Süddeutsche Zeitung

Trump auf dem Nato-Gipfel:Die Angst in der Allianz ist zurück

  • Am Mittwoch treffen sich die 29 Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitglieder in Brüssel.
  • Die Diplomaten sind sich über die zu beschließenden Dokumente bereits einig.
  • Doch sobald nach US-Präsident Trump gefragt wird, ist von "Unsicherheit" die Rede - und von "Nervosität".

Von Daniel Brössler, Brüssel

Sie sind pünktlich fertig geworden, sogar überpünktlich. Schon Tage vor Beginn des Nato-Gipfels konnten die Diplomaten, die im Nato-Hauptquartier wochenlang über die zu beschließenden Dokumente verhandelt haben, Vollzug melden. Am Verhandlungstisch jedenfalls, berichtet einer der Beteiligten, habe die Nato nicht gewirkt wie eine "Allianz in Uneinigkeit". Nato-Leute verweisen nun gerne darauf, dass die Vorarbeiten zum Gipfeltreffen vor zwei Jahren in Warschau viel schwieriger gewesen seien. Da hätten Diplomaten immer noch an der Gipfel-Erklärung herumgezurrt, als die Staats- und Regierungschefs schon versammelt gewesen seien. Wer sich im Nato-Hauptquartier umhört dieser Tage, könnte glauben, im Bündnis sei der ewige Frieden ausgebrochen.

Das gilt allerdings immer nur so lange, bis der Elefant im Raum dann doch noch angesprochen wird. Sobald nach US-Präsident Donald Trump gefragt wird, ist von "Unsicherheit" die Rede und von "Nervosität". Niemand traut sich eine Vorhersage darüber zu, wie Trump sich während des Gipfels an diesem Mittwoch und Donnerstag verhalten wird. Die Diplomaten haben es insofern mit einer doppelten Wirklichkeit zu tun. Einerseits haben sich die Vorarbeiten zum Gipfel offenbar nicht wesentlich von dem unterschieden, was man in der Allianz seit jeher gewohnt ist. Nach wie vor habe man es mit hochprofessionellen US-Kollegen zu tun, so ist zu hören, die eine durchaus "traditionelle" Bündnispolitik verfolgten. Nur könnten andererseits auch die Amerikaner nicht vorhersagen, ob ihr Präsident die mühsam vorbereiteten Gipfeldokumente schlecht gelaunt in der Luft zerreißt.

Seit dem G-7-Gipfel in Kanada ist die Angst in der Allianz zurück

Unvergessen ist Trumps erster Auftritt bei der Nato vor gut einem Jahr. Den versammelten Staats- und Regierungschefs hielt er damals eine Standpauke und belehrte sie, einzelne Nato-Staaten schuldeten den US-Steuerzahlern "riesige Summen von Geld". Schlimmer noch: Trump verweigerte das von allen erwartete Bekenntnis zu Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages, also zur Beistandsklausel des Bündnisses. Den Alliierten dämmerte, dass Trump die Nato womöglich immer noch für "obsolet" hält, so wie er es im Wahlkampf gesagt hatte. Als dann ein paar Wochen nach dem Gipfel Trump bei einem Besuch des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis in Washington doch noch das gewünschte Bekenntnis nuschelte, wollte man bei der Nato glauben, dass nun alles gut wird. Und so sah es ja auch aus: Die USA verstärkten etwa im Rahmen einer "Europäischen Rückversicherungsinitiative" ihre Truppenpräsenz in östlichen Nato-Staaten, wofür sie alleine für dieses Jahr Kosten in Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar veranschlagten.

Seit einigen Wochen aber ist die Angst in der Allianz zurück. Auslöser war das Verhalten Trumps beim G-7-Gipfel in Kanada, wo er gesagt haben soll, die Nato sei "so schlimm wie Nafta" - das dem US-Präsidenten verhasste Nordamerikanische Freihandelsabkommen. Spätestens seitdem wird wieder darüber diskutiert, ob der Frust Trumps über das Militärbündnis tiefer reicht als sein Ärger über zu niedrige Verteidigungsausgaben mehrerer Verbündeter (siehe nebenstehender Bericht). Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg will von derlei Zweifeln allerdings nichts wissen. Der norwegische Sozialdemokrat hat im Bündnis die Aufgabe des Trump-Verstehers übernommen und es offenbar tatsächlich zuwege gebracht, vom US-Präsidenten gemocht zu werden. "Präsident Trump ist eine andere Art von Politiker, er pflegt eine sehr direkte Sprache", warb Stoltenberg in einem ARD-Interview. Zwar gebe es "ernste Meinungsverschiedenheiten" beim Iran-Atomabkommen, bei der Klimapolitik und beim Handel. "Aber Trump hat viele Male öffentlich und in Gesprächen mit mir klargestellt, dass er zur Nato steht", sagte der Generalsekretär.

Gleich am Anfang hat der US-Präsident die Gelegenheit, den Gipfel zu sprengen

Stoltenberg verlässt sich darauf, dass das auch noch stimmt, wenn sich am Mittwoch die 29 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zur Sitzung des Nato-Rates versammeln. Er wird dann als Erstes fragen, ob es irgendwelche Einwände gebe gegen das Gipfel-Kommuniqué, die transatlantische Erklärung und ein paar weitere vorbereitete Dokumente. Wenn sich keiner meldet, dann gelten sie als beschlossen. Es wäre dies der eine Augenblick, in dem Trump das Treffen sprengen könnte - womit freilich keiner rechnen mag. Diplomaten verweisen darauf, dass Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton alle Gipfeldokumente studiert und gebilligt habe - und dass doch alles sehr im amerikanischen Sinne formuliert sei. Neben der Bekräftigung des Zwei-Prozent-Ziels bei den Verteidigungsausgaben wird die "4 x 30"-Initiative festgeschrieben. So sollen bis 2020 insgesamt 30 Bataillone zu Land, 30 Staffeln in der Luft und 30 Kriegsschiffe zur See innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein. Beschlossen werden soll auch die Nato-Ausbildungsmission im Irak, an der sich Deutschland allerdings nicht direkt beteiligen will.

Das seien doch "wichtige Ergebnisse", lobt die US-Botschafterin bei der Nato, Kay Bailey Hutchison, eine Ex-Senatorin und Republikanerin der alten Schule. Das Leitmotiv des Gipfels werde die "Stärke und Geschlossenheit der Nato" sein. Alle seien vereint im Ziel "starker Abschreckung". Alle? Die größten Sorgen in Brüssel gelten da nicht Trumps Auftritt beim Nato-Gipfel selbst, sondern dem Treffen von Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am kommenden Montag in Helsinki. Es sei gut, verkündete Stoltenberg tapfer, dass Trump Putin nach dem Gipfel treffe. So könne er "die Botschaften und den Nato-Ansatz gegenüber Russland mit den anderen 28 Alliierten diskutieren, bevor er mit Präsident Putin zusammenkommt".

Allerdings fürchtet man in Brüssel auch, nach Belehrungen durch die Verbündeten könnte Trump erst recht bockig werden. Die Frage, ob er die Anerkennung der Annexion der Krim durch Russland ausschließe, hat Trump jedenfalls bereits verneint. Befürchtet wird auch, Trump könnte Putin ähnlich wie bei seinem Treffen mit dem Nordkoreaner Kim Jong-un freihändig die Absage bereits geplanter Manöver versprechen. Aufatmen werde man erst, gesteht ein Diplomat, wenn auch der Helsinki-Gipfel vorüber sei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4046665
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.07.2018/mane
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.