Nato-Operation an türkisch-syrischer Grenze:SPD pocht auf Bundestagsmandat für Raketen-Stationierung

Soll und darf Deutschland "Patriot"-Flugabwehrraketen an die türkisch-syrische Grenze schicken? Eine Anfrage der türkischen Regierung bei der Nato ist noch nicht einmal offiziell gestellt, doch der Streit in Deutschland schon entbrannt. Die Opposition fordert eine bessere Aufklärung durch die Regierung - und warnt vor einer "Hurra-Mentalität".

Ankara will NATO um Aufstellung von Raketen im Grenzgebiet bitten

Sollen deutsche Patriot-Luftabwehrraketen - hier ein Foto von einem Test-Abschuss - an der türkisch-syrischen Grenze stationiert werden? Darüber streiten Opposition und Regierung.

(Foto: dapd)

Die Lage an der türkisch-syrischen Grenze spitzt sich zu - noch heute könnte die Türkei einen Antrag auf Unterstützung durch die Nato stellen. Angesichts der Debatte um eine Stationierung deutscher Patriot-Raketen und deutscher Soldaten fordert die SPD eine Entscheidung des Bundestags in dieser Frage - und eine bessere Aufklärung durch die Koalition.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warnte vor einem überstürzten Einsatz der Bundeswehr an der türkischen Grenze zu Syrien. Ob die Türkei tatsächlich von Syrien bedroht werde und der Nato-Bündnisfall greife, sei noch unklar, sagte Oppermann im ARD-"Morgenmagazin". Für einen Einsatz wäre zudem ein Bundestagsmandat erforderlich und eine internationale Absicherung wie ein UN-Mandat wünschenswert. "Es ginge hier auch um kriegerische Handlungen", betonte er. Der SPD-Politiker warnte vor einer "Hurra-Mentalität" einiger Koalitionspolitiker und kritisierte, dass die Opposition von dem Vorgang erst durch Medien erfahren habe.

Verteidigungsminister Thomas De Maizière (CDU) stellte den Nato-Bündnispartnern in Ankara militärische Hilfe in Aussicht. Deutschland, das neben den Niederlanden und den USA als einzige Nation über dieses Waffensystem verfüge, sei "45 Jahre lang der Hauptnutznießer von Bündnissolidarität gewesen", sagte er zu Beginn des Treffens mit seinen europäischen Ressortkollegen in Brüssel. Dabei gehe es allerdings um eine rein "vorsorgliche und defensive Maßnahme auf dem Nato-Gebiet". Eine Entsendung der Patriot-Raketen diene nicht der Errichtung einer Flugverbotszone in Syrien.

Eine deutsche Beteiligung an einem derartigen Nato-Einsatz werde "solidarisch geprüft und schnell beantwortet". Der Bundestag solle auf jeden Fall mit der Entscheidung befasst werden. "Es spricht sehr viel dafür, dass wir ein Bundestagsmandat brauchen, und dann werden wir es auch anstreben", sagte der Minister.

Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge - den Ankara nicht dementiert hatte - will die Türkei noch an diesem Montag ihre Nato-Partner offiziell um Unterstützung bei der Sicherung ihrer Grenzen bitten. Das Bündnis wolle der Bitte umgehend entsprechen und der Verlegung von Raketen des Typs Patriot in die Grenzregion zustimmen. Daran werde sich die Bundeswehr mit einer oder zwei Patriot-Staffeln und bis zu 170 Soldaten beteiligen.

Die Türkei habe als Nato-Partner Anspruch auf Unterstützung, wenn ihr Staatsgebiet und seine Menschen angegriffen und ernsthaft bedroht seien, sagte auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Bild-Zeitung, schränkte jedoch ein: "Ob das der Fall ist, darf in der hochgefährlichen Lage im Nahen und Mittleren Osten nicht leichtfertig entschieden werden."

"Der erste Schritt wäre, dass uns die Regierung mal korrekt und umfassend informiert. Das hat sie bisher nicht getan", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, der Rheinischen Post. Er zeigte sich skeptisch, ob tatsächlich innerhalb der Nato der Bündnisfall gegeben ist. "Das Bundesverfassungsgericht hat vorgegeben, dass im Zweifel der Bundestag gefragt werden muss", sagte er.

Koalition verteidigt möglichen Einsatz

Auch die Grünen warnen vor einem Einsatz der Bundeswehr an der türkisch-syrischen Grenze. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, sagte der Berliner Zeitung: "Jegliche militärische Operation über dem Hoheitsgebiet von Syrien ohne ein UN-Mandat geht für Deutschland nicht."

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder, warf der Opposition hingegen vor, Deutschlands Stellung als verlässlicher Partner in der Nato zu gefährden. "Ich schäme mich für meine Bundestagskollegen", sagte Mißfelder zu Spiegel Online. "Einem Nato-Partner, der sich bedroht fühlt, den militärischen Schutz zu verweigern, treibt mir die Schamesröte ins Gesicht." Mißfelder sieht Deutschland in der Pflicht, sollte Ankara die Anfrage stellen.

Der FDP-Vorsitzende im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, wies Vorwürfe zurück, ein Bundeswehr-Einsatz würde den Konflikt in Syrien zusätzlich verschärfen. "Es ist mir schleierhaft, wie allein der Aufbau einer defensiven Waffenanlage im türkischen Grenzgebiet den Konflikt in Syrien weiter anheizen soll. Hier werden unnötig Gefahrszenarien heraufbeschworen", sagte er dem Online-Medium. Allerdings müsse man der Öffentlichkeit genau erklären, warum deutsche Soldaten im Süden der Türkei gebraucht würden.

Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, forderte in der Mitteldeutschen Zeitung, dass Deutschland bei einem möglichen Militäreinsatz in der Türkei mitmachen solle. Das sei aus Bündnissolidarität dringend geboten. Kujat, der auch Vorsitzender des Nato-Militärausschusses war, betonte aber zugleich, dass der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages vom Nato-Rat bisher nicht festgestellt worden sei. Und selbst dann gebe es für die Bündnispartner keine Automatik. Zudem berge "das Ganze ein enormes Eskalationsrisiko", warnte er.

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