Süddeutsche Zeitung

Nato-Generalsekretär:Stoltenberg wünscht sich "stärkere Führungsrolle" Deutschlands

Der Nato-Generalsekretär fordert nicht nur angesichts der jüngsten Entwicklungen mit Russland ein konsequentes Vorgehen der Mitgliedsstaaten: "Wir leben in einer unsicheren Welt."

Von Mike Szymanski, Berlin

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg macht Druck auf Deutschland, sich stärker im Verteidigungsbündnis einzubringen. "Die anderen Länder wünschen sich eine stärkere sicherheitspolitische Führungsrolle von Berlin", sagte Stoltenberg der Süddeutschen Zeitung. "Deutschland trägt aufgrund der Größe seiner Wirtschaft und der politische Bedeutung eine besondere Verantwortung."

Stoltenberg begrüßte, dass Deutschland bei den Verteidigungsausgaben "die Kurve" gekriegt habe. "Nach Jahren des Rückgangs haben wir 2017 erlebt, dass die Verteidigungsausgaben in Deutschland um fast sechs Prozent gestiegen sind." Er appellierte an die Bundesregierung, diesen Kurs fortzusetzen. Die Nato-Staaten haben sich verpflichtet, bis 2024 ihre Ausgaben für Verteidigung auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Davon ist Deutschland mit etwa 1,2 Prozent deutlich entfernt. "Ich zähle auf Deutschland. Wir leben in einer unsicheren Welt. Wir stehen vor neuen Bedrohungen. Antworten darauf sind nicht umsonst zu haben", erklärte Stoltenberg.

Stoltenberg wies auf "ernste Mängel" in den Streitkräften einiger Länder hin. "Wir sehen die Folgen jahrelanger Sparpolitik, nicht nur in Deutschland", sagte Stoltenberg. Die Bundeswehr hat Mühe, ihren Bündnisverpflichtungen nachzukommen, weil Material veraltet ist oder neues Gerät aufgrund von Problemen im Beschaffungswesen nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Trotz aller Schwierigkeiten findet Stoltenberg Lob für den Beitrag Deutschlands zu Nato-Einsätzen. "Ich habe die deutschen Soldaten bei vielen Einsätzen getroffen, ob in Afghanistan, in Kosovo oder in Litauen. Diese Verbände sind gut ausgestattet, die Soldaten gut ausgebildet und hoch professionell."

"Wir wollen keinen Kalten Krieg"

Stoltenberg setzt im Umgang mit Russland auf ein entschiedenes Handeln der Mitgliedsstaaten. "Es wird wichtig sein, Moskau weiter zu zeigen, dass es Konsequenzen hat, wenn Russland sich so verhält wie auf der Krim, wenn Russland hinter Cyber-Attacken steckt und internationale Regeln verletzt", sagte er im Interview.

Er zeigte sich alarmiert über die jüngsten Entwicklungen im Verhältnis zu Russland. "Wir blicken auf ein Land, das stark aufgerüstet hat. Wir blicken auf ein Land, das militärisch gegen die Ukraine vorgegangen ist und seine Truppen in Moldau und Georgien gegen den Willen dieser Länder eingesetzt hat. Moskau unterstützt das Assad-Regime in Syrien. Wir registrieren Cyber-Attacken, auch auf das deutsche Regierungsnetz. Und das ist noch nicht alles, was Sorgen bereitet: Russland modernisiert sein nukleares Arsenal. Die Hemmschwelle für dessen Einsatz sinkt."

Die Allianz habe mit Truppenverlegungen an die Nato-Ostgrenze eine "verhältnismäßige und defensive Antwort" gefunden, Mitgliedsstaaten hätten Sanktionen verhängt. Ein Abrücken von diesem Kurs der Härte macht Stoltenberg von einem Einlenken der russischen Seite abhängig. "Solange Russlands Auftreten sich nicht ändert, bleiben die Truppen wo sie sind, und die Sanktionen in Kraft." Gleichwohl strebe die Nato den Dialog mit Moskau an. "Wir wollen keinen Kalten Krieg", sagte Stoltenberg. "Wenn wir nicht miteinander reden, können wir weder unsere Streitigkeiten beilegen noch das gegenseitige Verständnis verbessern."

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SZ vom 12.04.2018/bix
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