Ostsee-Nato-Gipfel:Mehr Drohnen und Schiffe, schärfere Regeln und Sanktionen

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Besorgt über die „russischen Aktivitäten“: Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Nato-Ostseegipfel in Helsinki. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Nato-Länder an der Ostsee kündigen auf ihrem Gipfel in Finnland nach wiederholten Zerstörungen von Unterwasserkabeln eine bessere Überwachung des Binnenmeeres an.

Von Daniel Brössler und Alex Rühle, Helsinki, Stockholm

Olaf Scholz will einfach nicht weichen. Die Dame vom finnischen Protokoll wird länger schon nervös, der Zeitplan ist eng. Sie gibt dem Kanzler Zeichen, doch der bekommt davon nichts mit. So lange findet er auf jede neue Frage der Journalisten im Spiegelsaal des Präsidentenpalastes von Helsinki eine ausführliche Antwort, dass die Finnin irgendwann die Geduld verliert. So nah rückt sie an den Kanzler heran, dass er sie nicht mehr übersehen kann. Scholz räumt den Platz vor dem Mikro. Nicht ohne eine Art Entschuldigung: „Ich werde gebeten zu stoppen“, sagt er.

Einen halben Tag lang macht Scholz Pause vom Wahlkampf, um einer Einladung Alexander Stubbs zu folgen. Finnlands Staatspräsident hat zusammen mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte und dem estnischen Ministerpräsidenten Kristen Michal die Ostsee-Anrainer innerhalb des Bündnisses zusammengetrommelt, um über die Bedrohung aus Russland und China zu sprechen. Zunehmend ist die Ostsee Schauplatz einer Auseinandersetzung, die zwar nicht mit offener Gewalt, aber großer Skrupellosigkeit ausgetragen wird. Im Visier sind europäische Lebensadern, die durch die Ostsee führen – Gaspipelines ebenso wie Daten- und Stromleitungen. „Nicht Krieg, aber auch nicht Frieden“, beschrieb der schwedische Premierminister Ulf Kristersson am Vortag dieses kleinen Gipfels den schwelenden Zustand.

Und wie bestellt zieht wieder ein Schiff verdächtige Kreise

Das Treffen war von der Nato einberufen worden, nachdem Finnland Ende Dezember einen Rohöltanker im Finnischen Meerbusen gestoppt hatte, weil er dringend verdächtigt wird, mit seinem Anker mehrere Kabel zerstört zu haben. Die Eagle S, die seit dem Zwischenfall vor einem südfinnischen Hafen festgehalten wird, fährt unter der Flagge der Cook-Inseln, wird aber der russischen Schattenflotte zugerechnet, meist maroden Schiffen, die unter den Flaggen anderer Staaten angemeldet sind, aber russisches Öl und Gas transportieren und so dabei helfen, die Sanktionen des Westens zu umgehen. Nachdem das Drama um die Eagle S der dritte Vorfall dieser Art innerhalb von 14 Monaten war, hatte die Nato bereits in der vergangenen Woche angekündigt, ihre Präsenz in der Ostsee künftig zu erhöhen.

Als wolle ein unsichtbarer Regisseur die sowohl angespannte als auch unübersichtliche Lage illustrieren, kam gerade, als sich die Staatsmänner im Präsidentenpalast zum Gruppenbild aufstellten, aus Polen die Nachricht, dass ein Schiff der russischen Schattenflotte aktuell verdächtige Kreise über einer Pipeline ziehe, die Polen mit norwegischem Gas versorgt.

Die Staats- und Regierungschefs wählten dann sehr klare Worte: Man sei „entschlossen, Sabotageversuche abzuschrecken, aufzudecken und zu bekämpfen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. „Auf jeden Angriff auf unsere Infrastruktur wird mit einer robusten und entschlossenen Reaktion reagiert. Wir sind bereit, feindselige Handlungen, die von böswilligen Akteuren begangen wurden, gegebenenfalls zuzurechnen.“

Aufpassen soll eine „Baltische Wache“

Die Staatschefs kündigten „zusätzliche Mittel“ zum Schutz der Unterseekabel an. Am wichtigsten ist dabei das neu zu schaffende „Baltic Sentry“ (Baltische Wache), das mit Drohnen, Fregatten und weiteren Patrouillenschiffen ausgestattet werden soll. Nato-Generalsekretär Mark Rutte sagte, man wolle nicht ins Detail gehen, „damit der Feind nicht klüger wird“.

