Nato-Gipfel:Erstens Vision, zweitens Strategie

Nur nicht allein aufs Militärische setzen: Der Nato-Gipfel muss ein neues Konzept für das Bündnis suchen.

Klaus Naumann

Die Nato wird 60. Sie vollzieht Frankreichs Rückkehr in die militärische Integration, sie feiert zum ersten Mal mit Präsident Obama und zum ersten Mal in zwei Ländern. Letzteres ist gewiss ein Symbol deutsch-französischer Freundschaft - aber nicht auch Ausdruck der Uneinigkeit über das Vorgehen in Afghanistan, das Verhältnis zu Russland und zur künftigen Rolle der Nato?

Nato-Gipfel: Der Nato drohen unruhige Zeiten, sagt Klaus Naumann.

Der Nato drohen unruhige Zeiten, sagt Klaus Naumann.

(Foto: Foto: dpa)

Sicher, die Organisation ist uneins, aber sie hat doch Grund zu feiern: 60 Jahre Nato stehen für 60 Jahre Frieden und das Ende der Teilung Europas. Die Vision des ganzen und freien Europa scheint in Sicht zu sein.

Mehr als alle anderen haben die Deutschen Grund, dafür zu danken. Aber es gilt nach vorne zu schauen, denn der Nato drohen unruhige Zeiten. Da ist Afghanistan, für dessen Sicherheit nicht zuletzt auf Drängen Deutschlands die Nato zur Verantwortung gezogen wurde.

Die Nato wird wohl den Vorschlägen der USA folgen, die Lösung des Problems in einem regionalen Ansatz zu suchen, der das Zerschlagen von Taliban und al-Qaida sowie die Einbindung Indiens, Pakistans, Irans und Russlands vorsieht, außerdem verstärkte Aufbauleistung und den beschleunigten Aufbau von Polizei und Armee.

Niemand soll glauben, das sei ein Einschwenken auf das Vorgehen der Deutschen. Es ist ein im Irak geborener Weg, der die Regionen stärkt - und so versucht, die Zentralregierung in Kabul zu stützen.

Ein riskanter Weg

Am Anfang steht, Sicherheit zu schaffen und dort, wo sie erreicht ist, rasch, großzügig und dezentral aufzubauen, aber dann auch den Aufbau permanent zu sichern. Man will die Bevölkerung schützen und ihr die Furcht nehmen, für eine Zusammenarbeit mit den Fremden von den Taliban grausam bestraft zu werden.

Es ist ein Weg voller Risiko, der nur gelingen kann, wenn die Afghanen, die Paschtunen dafür gewonnen werden und wenn er Schritt für Schritt von allen gegangen wird, in Afghanistan wie den Grenzgebieten. Der Gipfel wird Zustimmung signalisieren, also kein Weiter-so, sondern Aufbruch.

Entscheidend aber werden die Taten nach dem Gipfel sein. Die Nato muss Erfolg in Afghanistan und Pakistan haben. Der ist möglich, wenn alle die Lasten gemeinsam tragen und gleiches Risiko auf sich nehmen. Das war der Schlüssel zum Erfolg in 60 Jahren Nato.

Den Erfolg der Nato in Afghanistan/Pakistan will übrigens auch Russland. Das ist das zweite große Thema. Die Nato muss neue Wege zur Partnerschaft mit Russland suchen.

Deren Ausgangspunkt muss die Erneuerung der Schutzgarantie der Nato für all ihre Mitglieder sein. Jedes muss wissen, dass es in der Nato vor jeder Gefahr und vor jedem Versuch der Einschüchterung sicher ist. Dazu müssen alle Verbündeten ihren Beitrag leisten.

Keine Furcht vor Russland

Auf dieser Grundlage wird Zusammenarbeit mit Russland ohne Furcht vor Russland möglich. Dazu gibt es keine Alternative, weder für die Nato noch für Russland.

Moskau muss allerdings wissen, dass die Nato keine Entscheidung zurücknehmen wird, dass es keine Einflusszonen in Europa geben kann, dass die Türen der Nato offen bleiben und dass dabei kein Dritter ein Veto-recht haben wird.

