Knapp zwei Wochen vor dem Nato-Gipfeltreffen in Washington hat die Allianz ein überraschend langwieriges Problem gelöst – die Suche nach einem neuen Generalsekretär. Nachdem im vergangenen Jahr die Dienstzeit von Amtsinhaber Jens Stoltenberg bereits ein zweites Mal verlängert werden musste, weil sich kein geeigneter Nachfolger finden ließ, steht nun der scheidende niederländische Regierungschef Mark Rutte als künftiger Nato-Generalsekretär so gut wie fest.
Von den 32 Mitgliedsländern der Allianz, die ihren Generalsekretär einstimmig ernennen müssen, haben sich inzwischen 31 für Rutte ausgesprochen. Zuletzt gaben die Slowakei und Ungarn ihren Widerstand auf. Vor allem die Regierung in Budapest hatte Ruttes Ernennung zum Unmut vieler Nato-Staaten monatelang blockiert. Das lag unter anderem daran, dass sich der Niederländer während seiner Zeit als Regierungschef zuweilen genervt – nach Budapester Lesart: beleidigend – über die nationalistische, xenophobe Politik Ungarns geäußert hatte.
Rutte entschuldigte sich nicht bei Orbán, machte aber Zugeständnisse
Nach einem Treffen mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán am Rand des EU-Gipfels vorige Woche in Brüssel schrieb Rutte in einem Brief, dass er die Verärgerung über ihn in Budapest „zur Kenntnis“ genommen habe. Er entschuldigte sich nicht, versicherte aber, dass er seine Hauptaufgabe als Nato-Generalsekretär darin sehen werde, „Einigkeit zu bewahren und alle Verbündeten mit dem gleichen Verständnis und Respekt zu behandeln“.
Zudem bestätigte Rutte gegenüber Budapest, dass er Ungarns Weigerung respektieren werde, sich personell oder finanziell an der Mission der Allianz zur Unterstützung der Ukraine zu beteiligen. Die Ausnahmeregelung hatte Orbán mit Stoltenberg ausgehandelt, im Gegenzug stimmte der Ungar dem Plan zu, dass die Nato künftig die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine sowie Ausbildungsmissionen koordinieren kann. Er werde sich ebenfalls an diese Vereinbarung halten, schieb Rutte an Orbán. Die Slowakei, deren Widerstand gegen Rutte weit weniger hart war als der Ungarns, bekam von dem Niederländer zugesichert, dass die Nato sich um die Verteidigung des Luftraums des Landes kümmert.
Damit bleibt nur noch ein Nato-Staat, der sich nicht offen für Rutte ausgesprochen hat: Rumänien. Mit dem Plazet aus Bukarest wird in Brüssel aber jeden Moment gerechnet. Allerdings muss zuvor ein Weg gefunden werden, auf dem der rumänische Präsident Klaus Johannis seine Kandidatur für das Amt des Nato-Generalsekretärs gesichtswahrend zurückziehen kann. Mit seiner Bewerbung – die außer ihm niemand im Bündnis für wirklich notwendig erachtet hatte und die von Beginn aussichtslos war – hatte Johannis die einflussreichsten Nato-Länder überrascht. Trotzdem wollen die Partner Rumänien nicht düpieren. „Normalerweise läuft das so, dass man dann einem General aus dem betreffenden Land einen hohen Posten in Brüssel bei der Nato gibt“, sagt ein Diplomat.
Die Zahl der Länder, die das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen, hat sich mehr als verdoppelt
Für die Nato bedeutet das: Sofern die Dinge nicht noch gewaltig schieflaufen, wird sie Mitte Juli bei ihrem Gipfel in Washington, auf dem auch der 75. Geburtstag der Allianz gefeiert werden wird, einen neuen Generalsekretär präsentieren können. Rutte wird sein Amt dann im Oktober antreten.
Ebenfalls pünktlich zum Washingtoner Gipfel hat die Nato neue Zahlen zu den Verteidigungsausgaben ihrer Mitglieder veröffentlicht, die aus Sicht des Bündnisses höchst positiv ausfallen. So ist die Zahl der Länder, die – wie in der Allianz vereinbart – tatsächlich zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren, deutlich gestiegen. 2023 erfüllten nach den Berechnungen der Nato lediglich zehn Mitgliedsländer dieses Kriterium. Im laufenden Jahr werden es laut Schätzungen hingegen 23 Staaten sein – darunter erstmals die Niederlande. Ohne diesen Erfolg wäre Ruttes Kandidatur wohl schwieriger gewesen.
Zu den Ländern, die über die 2014 festgelegte Zwei-Prozent-Marke klettern, gehört auch Deutschland. Die Bundesrepublik wird in diesem Jahr gemäß den Nato-Berechnungen 2,12 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke ausgeben. Das gelingt allerdings nur, weil die Bundesregierung nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein sogenanntes Sondervermögen für die Ausstattung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen hat. Dieses Geld fließt jetzt für Rüstungsaufträge ab, wird von der Nato daher unter dem Zwei-Prozent-Ziel verbucht. Um die deutschen Verteidigungsausgaben dauerhaft über dieser Marke zu halten, wie die Bundesregierung es zugesagt hat, wäre eine wesentliche Aufstockung des regulären Verteidigungshaushalts notwendig. Wie das finanziert werden soll, ist jedoch offen.