erfolg.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Um 9.51 Uhr prallen die Fäuste aufeinander. Wie in Pandemiezeiten üblich begrüßt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch die Gäste aus Moskau nicht per Handschlag, sondern durch eine Berührung der Fäuste. Entspannt wirkt keiner der drei Männer, als sie kurz für die Kameras posieren. Allein die Tatsache, dass Vizeverteidigungsminister Alexander Fomin und Vizeaußenminister Alexander Gruschko die Nato-Zentrale in Brüssel besuchen und der Nato-Russland-Rat nach zweieinhalb Jahren wieder tagt, ist eine kleine Sensation angesichts der miserablen Beziehungen zwischen Russland und dem Verteidigungsbündnis - und ein "positives Signal", das einigen in der Allianz Hoffnung gibt.

Vorab war in Brüssel betont worden, dass es sich nur um ein erstes Gespräch handele. Ganz sicher führe man keine Verhandlungen über Moskaus Forderungen nach Sicherheitsgarantien, etwa dem Abzug der US-Atomwaffen aus Europa oder eine Zusicherung, weder Georgien noch die Ukraine in die Nato aufzunehmen. "Inakzeptabel" nennt man diese Wunschliste in der Nato. Stattdessen versucht diese, Russlands Präsidenten Wladimir Putin davon abzubringen, in die Ukraine einzumarschieren und den Truppenaufmarsch an den Grenzen zur Ukraine zu stoppen. Sollten die mehr als hunderttausend Soldaten samt schwerem Gerät abziehen, wäre dies die nicht nur von den USA geforderte Deeskalation.

Im Saal führt Stoltenberg Gruschko herum und stellt alle Vertreter der 30 Nato-Mitglieder vor. Wieder stoßen Fäuste aneinander, manche wagen den Handschlag. Für Gruschko ist es eine Art Rückkehr; er war von 2011 bis 2018 Russlands Botschafter bei der Nato und kennt die Fliehkräfte in der Allianz. Er weiß, dass Frankreich auf eine stärkere Rolle der EU in der Bewältigung der Krise dringt, während Esten, Letten und Litauer aus eigener Erfahrung vor Zugeständnissen warnen: Putin werde dann nur mehr fordern.

Um 10.07 Uhr beginnt die Sitzung. Hinter verschlossenen Türen werben die Russen ausführlich für ihre Entwürfe von neuen Sicherheitsabkommen, dann sind die Nato-Mitglieder dran. Alle melden sich zu Wort, nach drei oder vier ihrer Wortmeldungen können Fomin oder Gruschko antworten - auf Russisch und "ziemlich lang", wie es später hieß. Der Ton wird als "geschäftsmäßig" beschrieben. Die wichtigste Botschaft der USA verbreitet Vizeaußenministerin Wendy Sherman noch während der Sitzung - und zwar auf Twitter. Man stehe zum Grundprinzip des internationalen Systems und der europäischen Sicherheit: "Jedes Land hat das Recht, seinen eigenen Weg zu wählen." Damit lehnt sie erneut Russlands Wunsch nach einem Veto zu einer Nato-Erweiterung ab.

Sehr ernst und direkt seien die Gespräche, sagt Stoltenberg

Dass diese Position auch von den 29 anderen Mitgliedern geteilt wird, betont Generalsekretär Stoltenberg in der Pressekonferenz. Die Diskussionen, die mit vier Stunden länger als erwartet andauerten, seien "nicht leicht" gewesen. "Sehr ernst und direkt" habe man über die Situation in und nahe der Ukraine geredet. Natürlich werde die Allianz nichts zustimmen, was die Sicherheit ihrer Mitglieder und deren Verteidigung gefährde, sagt Stoltenberg.

Das Angebot der Nato, einen Zeitplan für weitere Treffen zu beschließen, hätten die Russen nicht sofort abgelehnt - in der aktuellen Lage gilt dies schon als Erfolg. Als mögliche Themen nennt Stoltenberg, was seit Tagen kursiert: Die Transparenz bei Übungen soll erhöht und auch über Rüstungskontrolle sowie gegenseitige Begrenzung bei der Stationierung von Raketen und Marschflugkörpern könne man reden.

Für die US-Spitzendiplomatin Sherman zeigt das Treffen, wie wichtig Diplomatie sei, und fordert Moskau erneut zur Deeskalation auf, denn: "Russland ist für diese Krise verantwortlich." Die Russen wollten trotz eines entsprechenden Angebots nicht bei der Nato, also auf feindlichem Territorium, vor die Presse treten, sondern in der für die Beziehungen zu Belgien zuständigen Botschaft. Dort spricht Gruschko von einem "nützlichen Treffen", doch er kritisiert das fehlende Entgegenkommen der Nato, die Sicherheitsinteressen anderer Staaten zu berücksichtigen. Durch die Erweiterungsrunden sei die Lage für Moskau "unerträglich". Man habe den Nato-Ländern gesagt, dass die Aufnahme neuer Mitglieder mehr Risiken als Vorteile bringen würde.

Wie geht es weiter? Die Nato wird Russlands Truppenbewegungen beobachten und sich für den Fall vorbereiten, dass die Diplomatie scheitert, wie Stoltenberg seit Tagen sagt. Die Verteidigungsminister sollen im Februar beraten, ob die Nato die militärische Präsenz an ihrer östlichen Flanke verstärkt. Als Reaktion auf Russlands völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 hat die Nato multinationale Kampfverbände mit jeweils 1000 Soldaten in den baltischen Republiken und Polen aufgebaut. Ähnliches könnte nun auch in Rumänien und Bulgarien geschehen.

Ob es dazu kommt, hängt von einem Mann ab: Setzt Putin weiter auf Drohungen? Laut Wendy Sherman hätten sich Russlands Vertreter nicht zu einer Deeskalation bekannt. Sie hoffe aber, dass sich Putin für Frieden und Sicherheit entscheide.

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