Nato-Generalsekretär:Das Erbe des Trump-Bändigers

Nato-Generalsekretär: Soldatin mit der Nato-Fahne nach dem Manöver "Iron Sword 16" in Litauen. Jens Stoltenberg gibt Ende September sein Amt als Nato-Generalsekretär ab.

Soldatin mit der Nato-Fahne nach dem Manöver "Iron Sword 16" in Litauen. Jens Stoltenberg gibt Ende September sein Amt als Nato-Generalsekretär ab.

(Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Wer folgt auf Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär? Warum vieles für eine Frau spricht, und vieles für eine Südeuropäerin.

Von Josef Kelnberger und Matthias Kolb, Brüssel

Jens Stoltenberg hat sich verdient gemacht um die Nato. Dieses Urteil kann man schon wagen, bevor der Norweger Ende September sein Amt als Generalsekretär abgibt. Man muss nur an den 3. Dezember 2019 zurückdenken, den Tag, als die Staats- und Regierungschefs der Nato im 70. Jahr nach ihrer Gründung zum Gipfel zusammenkamen. "Er leistet einen großartigen Job, ich bin ein großer Fan von ihm", sagte niemand anderer als Donald Trump. Es klang unglaublich.

Drei Jahre zuvor, nach seiner Wahl, hatte Trump die Nato noch als obsolet bezeichnet und damit gedroht, aus dem Bündnis auszusteigen. "Jetzt ist sie nicht mehr obsolet", sagte Trump nun. Der Sinneswandel war wesentlich dem Generalsekretär zu verdanken. Stoltenberg hatte auf einer US-Reise sowohl Trump selbst und auch Trump ergebenen Medien erklärt: Es sei dem US-Präsidenten zu verdanken, dass die Europäer nun endlich mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. So funktioniert Diplomatie.

Nicht zuletzt seinem Verhältnis zu Donald Trump hat er es zu verdanken, dass Jens Stoltenberg überhaupt noch im Amt ist. Im Jahr 2014 erstmals gewählt, hat man ihn zweimal gebeten zu verlängern, weil er den erratischen US-Präsidenten unter Kontrolle halten konnte. Mit stoischer Ruhe hat er im Übrigen auch ertragen, dass der französische Präsident Emmanuel Macron die Nato als "hirntot" bezeichnete. Hirntot, so würde das Bündnis heutzutage niemand mehr nennen.

Die Nato ist sehr lebendig, und das ist nicht nur Stoltenberg zu verdanken, sondern, zynisch gesprochen, auch das Werk des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Insofern liegt es zumindest als kleiner Schatten auf der Bilanz von Generalsekretär Stoltenberg, dass er ausgerechnet jetzt, während der Ukraine-Krise, Schlagzeilen macht mit seinem neuen Job als Zentralbank-Chef in Norwegen.

Namen kursieren seit einiger Zeit jede Menge

Es war klar, dass Stoltenberg sein Amt im September dieses Jahres abgeben würde. Die Sorge, dass der Nato-Generalsekretär in Gedanken schon bei seinem nächsten Karriereschritt ist, während der Frieden in Europa so gefährdet ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, dürfte angesichts der großen Professionalität und Disziplin des Norwegers nicht aufkommen. Allerdings dürften die Nato und die Regierungschefs ihrer Mitglieder noch mehr mit den öffentlichen Spekulationen beschäftigt sein, wer Stoltenberg nachfolgen wird.

Es kursieren schon seit einiger Zeit jede Menge Namen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bündnisses sollte eine Frau gewählt werden, fordern viele. In dem Zusammenhang fällt häufig der Name Theresa May, der ehemaligen britischen Regierungschefin. Der aktuelle britische Verteidigungsminister Ben Wallace hat sie öffentlich für den Job empfohlen. Die Frage ist allerdings, ob sie angesichts der Verwerfungen um den Brexit wirklich Chancen hat. Die Europäische Union will eine eigenständigere Rolle in der Nato spielen, Emmanuel Macron wird das Thema während der französischen Ratspräsidentschaft bis Juni mit Macht vorantreiben. Und sein Ärger über den U-Boot-Deal zwischen den USA, Großbritannien und Australien (Aukus), der zulasten Frankreichs ging, ist noch nicht vergessen. Da läge es nahe, der Nato-Generalsekretär käme aus der EU.

Ein Osteuropäer? Könnte Putin provozieren

Der Generalsekretär ist Chef von tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Er ist Chefsprecher des Bündnisses, muss Konsens zwischen den Partnern herstellen und im Extremfall den Bündnisfall ausrufen. Für die Besetzung des Postens gibt es kein geordnetes Verfahren. Als ungeschriebenes Gesetz gilt, dass der militärische Oberbefehlshaber (derzeit der Vier-Sterne-General Tod D. Walters) aus den USA und der Generalsekretär, oder die Generalsekretärin, aus Europa kommen. Idealerweise sollte die Person Erfahrung als Staats- oder Regierungschef haben, so wie Jens Stoltenberg.

Es läge auch nahe, das Amt erstmals nach Osteuropa zu vergeben. Allerdings kommt mit Mircea Geoană der Vizegeneralsekretär aus Rumänien, und damit aus einem Land, das erst vor einigen Jahren der Nato beigetreten ist. Zudem könnte sich Wladimir Putin, der gegen eine Ost-Erweiterung der Nato zu Felde zieht, durch die Beförderung eines Polen oder Balten zusätzlich provoziert fühlen.

Aber das alles ist reine Spekulation. Fest steht: Am Ende müssen sich die 30 Staats- und Regierungschefs der Nato auf einen Namen einigen. Und der oder die Neue soll schon im Juni beim Nato-Gipfel in Madrid dabei sein, was zu den Spekulationen passen würde, die Nachfolge von Jens Stoltenberg könnte aus Proporzgründen jemandem aus Südeuropa zufallen - in der Nachfolge des Spaniers Javier Solana sozusagen, der bis 1999 im Amt war. Stoltenberg jedenfalls will in der spanischen Hauptstadt sein Vermächtnis ordnen.

Am 29. und 30. Juni treffen sich die 30 Staats- und Regierungschefs, zur Umsetzung der Reformagenda "Nato 2030". Dabei geht es unter anderem um Pläne zur Erhöhung des Nato-Budgets und zum Ausbau der politischen Konsultationen innerhalb des Bündnisses. Vor allem aber soll in Madrid das neue strategische Konzept beschlossen werden. Es soll das Bündnis fit machen für das nächste Jahrzehnt.

"Wir befinden uns in einem Zeitalter des globalen Wettbewerbs", sagte Jens Stoltenberg, als er das Konzept vergangenes Jahr beim Nato-Gipfel in Brüssel ankündigte. Man müsse "gleichzeitig auf viele Bedrohungen reagieren". Dazu gehört die neue Herausforderung durch China und natürlich die Machtprobe mit Russland. Im aktuellen Strategiekonzept, das aus dem Jahr 2010 stammt, wurde Russland noch als potenzieller Partner gesehen. Davon kann nun keine Rede mehr sein.

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