Nato-Gipfel:Eine Einigung und drei Opfer

Den Streit über einen neuen Generalsekretär konnte die Nato gerade noch beilegen: So klingt der Gipfel halbwegs harmonisch aus - dennoch ist Schaden angerichtet worden.

Martin Winter

Es hatte ein Gipfel der Harmonie werden sollen. Doch er wurde von einem schweren Streit um die Nachfolge des scheidenden Generalsekretärs der Nato überschattet. Auch wenn der in letzter Minute und nach erheblichen Druck aller übrigen Alliierten auf die Türkei so gerade noch beigelegt werden konnte, ist ein nur schwer reparabler Schaden angerichtet worden.

Nato-Gipfel: Der scheidende Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer (rechts) neben dem künftigen Anders Fogh Rasmussen.

Der scheidende Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer (rechts) neben dem künftigen Anders Fogh Rasmussen.

(Foto: Foto: AFP)

Dass die Nato sich über die Besetzung des Postens ihres Generalsekretärs so sehr verzankt, dass sie sich beinahe in eine schwere Krise stürzt, spricht nicht dafür, dass sich das größte Militärbündnis der Welt zu seinem 60. Geburtstag in einem guten Zustand befindet.

Im Gegenteil. Dass alle diplomatischen Sicherungen versagt und alle politischen Einschätzungen des türkischen Widerstandes gegen den dänischen Ministerpräsidenten falsch gelegen haben, zeugt von gefährlichen Verständigungsschwierigkeiten unter den Partnerländern.

Aber nicht nur das. Indem sich die Türkei öffentlich so lange gegen den Willen aller anderen 27 Nato-Staaten gestellt hatte, verletzte sie eine Regel, die für das Funktionieren der Allianz wichtig ist: Entscheidungen werden so lange diskret gesucht, bis ein Konsens gefunden ist.

Es gibt drei Opfer des türkischen Vorgehens: Erstens tritt der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen sein neues Amt als Nato-Generalsekretär nun politisch beschädigt an. Weil die Türkei ihn wegen seiner Haltung im Streit um die Mohammed-Karikaturen kritisierte, in dem er sich auf die Seite der Pressefreiheit gestellt und eine von islamischen Ländern geforderte Entschuldigung abgelehnt hatte, gibt sie ihn in der islamischen Welt für Angriffe frei.

Zweitens ist die Nato beschädigt. Die steht vor aller Welt als eine Organisation da, die zwar die Werte der Freiheit verteidigt, in deren Reihen sich aber ein Land befindet, das zu diesen Werten ein vorsichtig gesagt schwieriges Verhältnis zu haben scheint. Und das dritte Opfer ist die Türkei selber. Was immer sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei seinen öffentlichen Attacken auf Rasmussen "im Auftrag vieler islamischer Staaten" gedacht hat, sehr langfristig kann es nicht gewesen sein.

Die Nato hat ein langes Gedächtnis und dafür, dass Ankara dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel den Gipfel in Straßburg und Kehl beinahe ruiniert hat, wird es irgendwann bezahlen müssen.

Noch schwerwiegender aber wird die Wirkung auf die europäischen Ambitionen der Türkei sein. Man muss nicht so weit gehen, wie einige deutsche Christdemokraten, die die Einstellung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fordern.

Aber die Europäer müssen sich schon die Frage stellen, wes Geistes Kind denn ein Land ist, dessen politische Spitze einen für das Amt des Nato-Generalsekretärs durchaus geeigneten Kandidaten deswegen zu verhindern versucht hat, weil der, wie es von einem demokratischen Regierungschef zu erwarten ist, Angriffe auf die Pressefreiheit abgewehrt hat.

Wer in die Europäische Union hinein will, der muss sich auf ihre konstituierenden Werte verpflichten, und die sind nicht verhandelbar. Dazu gehören die Freiheit der Presse und die Freiheit der Meinung. Und dazu gehört auch die Verteidigung dieser Freiheiten. Ihr Vorgehen in der Nato, aber auch ihr Umgang mit kritischen Journalisten im eigenen Land begründen erhebliche Zweifel, dass die Türkei schon europatauglich ist. Die Europäische Union darf nicht weiter darüber hinwegschauen, dass der Graben zwischen ihren Werten und denen der Türkei größer ist, als man in Brüssel so gerne glauben möchte.

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