Nato-Generalsekretär:Stoltenberg und seine 29 Chefs

NATO ambassadors to discuss Turkey terrorist attacks, airstrikes

In seinen knapp drei Jahren als Nato-Generalsekretär hat sich Stoltenberg um die das Thema Aufrüstung gekümmert, um einen vorsichtigen Dialog mit den Russen und um die Türkei.

(Foto: dpa)

Der Nato-Generalsekretär muss es vielen Bossen recht machen, einige erfordern höchstes diplomatisches Geschick. Unterwegs mit einem Besänftiger.

Von Daniel Brössler

Jens Stoltenberg mag keine Überraschungen. Auf Fragen möchte er vorbereitet sein. Auf fast jede erdenkliche hat er sich etwas zurechtgelegt. Am Morgen in der Downing Street, nach dem Treffen mit Premierministerin Theresa May, hat das noch funktioniert wie immer. Mehr Truppen nach Afghanistan? "Wir prüfen die Bitte und werden in den nächsten Wochen über unsere Truppenstärke entscheiden."

Rechnet Großbritannien seine Verteidigungsausgaben schön? "Großbritannien ist beispielhaft, wenn es um Verteidigungsausgaben und Lastenteilung geht." Nun aber ist Jens Stoltenberg für einen Moment baff. "Hast du mal 'ne Zigarette?", wird er gefragt. Nein, hat er nicht. Der Generalsekretär der mächtigsten Militärallianz der Welt ist Nichtraucher.

Es ist ein lauer Frühlingsabend in Berlin. Der Nato-Chef hat eben noch ein Interview im Hotel Adlon gegeben. Jetzt möchte er ein paar Schritte durch den Tiergarten machen. Er trägt dunkle Jeans und Joggingschuhe - so wie die Bodyguards, die sich unauffällig nähern, als ihr Schützling um eine Kippe angehauen wird. So oft Stoltenbergs Gesicht als Feindbild herhalten muss, in aller Regel kann er - von seiner Heimat Norwegen einmal abgesehen - in Europa durch einen Park laufen, ohne erkannt zu werden.

Merkel schätzt den trockenen Pragmatismus Stoltenbergs

Er genießt die paar freien Minuten, redet über norwegische Literatur, plaudert über die TV-Serie "Die Besatzung", die von einer Okkupation Norwegens durch Russland und von einem Premierminister, Jesper Berg, handelt, für den Stoltenberg ein bisschen Modell stand. Mögen tut er die Figur eher nicht. Sie ist ihm zu passiv, zu naiv.

Seit bald drei Jahren ist Stoltenberg Nato-Generalsekretär. Er hat in dieser Zeit Beschlüsse zur Aufrüstung gemanagt, einen vorsichtigen Dialog mit den Russen auf den Weg gebracht und versucht, die Türken bei der Stange zu halten. Den Job hat Stoltenberg nicht zuletzt Angela Merkel zu verdanken. Sie schätzte den trockenen Pragmatismus des norwegischen Ministerpräsidenten. Als sie zum Beispiel die Idee ventilierte, in der Entwicklungshilfe Gegenleistungen zu verlangen, fand sie in ihm einen Verbündeten.

Seinen Pragmatismus kann und muss Stoltenberg nun ausleben. Als Generalsekretär ist er Diener von 28 - mit dem Neumitglied Montenegro bald 29 - Chefs. Jedes falsche Wort kann ihm Ärger mit einem der Bosse einbringen. Deshalb wägt er seine Worte so genau und wiederholt sie so gern, wenn sie erprobt sind.

"Wir leben in Zeiten mit nie dagewesenen Herausforderungen sowohl aus dem Osten als auch aus dem Süden", ist so ein Satz. Stoltenbergs Angewohnheit ist es, beim "Osten" seine beiden Hände stets nach links, beim "Süden" nach rechts sausen zu lassen. Für Brüssel-Korrespondenten ist es ein Sport, das Sausen der Stoltenbergschen Hände taktgenau vorherzusagen.

Das erste Nato-Treffen mit Trump ist anders als sonst: keine langen Reden

Am Donnerstag nächster Woche nun empfängt Stoltenberg in Brüssel die Anführer aus allen Nato-Staaten, seine Chefs also. Man wird ein Stück Berliner Mauer enthüllen und ein Mahnmal für den 11. September und danach gemeinsam zu Abend essen. Am Ende aber wird es nur auf eines ankommen: Findet Donald Trump nun wirklich nicht mehr, dass die Nato obsolet ist? Und hat der US-Präsident verstanden, was das für eine Allianz ist?

Ein Nato-Generalsekretär muss mit allen irgendwie auskommen, einem aber muss er gefallen. Das ganze Treffen, das nicht Gipfel heißen soll, ist folglich zugeschnitten auf Trump. Keine langen Reden sollen dessen Geduld strapazieren. Ob es eine schriftliche Abschlusserklärung gibt, ist noch nicht klar. Im Nato-Hauptquartier hätte man gerne ein paar verbindliche Zeilen, die das "transatlantische Band" bekräftigen. Schon für den Fall, dass Trump wieder twittert.

