Nato-Treffen in London:Heute mal harmonisch

Nato-Treffen in London: Streit in der Familie: Emmanuel Macron, Angela Merkel und Donald Trump auf dem Nato-Gipfel.

Streit in der Familie: Emmanuel Macron, Angela Merkel und Donald Trump auf dem Nato-Gipfel.

(Foto: CHRISTIAN HARTMANN/AFP)
  • Die Nato-Mitglieder haben sich trotz vieler Streitigkeiten zum Militärbündnis bekannt und eine gemeinsame Abschlusserklärung veröffentlicht.
  • Sowohl Kanzlerin Merkel als auch Frankreichs Präsident Macron und US-Präsident Trump zeigten sich nach dem Treffen in London zufrieden.
  • Die bald 30 Mitgliedsländer bekräftigten offiziell, im Bündnisfall füreinander einzustehen.

Von Matthias Kolb, London

Die Bundeskanzlerin hat Glück gehabt. Direkt nach der einzigen Arbeitssitzung beim Nato-Treffen in London ist sie zum Gespräch mit Donald Trump verabredet. Am Vortag hatte der US-Präsident all seine Begegnungen zu improvisierten Pressekonferenzen genutzt und seine Gesprächspartner Emmanuel Macron und Justin Trudeau kritisiert. Mal dauerte es 52 Minuten, mal 40 Minuten, doch an der Seite von Angela Merkel fasst sich Trump recht kurz. Sie spricht von einer "konstruktiven Debatte", und auch der US-Präsident spricht von einer "großartigen Stimmung", lobt die steigenden Militärausgaben der Europäer und nennt die Nato "stärker als je zuvor".

Nach zehn Minuten, um kurz nach ein Uhr Ortszeit, schließen sich die Türen, und der Eindruck festigt sich, dass Trump dieses Mal geradezu zahm auftritt. Natürlich wird er weiter darauf drängen, dass die Verbündeten und insbesondere Deutschland noch mehr investieren, aber er sagt heute, dass Berlin "nur etwas unter der Grenze" sei. Der Amerikaner scheint davon überzeugt zu sein, dass er im Wahlkampf 2020 damit punkten kann, die Nato-Partner zu Mehrausgaben in Höhe von 130 Milliarden Dollar gezwungen zu haben. Auf die hineingerufene Frage, was er über das Video denke, in dem der Kanadier Justin Trudeau über ihn scherzt, sagt Trump: Justin sei "ein Mann mit zwei Gesichtern". Das ist rüde, aber Trump hat den liberalen Kanadier auch schon als "unehrlich und schwach" und als Showman niedergemacht. In London nennt er Trudeau nun im nächsten Satz "einen sehr netten Kerl": Der Premier sei wohl "nicht glücklich" darüber gewesen, dass er ihn vor laufender Kamera bloßgestellt habe, weil Kanada zu jenen Staaten gehört, die nicht zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken.

Trudeau, Macron und Prinzessin Anne scherzen über Präsident Trump - und der reagiert

Über jenes Video wurde seit Sonnenaufgang ausführlich im Medienzentrum und in den nationalen Delegationen geredet. Nach dem feierlichen Auftakt mit einem abendlichen Empfang bei Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace trudeln die Staats- und Regierungschefs an diesem Mittwochmorgen am Tagungsort ein. Das Hotel "The Grove" - sehr teuer - liegt in Watford, etwa 30 Kilometer vom Londoner Stadtzentrum entfernt, 2006 wurde dort die Golfweltmeisterschaft ausgetragen. Bekannt ist Watford sonst als Ausflugsziel für den Besuch der "The Making of Harry Potter"-Tour, doch nun geht es vor allem um den Clip, der am Vorabend im Buckingham Palace aufgezeichnet wurde. Er zeigt neben Trudeau Gastgeber Boris Johnson und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die mit Prinzessin Anne über Trump zu scherzen scheinen. Darin ist zu hören, wie Johnson Macron fragt, warum er zu spät sei, und Trudeau antwortet: "Er ist zu spät, weil er einfach so eine 40-minütige Extrapressekonferenz halten musste." Nach einem Schnitt ergänzt Trudeau: "Ich habe gesehen, wie seinem Team die Kinnlade auf den Boden gefallen ist." Dazu macht er eine entsprechende Geste.

