Süddeutsche Zeitung

Verteidigung:Stoltenberg: Nato-Zusammenarbeit trotz Handelsstreit

  • In Brüssel findet die erste Pressekonferenz mit Generalsekretär Jens Stoltenberg im neuen Hauptquartier des Bündnisses statt.
  • Stoltenberg zeigt sich angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Partnern entschlossen, "die negativen Konsequenzen für die NATO zu begrenzen".
  • Um besser und schneller auf Bedrohungen aus Russland reagieren zu können, plant das Bündnis eine neue Kommandostruktur.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist eine Premiere, und wären die Zeiten andere, Jens Stoltenberg würde darüber wohl auch ein paar stolze Worte verlieren. Erstmals tritt der Nato-Generalsekretär im neuen gläsernen Hauptquartier des Bündnisses vor die Presse. Ein großzügiger Bau mit viel Licht ist das, doch nur knapp und sehr nüchtern erwähnt Stoltenberg, dass die Verteidigungsminister an diesem Donnerstag und Freitag ihre Sitzung zum ersten Mal in den neuen Räumlichkeiten abhalten. Dann kommt er zur Sache. Man werde den Gipfel im Juli vorbereiten, sich auf eine neue Kommandostruktur mit 1200 neuen Stellen verständigen, den Sitz zweier neuer Hauptquartiere beschließen und einen Plan verabschieden, der die Nato im Ernstfall schneller machen soll. Läuft doch, ist die Botschaft. Oder genauer: Läuft trotz allem.

Lange ist bei der Nato versucht worden, über die Konflikte hinwegzusehen, die sich seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump zwischen den Verbündeten aufgetürmt haben: zunächst der Abschied aus dem Pariser Klimaabkommen, dann der Streit über die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels, schließlich der Ausstieg aus dem Nuklearabkommen mit Iran und nun die Strafzölle auf Stahl und Aluminium auch aus Kanada und Europa. Spätestens seit diesem letzten Schritt aber ist die Feindseligkeit zwischen den Alliierten so augenscheinlich, dass Wegsehen nicht mehr funktioniert. "Es gibt ernste Meinungsunterschiede zwischen den Nato-Verbündeten über ernste Themen", räumt Stoltenberg ein. Der Handel etwa sei so ein ernstes Thema.

Die Strategie des Norwegers ist es, die tiefe Krise im transatlantischen Verhältnis einerseits nicht kleinzureden, womit er sich ohnehin nur lächerlich machen würde. Andererseits aber will er jeden Anschein vermeiden, dass daraus eine existenzielle Krise für das 1949 gegründete Bündnis erwachsen könnte. Die Nato sei eben eine Allianz "aus 29 verschiedenen Nationen auf beiden Seiten des Atlantiks, die sich in Geschichte und Geografie und manchmal in ihren Sichtweisen auf ernste Themen" unterschieden, beschwichtigt er. Schwere Konflikte habe es immer wieder gegeben: in den 1950er-Jahren die Suez-Krise, in den 1960er-Jahren den Ausstieg Frankreichs aus der Nato-Kommandostruktur und zuletzt 2003 den Streit zwischen Verbündeten im Irak-Krieg. "Wieder und wieder" habe sich aber gezeigt, dass die Verbündeten ungeachtet solcher Konflikte der "Kernaufgabe, einander zu verteidigen und zu schützen", treu blieben.

Im Alltag halten sich die Verbündeten ans transatlantische Establishment

Tatsächlich haben Diplomaten in der Nato das Gefühl, dass dies bislang auch diesmal der Fall ist. Mehr noch: Die Nato scheint immer mehr zum letzten funktionierenden Rahmen der transatlantischen Partnerschaft zu werden - womit nicht unbedingt zu rechnen war. Im Wahlkampf hatte Trump die Nato noch als "obsolet" geschmäht, und bei seinem ersten Nato-Gipfel im vergangenen Jahr hatte er zum Entsetzen der Alliierten ein Bekenntnis zu Beistandsartikel 5 des Nordatlantik-Vertrags verweigert. Stattdessen hielt er den versammelten Staats- und Regierungschefs eine Gardinenpredigt wegen zu geringer Verteidigungsausgaben. Insbesondere Deutschland hat er in dieser Hinsicht immer noch auf dem Kieker, zumindest für den Moment stellt Trump die Nato als solche aber nicht infrage.

Im Alltag halten sich die Verbündeten ans transatlantische Establishment, zu dem auch die von Trump ernannte US-Botschafterin bei der Nato, die frühere republikanische Senatorin Kay Bailey Hutchison, gezählt wird. "Wir alle freuen uns auf einen sehr erfolgreichen Gipfel, auf dem wir die Einheit der Allianz, die Stärke der Allianz zeigen", verkündet Hutchison tapfer. Das gelte ungeachtet "verschiedener Probleme zwischen den Ländern". Sorgen, dass die "Allianz jemals in Gefahr geraten könnte", mache sie sich nicht. Von einer Gefährdung der nationalen Sicherheit durch Stahlimporte aus Kanada und Europa will Hutchison nicht sprechen, aber wenn es zu "fairen Handelsbeziehungen" zwischen allen Verbündeten komme, dann sei das doch zu aller Nutzen.

Neues Unterstützungs- und Nachschubkommando in Ulm

Stoltenberg verweist gerne darauf, dass die USA ihre militärische Präsenz in Europa seit dem Amtsantritt von Trump noch verstärkt haben mit "mehr Truppen, mehr Gerät, mehr Übungen". Es ermutige ihn, dass "das transatlantische Band" so noch gestärkt worden sei. Tatsächlich herrscht Einigkeit auch darüber, dass die Allianz sich noch besser auf eine mögliche Bedrohung aus Russland vorbereiten muss. So sollen bis 2020 insgesamt 30 Bataillone zu Land, 30 Staffeln in der Luft und 30 Schiffe innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein. Es geht, wie Stoltenberg betont, um die Ertüchtigung bestehender Kräfte, nicht um das Aufstellen einer neuen Truppe. In Ulm soll zudem ein Unterstützungs- und Nachschubkommando der Nato entstehen. In Norfolk in den USA wird überdies ein neues Kommando für Truppentransporte über den Atlantik aufgebaut.

Auf lange Sicht sei es auch für die Nato zu wünschen, dass die transatlantischen Konflikte gelöst würden, räumt Stoltenberg ein. "Aber solange das nicht der Fall ist, muss ich mich darauf konzentrieren, die negativen Konsequenzen für die Nato zu begrenzen", sagt er. Bisher sei man da "recht erfolgreich".

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SZ vom 07.06.2018/kiju
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