Auf dieser Grundlage sollte die Nato erneut Partnerschaft anbieten, die, von gegenseitigem Respekt getragen, Wege zur gemeinsamen Sicherheit sucht und den überfälligen Abbau der wahnwitzigen Zahl von Atomwaffen beider Seiten möglich macht.

Mehr als militärische Konfliktlösung

Die Partnerschaft mit Russland, die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, allen voran der EU, aber auch mit Staaten außerhalb des Nato-Vertragsgebiets sollten Ausdruck in einem neuen strategischen Konzept finden. Dazu muss der Gipfel den Auftrag geben.

Klaus Naumann, ddp

General a.D. Klaus Naumann, 69, war von 1996 bis 1999 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Zuvor war er Generalinspekteur der Bundeswehr.

(Foto: Foto: ddp)

Die Nato der Zukunft muss mehr sein als ein Verteidigungsbündnis, das nur über militärische Mittel verfügt. Denn jedermann ist überzeugt, dass kein Konflikt mit militärischen Mitteln allein zu lösen sein wird.

Aufgaben der Nato

Die Nato könnte drei Aufgaben haben: Erstens hat sie das Bündnisgebiet kollektiv zu verteidigen. Zweitens sollte sie das erste Forum für transatlantische Konsultation in Krisen aller Art sein, und sie muss drittens im vollen Spektrum gemeinsamer transatlantischer Krisenbewältigung und unter Nutzung aller Mittel der Politik handeln.

Daneben muss die Nato wie bisher helfen, Streitigkeiten unter Bündnispartnern zu schlichten, und sie hat dafür zu sorgen, dass die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindert wird.

Dieses Aufgabenspektrum ist weiter als das heutige. Es verlangt mehr Zusammenarbeit mit anderen als bislang, allen voran mit der EU. Die Nato muss sich aber auch mit ganz neuen Themen befassen, mit Energiesicherheit, der Eindämmung von neuen Gefahren durch Cyberwar, mit Bio-Terrorismus und dem Rüsten im Weltraum, und sie muss Sicherheit durch Kooperation über die Bündnisgrenzen hinweg stärken.

Aber die Nato muss eine regionale, eine transatlantische Allianz bleiben, die allerdings, wo nötig und wenn politisch so gewollt, den Gefahren dort begegnet, wo sie entstehen. Das Ergebnis könnte eine Zone der Stabilität und Kooperation vom Atlantik bis über den Ural hinaus sein.

In Auftrag zu geben ist also nicht mehr eine stark militärisch ausgerichtete Strategie wie bisher, die Nato braucht eine Grand Strategy, in der alle Instrumente der Krisenbewältigung, vor allem auch nicht-militärische, auf das Ziel der Verhinderung bewaffneter Konflikte ausgerichtet werden.

Würden die Nationen dann die benötigten Fähigkeiten bereitstellen, entstünden ein starkes Europa und ein stärkeres Nordamerika. Das würde beiden nützen, denn ein mit den USA fest verbundenes Europa gewinnt Handlungsspielraum auch über Europa hinaus, und ein starkes Europa gibt den USA ein Mehr an Handlungsfähigkeit.

Ziel muss die Vision eines Bündnisses der Staaten Europas und Nordamerikas sein, die bereit sind, sich gemeinsam gegen alle Gefahren zu schützen, ohne anderen ihr Modell aufzuzwingen oder Sicherheit zu Lasten Dritter zu suchen, von Staaten, die mit anderen Staaten und Regionen kooperieren und die mit ihren Partnern daran arbeiten, die Zone gemeinsamen Schutzes von Finnland bis Alaska zur Grundlage für eine mit Russland zu gestaltende Zone gemeinsamer Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok zu machen.

Das geht für diesen Gipfel vermutlich zu weit, aber der Auftrag, ein neues strategisches Konzept zu erarbeiten, muss erteilt werden. Damit wäre die Tür weit offen, die Vision beim nächsten Gipfel zu beschließen. Damit gäbe der Gipfel dann doch ein Signal des Aufbruchs und die Gewissheit, dass Europa und Nordamerika auch künftig gemeinsam Sicherheit gestalten werden.

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