Auch wenn der Name Trump nicht genannt wird, ist klar, dass sich die Gruppe ziemlich sicher über den US-Präsidenten austauscht. Dieser hatte vor allem Macron angegangen, dessen "Hirntod"-Äußerung als "respektlos" und "sehr, sehr böse" bezeichnet und den Franzosen zu jener langen Pressekonferenz gezwungen. Schon am Dienstag war die Uneinigkeit offen zutage getreten, und Spannungen sind auch spürbar, als die leaders in Watford von Johnson und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßt werden. Hier verkündet Macron, dass er weiter stolz darauf sei, eine Diskussion angestoßen zu haben.

Zum traditionellen Familienfoto wird Dudelsack gespielt, und die Choreografie will es, dass Trump neben Recep Tayyip Erdoğan steht, dem anderen Störenfried. Dieser hatte gedroht, sein Veto gegen die Aktualisierung der Verteidigungspläne für das Baltikum und Polen einzulegen, wenn die Verbündeten die kurdische YPG-Miliz nicht als Terroristen einstuft. Ob es am spontan arrangierten Treffen mit Trump lag oder der Türke die Alliierten nicht weiter reizen wollte: In der Sitzung, die dem Vernehmen nach ohne Eklats ablief, gibt Erdoğan seinen Protest auf. So kann Stoltenberg verkünden: "Wir haben uns auf den aktualisierten Plan für die baltischen Staaten und Polen geeinigt." Auch Angela Merkel zeigt sich nach der Unterredung mit Trump zufrieden.

Sie führt in ihrer Pressekonferenz aus, dass der US-Präsident die Europäer "eindrücklich" aufgefordert habe, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Das gegenseitige Verständnis sei aber gewachsen. Sie begrüßt, dass die von Außenminister Heiko Maas vorgeschlagene "Reflexionsgruppe" über die Zukunft der Nato in der "Londoner Erklärung" erwähnt wird: Unter Leitung von Stoltenberg sollen Experten bis 2021 Vorschläge unterbreiten. Im 70. Jahr ihres Bestehens haben die bald 30 Mitgliedsländer offiziell bekräftigt, im Bündnisfall füreinander einzustehen. Artikel 5 des Nato-Vertrags verpflichte dazu, dass "ein Angriff auf einen Verbündeten als Angriff auf uns alle verstanden werden" soll. Im Interview mit dem Economist hatte Macron die Beistandspflicht infrage gestellt und war dafür harsch kritisiert worden - von den Osteuropäern und von Trump. Dieser erklärt locker, dass Macron "seine Kommentare total zurückgenommen" habe. Frankreichs Präsident macht bei seinem Auftritt vor Journalisten einen anderen Eindruck. Das Mandat des Reflexionsprozesses müsse so gefasst sein, dass "existenzielle Fragen" der Allianz beantwortet würden. Die Nato müsse ihre Ziele sowie Rechte und Pflichten der Mitglieder bestimmen - und zu den Pflichten gehöre, Partner nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, wie dies beim Rückzug der USA aus Nordsyrien und der folgenden türkischen Intervention der Fall gewesen sei. Der nächste Streit ist also nur aufgeschoben.

Für Donald Trump endet der Mini-Gipfel sogar etwas früher. Nach Merkel trifft er zum Mittagessen den "Zwei-Prozent-Club", also die Staatschefs jener acht Nato-Staaten, welche die 2014 vereinbarte Marke bereits erreichen: Neben Estland, Lettland, Litauen und Polen sind dies Rumänien, Griechenland, Großbritannien und Bulgarien. Der finale Auftritt wird abgesagt. Die Begründung liefert Trump per Tweet: "Wir werden zum Ende des Nato-Treffens keine Pressekonferenz geben, weil wir in den vergangenen zwei Tagen so viele hatten. Allen eine sichere Heimreise."

Und Trudeau? Der tritt vor de Kameras und beteuert, dass er ein gutes Verhältnis zu Trump habe und die bilateralen Beziehungen nicht gefährdet seien. Das erwähnte Staunen der Trump-Berater habe einen Grund: Der G-7-Gipfel, den Trump zunächst in seinem Hotel in Florida ausrichten wollte, findet nun in Camp David statt.

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