Süddeutsche Zeitung

Nato:Kolonnen in der Nacht

Das US-Militär übt die Verlegung von Truppen - durch Deutschland. Die Bundeswehr unterstützt das Manöver.

Von Mike Szymanski, Berlin

So viel Militärpräsenz auf deutschen Straßen hat es lange nicht mehr gegeben. Von Ende Januar an wird Deutschland zur Drehscheibe für die größte Verlegung von US-Truppen seit 25 Jahren. Die USA üben mit internationalen Partnern, eine Division quer durch Deutschland nach Polen und ins Baltikum für ein Großmanöver zu schicken. "Defender Europe 2020" heißt die Übung, für die übers Frühjahr etwa 20 000 Soldatinnen und Soldaten samt militärischem Gerät aus den USA nach Deutschland kommen. Zusammen mit bereits in Europa stationierten Kräften und Personal von Partnernationen umfasst die Übung 37 000 Soldaten.

Die Bundeswehr ist für den logistischen Ablauf zuständig und beteiligt sich als Dienstleister und an Übungen im Baltikum. Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, die für die Unterstützung ausländischer Truppe zuständig ist, und der stellvertretende Kommandeur der US-Army in Europa, Generalmajor Andrew M. Rohling, führten am Dienstag bei einem gemeinsamen Presseauftritt aus, dass es darum gehe, die Verlegung großer Truppenteile über eine große Distanz wieder zu üben, um im Bedarfsfall reagieren zu können. "Wir haben das seit 25 Jahren nicht getan", sagte Generalmajor Rohling. Bis Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre waren solche Verlegungen aus Amerika regelmäßig geübt worden, mitunter mit bis zu 125 000 US-Soldaten.

Von dem Großmanöver Richtung Osten sollen "deutliche Signale der Abschreckung" ausgehen

Um die militärische Bedeutung der Übung im Jahr 2020 zu verstehen, muss man sie in Bezug zu anderen Missionen setzen: Seit Russland 2014 die Krim annektiert hat, geht im Baltikum die Angst vor der nahen Großmacht im Osten um. Die Nato hat deshalb ihre Einsatzbereitschaft entlang ihrer Ostflanke mit neuen Truppenverbänden verstärkt und je ein multinationales Bataillon nach Estland, Lettland, Litauen und Polen entsandt. Die USA haben zusätzlich ihre Truppenpräsenz in Polen erhöht. Sollte es tatsächlich zum Konflikt kommen, wären diese Nato-Truppen der Übermacht aus Russland nicht gewachsen. Studien zufolge könnte Russland 78 000 Soldaten ins Feld führen. Dem würde die Nato kurzfristig nicht einmal die Hälfte an Kämpfern entgegensetzen können. Deshalb üben die Amerikaner jetzt mit "Defender Europe", eine Division nach Osteuropa zur Verstärkung zu verlegen. Sowohl Generalmajor Rohling als auch Inspekteur Schelleis betonten, dass sich die Übung nicht gegen ein bestimmtes Land richte. "Deutliche Signale der Abschreckung" sollen allerdings durchaus von der Übung ausgehen.

Für die US-Armee, aber auch für die Bundeswehr dürfte die Übung zum Testfall werden, ob die Logistik für ein solches Großmanöver noch funktioniert. In der Hochphase von Ende Februar an werden ein- bis anderthalb Kilometer lange Konvois von etwa 20 Fahrzeugen nachts auf den Straßen unterwegs sein. Die Bundeswehr soll die Verkehrsleitzentrale führen und die Versorgung übernehmen. Sie geht von Staus und Behinderungen im Verkehr aus, will aber Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen. Über Ostern soll es keine Konvois geben. Die Bahn muss den Transport von Panzern in ihren Güterverkehr integrieren, die Seehäfen wie etwa Bremerhaven werden stark beansprucht.

Kritik an dem Manöver kommt von den Linken. Der Verteidigungspolitiker Alexander Neu sieht darin eine neue "Eskalationsstufe der USA gegenüber Russland". Die Mehrheit der Deutschen wolle "Frieden und Entspannung mit Russland, kein Säbelrasseln".

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SZ vom 15.01.2020
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