Süddeutsche Zeitung

Nato:Nato schickt mehrere Tausend Soldaten an russische Grenze

  • Die Stationierung von mehreren Tausend Soldaten im Baltikum und Polen will die Nato nicht als Truppenstationierung bezeichnen, Verteidigungsministerin von der Leyen nennt sie "Vorne-Präsenz".
  • Klar sei, betonte von der Leyen, dass sich die Planungen "innerhalb des Rahmens der Nato-Russland-Grundakte" bewegen.
  • Pünktlich zum Treffen der Nato-Verteidigungsminister begann derweil auf Befehl von Präsident Wladimir Putin die russische Armee mit einer überraschenden Prüfung ihrer Einsatzbereitschaft.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die große Entscheidung des Nato-Gipfels Anfang Juli in Warschau steht schon fest. Soldaten der Allianz sollen Flagge zeigen an den Grenzen zu Russland. Man könnte das eine Truppenstationierung nennen. Will man aber nicht. Es gehe, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Dienstag, um "die Vorne-Präsenz in den baltischen Staaten und in Polen". Die Formulierung aus der Wortschöpfungsabteilung trägt dem Balanceakt Rechnung, den sich die Allianz für Warschau vorgenommen hat und den die Verteidigungsminister in Brüssel vorzubereiten hatten. Es geht um Abschreckung, aber zu martialisch soll es auch wieder nicht klingen.

Konkret geplant ist die rotierende Stationierung von je einem Bataillon, also etwa tausend Soldaten, in Litauen, Lettland, Estland sowie Polen. Jedes Bataillon wird dabei von einer "Rahmennation" geführt, die mehr als die Hälfte der Truppe stellt. Die Bundeswehr wird diese Aufgabe voraussichtlich in Litauen übernehmen, was von der Leyen aber in Brüssel noch nicht offiziell machen wollte. Deutschland sei bereit, "deutlich Verantwortung zu übernehmen", versicherte sie, die Einzelheiten seien noch "in der Diskussion".

Kein Geheimnis ist aber, dass die USA das Bataillon in Polen übernehmen dürften. Großbritannien wird wohl in Estland in die Führungsrolle schlüpfen und Kanada in Lettland.

Klar sei, betonte von der Leyen, dass sich die Planungen "innerhalb des Rahmens der Nato-Russland-Grundakte" bewegen. Vor allem Deutschland hatte darauf gedrungen, die Vereinbarungen mit Russland von 1997 penibel einzuhalten. Damals hatte die Nato zugesagt, dass sie "im gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld" keine zusätzlichen "substantiellen Kampftruppen dauerhaft stationiert". Mit einer Stärke von etwa Tausend Soldaten je Land, die etwa alle neun Monate rotieren, ist aus Sicht der Nato diese Vorgabe klar eingehalten.

Mehr Präsenz zeigen will die Nato auch in Rumänien

Im Osten der Allianz provoziert das die Frage, ob eine so überschaubare "Vorne-Präsenz" im Ernstfall Eindruck auf Russland machen würde. Durchaus, argumentiert der Nato-Botschafter der USA, Douglas Lute: "Die Idee ist es, eine Vorne-Präsenz zu etablieren, die deutlich macht, dass jeder Angriff auf einen dieser vier Alliierten zu einer Berührung mit Nato-Kräften führt und eine rasche Antwort des ganzen Rests der Allianz hervorruft."

Stoltenberg betonte überdies, entsendet würden "robuste" Truppen. "Die Bataillone werden kampfbereit sein", sagte er.

Mehr Präsenz zeigen will die Nato auch in Rumänien. Es gehe um "maßgeschneiderte" Lösungen für den Südosten, kündigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an. Rumänien habe eine multinationale Brigade angeboten, die als Anlaufstelle für Nato-Aktivitäten fungieren könnte.

Abwehrbereiter will die Nato in der digitalen Sphäre werden. Der Cyberspace werde von nun als möglicher Kriegsschauplatz neben Land, Luft und See eingestuft, verkündete Stoltenberg. Ein Cyberangriff könne den Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages auslösen. Ob die Nato auch offensive Cyber-Fähigkeiten entwickeln will, ließ der Generalsekretär aber offen. Auch um "die Herausforderungen im Süden" gehe es beim letzten Ministertreffen vor dem Gipfel, betonte Stoltenberg. Schon vor einiger Zeit hatten die USA Interesse am Einsatz von Awacs-Aufklärungsflugzeugen der Nato für die Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" bekundet. "Das sind Themen, die in keiner Form auf dieser Tagung zur Debatte stehen", betonte allerdings von der Leyen.

Deutsche Regierungskreise bestätigten, dass Möglichkeiten zum Einsatz der Flugzeuge im türkischen und internationalen Luftraum geprüft würden, "um von dort aus zur Überwachung des syrischen Luftraums beitragen zu können". Die Planer der Nato arbeiten derzeit daran, Entscheidungsvorschläge auszuarbeiten. Das werde nun aber "erst im Bündniskreis sorgfältig beraten, die Vor- und Nachteile abgewogen und dann entschieden".

Für die Bundesregierung ist die Frage nicht ohne Brisanz, denn ein Drittel der Besatzungen der Awacs-Flugzeuge der Nato stellt die Bundeswehr. Ein Einsatz mit Beteiligung deutscher Soldaten könne "selbstverständlich" nur "auf sicherer völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Grundlage erfolgen", wurde deshalb am Dienstag noch einmal klargestellt.

Soll auch heißen: Kein Weg führt in so einem Fall vorbei am Bundestag. "Wir gehen innerhalb der Bundesregierung davon aus, dass die Option einer Luftraumüberwachung aus dem Hoheitsgebiet der Türkei beziehungsweise dem internationalen Luftraum zur Unterstützung der Anti-ISIS Koalition von einem Mandat des Deutschen Bundestages abgedeckt werden muss", hieß es.

Der Wunsch der USA nach einer stärkeren Rolle der Nato beim Kampf gegen den IS stößt in Berlin ohnehin auf begrenzte Begeisterung. Zwar sind alle Nato-Staaten auf die ein oder andere Weise an der Koalition beteiligt, als Bündnis ist die Nato aber nicht Mitglied - wobei es aus Berliner Sicht auch bleiben soll. Auch ein Operieren von Awacs-Flugzeugen der Nato über syrischen Luftraum stehe "nicht zur Debatte."

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SZ vom 15.06.2016/dayk
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