Im April war Stoltenberg im Weißen Haus, um das Treffen am 25. Mai vorzubereiten. Zum ersten Mal begegnete er dem Mann, der das 68 Jahre alte Bündnis im Wahlkampf als überholt geschmäht hatte. "Es war gar nicht nötig, auf die verschiedenen Dinge, die er während des Wahlkampfes gesagt hat, zurückzukommen", sagt Stoltenberg, "weil er in allen Gesprächen mit mir so eindeutig war in seiner Unterstützung für die Allianz." Ebenso wie ja auch Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Rex Tillerson, Verteidigungsminister James Mattis und Sicherheitsberater H.R. McMaster.

Diesen einen Satz musste Stoltenberg von Trump hören

Es hat seinen Grund, dass Stoltenberg diese Männer aufzählt. Männer wie Mattis und McMaster erklären Trump Dinge wie die Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages. Dinge, von denen er selber sagt, dass sie ihn bis vor Kurzem als Bau-Unternehmer nicht interessieren mussten.

Es sind diese Leute, "die zwischen uns und dem Abgrund stehen", wie es der US-Autor James Kirchik formuliert. Manchmal suchen sich diese Leute Hilfe von außen. Es erscheint ihnen nützlich, dass Trump bestimmte Dinge von Angela Merkel hört - oder eben Jens Stoltenberg. Stoltenberg erntet in den Hauptstädten mittlerweile Lob für seinen Umgang mit Trump. Er habe einen guten Draht zu den Amerikanern, ist aus einer Regierungszentrale anerkennend zu hören.

Trump hatte nach dem Treffen mit Stoltenberg das "produktive Gespräch" darüber gelobt, was die Nato zusätzlich im Kampf gegen den Terrorismus tun könne. Er habe sich "vor langer Zeit" über die Untätigkeit der Allianz beschwert. Das sei nun vorbei. Und dann: "Ich habe gesagt, dass sie obsolet ist. Sie ist nicht länger obsolet." Es ist der Satz, den Stoltenberg unbedingt mitbringen musste aus Washington.

Eine Vergangenheit, der er sich heute schämen muss? Habe er nicht

Stoltenbergs Weg zum Trump-Besänftiger war ein langer, wenngleich er die Geschichte bestreitet, in jungen Jahren als norwegischer Juso die US-Botschaft mit Steinen beworfen zu haben. Die Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokraten stand ziemlich weit links, als Stoltenberg Mitglied wurde.

Unter anderem verlangte sie den Austritt Norwegens aus der Nato. 1985, Stoltenberg war Mitte 20, wurde er Vorsitzender. Ein "alter Freund", wie Stoltenberg sagt, aus dieser Zeit ist Sigmar Gabriel, der ihn als Außenminister nun mit der Auffassung quält, es gebe gar kein verbindliches Ziel der Nato-Staaten, zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben.

Eine Vergangenheit, der er sich nun als Nato-Generalsekretär schämen müsse, habe er nicht, beteuert Stoltenberg. Er sei es schließlich gewesen, der den Nato-feindlichen Kurs der norwegischen Jusos umgekehrt habe. "Sie werden in Norwegen kaum jemanden finden, der so entschlossen für die Nato-Mitgliedschaft gekämpft hat wie ich", verkündet er munter.

Und umgekehrt? Müsste nicht der norwegische Politiker in ihm sich manchmal schütteln im jetzigem Amt? Jener Mann, der als Ministerpräsident sein Land und die Welt beeindruckte mit den richtigen Worten nach dem Anschlag auf das Juso-Ferienlager auf der Insel Utøya. "Heute Abend und heute Nacht werden wir uns umeinander kümmern, uns gegenseitig trösten,miteinander sprechen, zusammenhalten. Morgen werden wir der Welt zeigen, dass die norwegische Demokratie stärker wird, wenn es darauf ankommt", hatte er gesagt.

Diplomatisches Geschick benötigt Stoltenberg im Umgang mit der Türkei

Auf die Frage, ob er nun Kompromisse schließen muss, die er als Ministerpräsident abgelehnt hätte, ob er Werte hintan stellen muss, reagiert Stoltenberg leicht aufgebracht, aber er ist vorbereitet. "Nein, absolut nein. Ich verteidige diese Werte genauso entschlossen wie als Ministerpräsident von Norwegen. Aber ich habe eine andere Rolle", sagt er.

"Ich trete aus einer anderen Position heraus für diese Werte ein. Ich trete für die Nato ein, weil ich glaube, dass die Nato der beste Garant für Freiheit, offene Gesellschaften und Demokratie ist." Im September war Stoltenberg in Ankara. Er hat das Parlament besucht und die Spuren des Putsches besichtigt und hat dann in einer Pressekonferenz versichert: "Die Türkei ist und bleibt ein starkes und hochgeschätztes Mitglied der Nato. Eine demokratische, starke und stabile Türkei ist wichtig für unsere gemeinsame Sicherheit."

Da war eigentlich alles drin: Der Appell, demokratisch zu bleiben, aber letztlich auch das Eingeständnis, dass die Türkei selbst mit Gefängnissen voller Journalisten und Oppositioneller nichts an ihrer strategischen Bedeutung einbüßt.

"Die Türkei ist wichtig für die Nato, für Europa", sagt Stoltenberg. Er erinnert an den Irak, an Syrien, das Schwarze Meer, die "Schlüsselrolle in der Migrationskrise". Aber natürlich sei es "wichtig, dass die Verantwortlichen für den Putschversuch im Einklang mit der Rechtsstaatlichkeit verfolgt werden". Das hat er schon oft gesagt. Stoltenberg hat keine Angst. Schon gar nicht davor, sich zu wiederholen.

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