Viel spricht dafür, dass die „Eagle S“ als Schiff der russischen Schattenflotte Seekabel in der Ostsee beschädigt hat: Der von Finnland beschlagnahmte Tanker vor dem Hafen Kilpilahti. (Foto: Antti Aimo-Koivisto/AP)

Der litauische Präsident Gitanas Nausėda betonte, die Serie der Zerstörungsakte der letzten 14 Monate würden zeigen, „dass das keine Unfälle waren, sondern willentlich herbeigeführte Schäden“. Nausėda forderte deshalb ein schärferes Vorgehen gegen die Schattenflotte. Bislang wurden von der Nato nur 79 Schiffe der Schattenflotte sanktioniert. „Es gibt aber zwischen 600 und 1000 solcher Schiffe“, so Nauséda. „Unsere Aktionen sind nicht effizient genug.“ In der gemeinsamen Erklärung wird eine „Ausweitung der Sanktionen“ angekündigt, außerdem wolle man zukünftig die Schiffsversicherungszertifikate genauer überprüfen und die Routen der Schiffe noch genauer tracken.

Alexander Stubb stellte einen Zehnpunkteplan vor, der neben der Verstärkung der Nato-Präsenz in der Ostsee unter anderem vorsieht, dass Rechtsexperten aus den Außenministerien der Anrainerstaaten die Schifffahrtsgesetze überprüfen sollen. Bislang ist es rechtlich kaum möglich, ein Schiff zu betreten und zu durchsuchen, wenn es sich in internationalen Gewässern befindet. Stubb plädierte außerdem dafür, da man Sabotageakte wohl nie ganz verhindern könne, eine Ersatzinfrastruktur zu bauen, also für die wichtigsten unterseeischen Verbindungen Zweitkabel zu verlegen. Außerdem schlug er vor, permanent ein Reparaturschiff in der Ostsee kreuzen zu lassen.

Scholz weicht einer heiklen Frage aus

Für Bundeskanzler Olaf Scholz dürfte die Teilnahme an diesem Nato-Treffen eine der letzten Auslandsreisen vor der Bundestagswahl sein. Während Stubb und seine lettischen und litauischen Präsidentenkollegen mehrmals von „gemeinsamen Feinden“ sprachen, wählte Scholz, der sich im Wahlkampf als besonnener Friedensbewahrer präsentiert, vorsichtigere Worte. Er sprach von „einer sehr ernsten Angelegenheit“ und zeigte sich besorgt über die „russischen Aktivitäten“.

Der Frage, ob er den Zustand wie sein schwedischer Kollege Kristersson nicht mehr als Frieden beschreiben würde, wich er aus.  Es gebe einen Krieg in Europa, sagt er, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Man wisse,  „dass wir mehr für unsere eigene Sicherheit tun müssen“, und gebe daher zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung aus.

„Es besteht natürlich die Notwendigkeit, uns auch mit hybriden Bedrohungen auseinanderzusetzen“, fügt er hinzu.  Angriffe auf die Infrastruktur könnten nicht ignoriert werden und seien eine „ernste Gefahr“.  Selbstverständlich würden zukünftig auch deutsche Schiffe für mehr Sicherheit in der Ostsee Sorge tragen. Eine Arbeitsgruppe soll nach den Worten des Kanzlers nach Möglichkeiten suchen, auch außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer gegen verdächtige Schiffe vorzugehen. Auch für weitere Sanktionen gegen Schiffe der Schattenflotte sprach er sich aus.  Das Treffen in Helsinki sende ein  „Zeichen der Einheit, der gemeinsamen Bereitschaft, sich der Herausforderung zu stellen, die durch die hybriden Attacken auf unserer Unterwasserinfrastruktur entstehen können“.

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